Xenophobe Gewalt in Südafrika

Der Preis von „Versöhnung“ und neuer Apartheid

medico-Mitarbeiterin Usche Merk schreibt über die Ursachen der Gewalt gegen Ausländer in Südafrika.

Zurück vom Peace March in Durban – viele Tausende waren unterwegs und zogen mitten durch die Innenstadt zum Rathaus, vorbei an tausenden von Zuschauern am Straßenrand, auf Hausdächern, Balkonen und an offenen Fenstern, manche die winken und jubeln, andere mit ernstem Blick, die ganze Stadt scheint stillzustehen und das Geschehen zu beobachten, fast alle Läden haben geschlossen, Straßen sind abgesperrt. Die Stimmung ist voller Energie, ernst und ausgelassen zugleich, viele junge Leute sind unterwegs, tragen T-Shirts und Aufkleber „South Africa say no to xenophobia“ und: #WeAreAfrica. „Ich bin so froh“, sagen meine Kollegen von Sinani, „dass es so viele Südafrikaner sind und nicht nur Migranten, die demonstrieren“.

Zur Demo haben ganz offiziell der Ministerpräsident der Provinz KwaZulu-Natal und der Bürgermeister von Durban eingeladen, unterstützt von allen religiösen Führern der Provinz. Sie führen den Demonstrationszug an, halten am Ende vor dem Rathaus Reden, in denen sie die Menschen beschwören, mit der xenophoben Gewalt aufzuhören und bestehende Probleme und Konflikte auf demokratischem, legalem oder strafrechtlichem Wege zu lösen.

Xenophobe Angriffe und Straßenkämpfe

Zwei Tage zuvor war das Leben in Durban ebenfalls stillgestanden – mitten in der Innenstadt gab es systematische Plünderungen von kleinen Läden, die von Migranten betrieben werden und xenophobe Angriffe gegen alle, die als Ausländer identifiziert wurden. Daraufhin bewaffneten sich eine Gruppe von Migranten mit Messern und Baseballschlägern, bauten Barrikaden aus brennen Reifen und Müll und blockierten Straßen. „Es gibt keinen anderen Ort, an den wir gehen können, wir können nicht zurück, das Meer ist hinter uns, also müssen wir kämpfen“ erklärten sie. Stundenlang gab es Straßenkämpfe, die die Polizei nur mühsam beenden konnte.

Gestern gab es ähnliche Szenen in der Innenstadt von Pietermaritzburg, der Hauptstadt der Provinz KwaZulu-Natal, in der ich gerade für einige Zeit bin. Gespenstische Szenen überall, Angst und Horror bei den vielen Migranten aus allen möglichen Ländern, Zimbabwe, Kongo, Nigeria, Somalia Mosambik, Pakistan und Bangladesch, die sich verstecken oder geflüchtet sind, ihre Läden schließen oder vorsorglich ausräumen und die Waren wegbringen.

Was ‚spontan‘ aussieht, wirkt zunehmend systematisch organisiert

Vor zwei Wochen begann die xenophobe Gewalt in Isipingo, einem Vorort von Durban und hat sich seither wie ein Lauffeuer verbreitet, zuerst in den Townships und informellen Siedlungen und jetzt mitten in der Stadt. Was ‚spontan‘ aussieht, wirkt zunehmend systematisch organisiert, hat deutliche Züge von ‚ethnischer Säuberung‘, inzwischen gibt es Angriffe gegen Migranten und Plünderungen von deren Geschäften auch in anderen Provinzen und in Johannesburg selbst. Mindestens 5 Tote gibt es schon und tausende, die in provisorischen Flüchtlingslagern untergebracht werden mussten, über 40 Personen wurden verhaftet. Die Botschafter der afrikanischen Staaten in Südafrika kamen zu einer Krisensitzung zusammen.

Alle stehen wie unter Schock, die Pogromstimmung wird noch angeheizt von Führungsfiguren wie dem Sohn von Präsident Zuma, der offen xenophobe Äußerungen macht oder dem Zulu-Monarchen Zwelithini, der in einem Interview vor kurzem sagte, die Ausländer müssen gehen. Viele Regierungsvertreter verhalten sich zweideutig, verurteilen zwar die Gewalt, leugnen aber deren xenophoben Charakter und behaupten, es seien kriminelle Elemente und Konkurrenzkämpfe.

Heuchlerischer Status quo

Wen immer ich treffe, alle sind besorgt. Panik zirkuliert, angeheizt auch durch soziale Medien, in denen tausende von Fotos und Aussagen kursieren, deren Wahrheitsgehalt nicht mehr überprüfbar ist. So sind anscheinend Fotos von Gewaltszenen unterwegs, die gar nicht von den Ausschreitungen hier stammen, Drohungen werden verbreitet, dass Boko Haram nach Südafrika kommt, das Wort Genozid fällt.

Diese Stimmung trifft auf eine Gesellschaft, die ohnehin bis zum äußersten angespannt ist: Seit Studenten an der Universität Kapstadt vor ein paar Wochen die Uni besetzten und die Entfernung der Statue von Cecil John Rhodes verlangten, einem der einflussreichsten, skrupellosesten und reichsten britischen Kolonialisten im 19. Jahrhundert, nach dem Rhodesien, das jetzige Zimbabwe, benannt wurde, ist plötzlich die Decke weggerissen von einen heuchlerischen Status quo, der alle kolonialen und rassistischen Kontinuitäten leugnet.

Rassistische und koloniale Mentalitäten unter weißen Südafrikanern

Es scheint als ob sich die Politik der Versöhnung rächt – alles was vor 21 Jahren nicht angesprochen wurde kommt mit umso größerer Wucht zum Vorschein: rassistische und koloniale Mentalitäten der Weißen, die wissen, wie sie die Orte der Macht kontrollieren und andere systematisch ausgrenzen und demütigen – ohne jede Scham und Selbstkritik; die Wut, die diese Demütigungen bei den Betroffenen hinterlassen hat und der Hass auf die weiterhin kolonial geprägten Besitzverhältnisse, die die soziale und ökonomische Ungleichheit fortsetzt, erweitert nur um die neue schwarze Elite, deren Art von affirmative Action Politik rassistische Kategorien verstetigt.

Wo immer ich mit Leuten ins Gespräch komme, bricht ein Schwall von erschreckenden, rassistischen Argumentationen über mich herein. In Johannesburg bin ich versehentlich in einem Gästehaus im reichen Upperclass Sandton gelandet, wo die (weiße) Besitzerin mich schon am Frühstückstisch aufgeregt darüber belehrt, dass es nicht um die Statuen geht, sondern um „uns“, dass „sie“ „uns“ weghaben wollen. „Aber was wären sie ohne Kolonialismus? Nichts hätten sie, keine Häuser, keine Autos, keine Handys, keine Krankenhäuser, nichts – wollen sie das etwas auch alles zerstören? Wir sehen ja, das sie nicht regieren können.“

Als ich mit ein paar indisch-südafrikanischen Studentinnen über ihr Studium plaudern will, werde ich mit bitteren Aussagen konfrontiert, dass sie sich ausgegrenzt und benachteiligt fühlen durch das Affirmative Action System, weil Studienplätze nach „racial“ Quoten vergeben werden, dass „they“ – die schwarzen Studenten – immer nur streiken würden, sich im Studium nicht anstrenge,n sondern sich berechtigt fühlen, alles umsonst zu bekommen, dass das Niveau sinkt und sie als indische Südafrikaner keine Chance auf gute Arbeitsplätze hätten. Und so überrascht es vielleicht nicht, wenn ich von schwarzen Südafrikanern höre, dass die Ausländer die Arbeitsplätze wegnehmen, die einheimischen Kleinbetriebe vertreiben und Kriminalität und Drogen ins Land bringen.

Gesellschaftlicher Zusammenbruch?

„Postapartheid ist zur raffinierteren Form der Apartheid geworden, einer Manifestation von Biopolitik, in der ein politisch-religiöser Diskurs von Apokalypse einen Stillstand des Denkens produziert“ sagt Premesh Lalu, den ich zwei Wochen zuvor in Kapstadt getroffen habe. Er ist Direktor des Centre for Humanities Research an der University of Western Cape, das genau deshalb auf die Macht von Kunst, Kreativität und unbewussten Bilder setzt, die erst das Denken über den Status Quo hinaus ermöglichen, dementsprechend fördern sie Diskussions- und Kulturprojekte in den Zonen der Ausgrenzung. Was angesichts der brutalen Gewaltangriffe als völlig irrelevant erscheint, ist langfristig gesehen vielleicht der einzige Ausweg: jungen Leuten der Postapartheid Ära aus den Elendsvierteln einen Ort zu bieten, an dem sie Musik machen, Theater spielen, malen oder tanzen können, um die Imagination des Möglichen, des noch nicht Gestalt gewordenen entwickeln zu können.

Auf der Rückfahrt vom Peace March in Durban sehe ich in einer Seitenstraße plötzlich ein Riesenaufgebot an Polizei und höre im Radio, dass eine größere Gruppe von Leuten das Ende des Zuges angegriffen hat und Jagd auf Ausländer macht. Aufgewühlt komme ich zuhause an. Fühlt sich das so an, wenn man Zeuge eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs wird?

Hintergrund-Artikel: Xenophobie in Südafrika

Veröffentlicht am 20. April 2015

Usche Merk

Usche Merk ist in der Abteilung für transnationale Kooperation seit 1995 zuständig für das Thema Psychosoziale Arbeit, außerdem ist sie verantwortlich für Projekte in Südafrika und Sierra Leone. Die Pädagogin und systemische Beraterin hat drei Jahre lang beim medico-Partner Sinani in Südafrika in der Friedensarbeit mit gewaltgeprägten Gemeinden gearbeitet. Daneben unterstützt sie als Supervisorin und Trainerin Menschen, die in Krisenregionen oder mit Flüchtlingen arbeiten.


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