Widerstand im Zeichen der Waage

Al Mezan kämpft für die Einhaltung der Menschenrechte im Gazastreifen

Die Waage ist ein Messgerät zur Bestimmung einer Masse. Üblicherweise erfolgt dies über die Gewichtskraft, die direkt gemessen wird, oder mit der Gewichtskraft einer bekannten Masse verglichen wird. Nicht zufällig hat sich die Menschenrechtsorganisation Al Mezan (Arabisch für „Die Waage“) dieses Symbol für ihre Arbeit gewählt. Denn im Gazastreifen wurde die Gerechtigkeit und mit ihr die menschenrechtlichen Standards von allen Beteiligten schon immer eher kleingeschrieben.

Zum einen ist da natürlich die stetige israelische militärische Präsenz. Nach der Räumung der jüdischen Siedlungen und dem Abzug der Armeeposten verstärkte Israel die schon in den 1990er Jahren begonnene Isolation des Gazastreifens. Diese ging nach dem Hamas-Putsch in eine beispiellose Blockade des Küstenstreifens über. Die von der Welt geduldete, unter der Hand auch als „Realpolitik“ mitgetragene Kollektivbestrafung der 1,4 Millionen Gazaer, über 50% hiervon Kinder, ermunterte die israelische Politik dazu, den Tod von Zivilisten billigend in Kauf zu nehmen während der verschiedenen militärischen Angriffe auf den Gazastreifen, die in der Operation „Gegossenes Blei“ um die Jahreswende 2008/09 kulminierten. 1.393 Palästinenser wurden dabei getötet, 347 hiervon waren Kinder.

Zum anderen sind es aber auch die beiden palästinensischen Verwaltungen, deren despotische Tendenzen gegenüber der eigenen Bevölkerung zunehmen. Dabei werden Einschränkungen von Menschenrechten immer häufiger religiös begründet. Oder mit einem Fingerzeig auf den politischen Gegner. Der Zwist zwischen Fatah, die in der Westbank herrscht und der Hamas im Gazastreifen droht nicht nur die durch die israelische Trennungspolitik verursachte innerpalästinensische Spaltung zu zementieren, sondern führt dazu, dass die beiden palästinensischen „Regierungen“ die Rechte des jeweiligen politischen Gegners mit „Sicherheitsgründen“ begründen, um diese dann systematisch einzuschränken.

Menschenrechte sind unteilbar

All das sind die alltäglichen Themen, mit denen sich der medico-Partner Al Mezan auseinandersetzt. Bedingt durch die langjährige erzwungene physische Trennung zwischen dem Gazastreifen und der Westbank arbeitet keine palästinensische Menschenrechtsorganisation in beiden Teilen der besetzten Gebiete mehr. Al Mezan konzentriert sich deshalb auf den Gazastreifen, in dem, so Al Mezan, „Ordnung, aber nicht Recht“ herrscht. Die Zentrale der Menschenrechtsorganisation liegt in einem zweistöckigen Bürogebäude in einer kleinen Nebenstraße im Zentrum von Gaza-City. Al Mezan begreift sich explizit als eine Graswurzelorganisation, die daher nicht nur eine Zentrale in Gaza-City unterhält, sondern auch zwei Beratungszentren in der Peripherie – in Jabalia und Rafah – betreibt. Von dort aus schwärmen die Mitarbeiter aus, sammeln die alltäglichen Fakten, verfassen Berichte und bereiten besondere schwere Fälle in aktuellen Presseerklärungen auf. Diese Arbeit ist eine bedeutende Grundlage für die Arbeit anderer Organisationen – lokale und internationale - in Sachen Menschenrechte.

Al Mezan versteht Menschenrechte jedoch nicht im engen Sinne, sondern sieht soziale, ökonomische und kulturelle Rechte als Teil ihres Mandats. Ihre Aufgabe sieht sie auch darin, marginalisierten Bevölkerungsgruppen und Individuen im Gazastreifen in ihrem Kampf gegen Benachteiligung beizustehen auf dem Weg zu einer besseren Lebensqualität. Besonderes Augenmerk gilt Schulkindern und Studenten. Ihnen bietet Al Mezan Kurse und Broschüren. 2010 werden Menschenrechtspreise für Jugendliche sowie für Studenten ausgeschrieben, um den Menschenrechtsgedanken unter jungen Gazaern zu verbreiten. Auch Gesundheitspersonal wird regelmäßig zu Trainings in Sachen Recht auf Gesundheit eingeladen: Neben Theorie über das Recht auf Gesundheit und die ethischen Aspekte der Arbeit im Gesundheitsbereich gilt ein besonderes Augenmerk auf die praktische Menschenrechtsarbeit, etwa wie Folter oder Misshandlung erkannt werden können und wie Gesundheitspersonal auf solche Erkenntnisse reagieren soll.

Netzwerke über die alle Grenzen

Obwohl Israel die Ausreise von Menschenrechtlern aus dem Gazastreifen seit Jahren massiv behindert, legt Al Mezan großen Wert auf Mauern überschreitende Zusammenarbeit. Als Mitglied verschiedener internationaler Netzwerke (The World Organisation Against Torture, MENA – Network to Stop the Proliferation and Misuse of Small Arms and Light Weapons, Habitat International Coalition – Housing and Land Rights Network) oder in der Kooperation mit dem medico-Partner Ärzte für Menschenrechte - Israel. Gemeinsam kämpfen sie für das Recht auf Zugang zu Gesundheit, konkret geht es etwa um die Frage der Überweisung von schwer und Tod-Kranken, die im Gazastreifen nicht behandelt werden können und vor allem von Israel an der Ausreise gehindert werden. Vor allem seit den israelischen Angriffen auf den Gazastreifen um die Jahreswende 2008/09 arbeiten sie eng zusammen zu Verstößen gegen das Völkerrecht durch Israels Armee und Politik.

Im Jahr 2008 erhielt Al Mezans Direktor Issam Yunis den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar. Ihm gelang es nur unter erschwerten Bedingungen den Gazastreifen zu verlassen, um den Preis persönlich entgegennehmen zu können. Seine wiederholten Anträge an die israelischen Behörden, damit er den Gazastreifen verlassen konnte, blieben monatelang unbeantwortet. Erst als sich die deutsche Regierung für den Preisträger einsetzte, konnte eine Ausreise erreicht werden. Issam Younis sagte in seiner Dankesrede: „Wir sehen diesen Preis als Herausforderung für uns und andere Palästinensische Menschrechtsverteidiger, ihre Arbeit auch in der Zukunft weiterzuführen und neue Initiativen zu starten. Die Menschenrechte repräsentieren für uns den Kern unserer Werte und stellen für uns die einzig gerechtfertigte Lösung für das menschliche Elend, in welchem wir leben, dar“. Damit bestimmte er in aller Klarheit die Masse des Gegengewichts, mit der Al Mezan im Zeichen der Waage die Verhältnisse in Israel, in Palästina und im Besonderen im Gazastreifen bestimmt.

Projektstichwort

medico förderte die Arbeit der Menschenrechtsorganisation Al Mezan im Gazastreifen bisher mit 21.000 Euro. Dies wollen wir auch zukünftig fortsetzen. Spenden Sie unter dem Stichwort: Israel-Palästina

 

Veröffentlicht am 24. Juni 2010

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