Wer übernimmt die Kosten der Apartheid?

Internationale Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im südlichen Afrika

Jahrzehntelang haben internationale Banken und Großunternehmen am rassistischen Apartheid-Regime in Südafrika Millionen verdient. Die Gewährung von Krediten versetzte das Apartheidregime in die Lage, die Menschen Südafrikas und der ganzen Region zu unterdrücken. Auch die Nachbarländer mussten sich wegen der Destabilisierungspolitik Südafrikas hoch verschulden. Seit dem Ende der Apartheid 1994 betreiben sie business as usual und wollen ihre unrühmliche Zusammenarbeit mit einem international geächteten Regime vertuschen. Doch die Schuldenlast gefährdet den demokratischen Wiederaufbau in Südafrika. Die Kampagne für Entschuldung und Entschädigung, die in Südafrika gegründet wurde und in Deutschland seit 1998 u.a. von medico unterstützt wird, fordert dagegen, dass die durch die Apartheid verursachten Schulden im südlichen Afrika gestrichen und die Opfer der Apartheid entschädigt werden.

Ziele und Strategien der Kampagne

Einen hohen Preis für den Kampf gegen die Apartheid und die Vision eines demokratischen Südafrikas hatte Nelson Mandela, als er Anfang 1990 nach 27 Jahren Haft aus dem Gefängnis kam, bereits bezahlt. Vier Jahre später wurde ihm als erstem frei gewählten Präsidenten des Landes wieder eine Rechnung vorgelegt: Die Politiker des alten Regimes hinterließen dem demokratischen Südafrika eine Auslandsverschuldung, die die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ernsthaft in Frage stellt – eine Schuldenlast, die von der südafrikanischen Sektion der Internationalen Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im südlichen Afrika als »neue Form der Sklaverei.« verurteilt wird.

Brian Ashley, Koordinator der Entschuldungskampagne in Südafrika unterstreicht: »Die Mehrheit der Menschen im südlichen Afrika lebt in ständiger Armut. In Südafrika leiden Millionen von Menschen an Hunger, sind obdachlos, arbeitslos und sterben an Krankheiten, die bei ausreichender gesundheitlicher Versorgung vermeidbar wären.«

Südafrika zählt nicht – wie mehrere Staaten des südlichen Afrika – zur Kategorie der hochverschuldeten Länder. Aber angesichts der sozialpolitischen Notwendigkeiten stellen die Schulden ein großes Hindernis für die Entwicklung des demokratischen Südafrikas dar. Wer fordert, daß die durch die Apartheid verursachten Schulden zurückgezahlt werden, läßt zu, daß die Menschen doppelt für die Apartheid zahlen müssen. Südafrikas Schuldendienst ist der zweitgrößte Ausgabenposten des Haushalts; notwendige Sozialausgaben müssen dafür gekürzt werden.

Folgen der Apartheid: Verwüstungen in der ganzen Region

Auch die Nachbarländer Südafrikas (Namibia, Botswana, Angola, Zimbabwe, Sambia, Malawi und Mosambik) haben sich infolge der Destabilisierungspolitik des Apartheidregimes verschuldet und schwere soziale und ökonomische Schäden erlitten. Die Politik des Apartheidregimes hat in der ganzen Region Verwüstungen verursacht. Die wirtschaftlichen Kosten, welche den Nachbarstaaten Südafrikas durch die Konflikte um die Abschaffung der Apartheid von 1980-1993 entstanden, werden – basierend auf einem Bericht der UNICEF – auf 115 Mrd. US-Dollar geschätzt.

In Mosambik zum Beispiel wurden hunderttausende Opfer des von der Rebellenbewegung Renamo geführten und von der Apartheid-Diktatur unterstützen Bürgerkriegs. Ein Großteil der Infrastruktur des Landes wurde zerstört. Die gegenwärtigen Schulden sind Folge der hohen Verteidigungsausgaben im Krieg gegen die Renamo und der immensen Kosten für die Wiederherstellung einer nur rudimentären sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur.

1999 soll Mosambik – dem ärmsten Land der Welt – im Rahmen der von der Weltbank entwickelten HIPC-Initiative ein Großteil seiner Schulden erlassen werden. Dennoch bleibt der tatsächlich zu leistende Schuldendienstbetrag unverändert, da Mosambik gegenwärtig weniger als die Hälfte der Tilgungsraten bezahlt. Mosambik wird trotz der HIPC-Initiative einen Teil der von der Apartheid verursachten Schulden (12,7 Mrd. DM) zurückzahlen müssen.

Die Schulden den einen, den andern die Profite

So ungerechtfertigt es ist, daß die Menschen im südlichen Afrika doppelt für die durch Apartheid verursachten Schulden zahlen müssen, so berechtigt ist es, nach den zweifelhaften Profiten aus Apartheidgeschäften zu fragen. Deutschland und die Schweiz hielten die Geschäftsbeziehungen mit Südafrika aufrecht, obschon die Apartheid bereits 1973 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen zu einem »Verbrechen gegen die Menschheit« erklärt wurde.

1993, dem letzten Jahr der Apartheid, betrug die gesamte Auslandsschuld Südafrikas mindestens 25,7 Mrd. US-$ und die des öffentlichen Sektors etwa 14,6 Mrd. US-$. Die deutschen Finanzinstitute erhoben Anspruch auf 27,5% aller ausländischen Schulden des öffentlichen Sektors Südafrikas und nahmen damit auch im Vergleich zu den USA (26,5%), der Schweiz (20,8%) und England (14,3%) eine Vorreiterstellung ein.

Zwischen 1975 und 1993 hat die Bundesrepublik Deutschland nach Angaben der Bundesbank einen Netto-Kapitalexport von 7,9 Mrd. DM nach Südafrika getätigt. Über die Hälfte dieser Kapitalsumme, nämlich 4,27 Mrd. DM, wurden in der Zeit der Wirtschaftssanktionen (1985-1993) nach Südafrika exportiert. Der weitaus größte Teil dieser Kapitalexporte ging zu Gunsten des öffentlichen Sektors des Apartheidregimes (d.h. Verwaltung und Staatliche Konzerne wie ESKOM, SASOL usw.). Damit war Deutschland der weltweit bedeutendste Finanzier des öffentlichen Sektors der Apartheid.

Die Gewinne deutscher Unternehmen und Banken – insbesondere der Dresdner Bank, der Commerzbank, der Deutschen Bank – aus ihren Apartheidgeschäften in der Zeit von 1971 bis 1993 beliefen sich auf 8,4 Mrd. DM.

In die Schweiz sind 1985-1993 schätzungsweise jährlich etwa 300 Millionen US-Dollar an Zinsen und Dividenden zurückgeflossen. Seit der Demokratisierung Südafrikas hat der Investitionseifer der Schweizer Wirtschaft markant abgenommen.

Während sich ausländische Investoren in der Endphase der Apartheid (1985-1993) aufgrund des internationalen Boykotts gegen Südafrika zurückzogen, verlängerten insbesondere deutsche und Schweizer Banken die Lebensdauer des Apartheidregimes. Zu diesem Ergebnis kommt die im Februar 1999 erschienene Studie von Mascha Madörin, Gottfried Wellmer und Martina Egli: »Apartheidschulden – Der Anteil Deutschlands und der Schweiz« (Bestelladressen s.u.).

Die Kredite dienten nicht den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, sondern der Finanzierung der politischen Repression und des Bürgerkriegs im Inneren Südafrikas und der Destabilisierungskriege in der Region. Dazu Nelson Mandela:

»Es ist für uns völlig inakzeptabel, wenn das südafrikanische Regime mit Hilfe gewisser ausländischer Finanzinstitutionen versucht, die Finanzsanktionen der internationalen Gemeinschaft zu unterlaufen. Dadurch untergraben diese Institutionen den Verhandlungsprozeß in Südafrika. (...) Wenn diese Institutionen jetzt Geld verleihen, dann fördern sie faktisch die Verzögerung unseres Strebens nach Freiheit, Demokratie und Entwicklung.« (Financial Times 8./9.02.1992)

Die erwähnte Studie weist nach, daß die gesamten Schulden Südafrikas gegenüber der Bundesrepublik Deutschland 1993 etwa 7,4 Mrd. DM betrugen, davon 5,5 Mrd. DM im Bereich des öffentlichen Sektors. Für die Rückzahlung dieser Schulden darf das demokratische Südafrika nicht verantwortlich gemacht werden.

Die Forderung nach Schuldenerlaß in Südafrika basiert auf völkerrechtlichen Präzedenzfällen, aus denen die Doktrin der »odious debts« hervorging. Die Doktrin besagt, daß in bestimmten Fällen die Nachfolgeregierungen illegitimer Regime die Rückzahlung der Schulden ihrer Vorgänger ablehnen können. Dies gilt vor allem unter zwei Voraussetzungen: bei illegitimen Absichten des Schuldners in der Verwendung der Kredite und bei fehlender Überprüfung des Legitimitäts-Status der Empfängerregierung durch den Kreditgeber.

Entschädigung für die Opfer

Die Unternehmen und Banken, welche die internationalen Sanktionsforderungen mißachteten, indem sie weiterhin mit dem Apartheidregime Geschäfte tätigten, halfen mit, das Regime an der Macht zu halten und ermöglichten so die Fortsetzung der Politik der Apartheid und damit das Leiden der Menschen im südlichen Afrika. Dafür sollen sie auch verantwortlich gemacht werden! Die Internationale Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im südlichen Afrika fordert, daß die beteiligten Firmen und Banken den Menschen dort Entschädigung zahlen. Dieses Geld soll dem Wiederaufbau in Südafrika und in den Nachbarländern dienen. Dieses Geld soll auch die individuelle Entschädigung der Opfer der Apartheid und deren Angehörigen ermöglichen.

Hierzu Njongonkulu Ndungane, Nachfolger von Friedensnobelpreisträger Tutu als anglikanischer Erzbischof von Kapstadt: »Wir wollen, daß diese Firmen durch massive Kapitalspritzen Reparationen leisten, die in die Bildung und Schaffung von Arbeitsplätzen einfließen.« Ndungane begrüßte, daß sich das Schweizer Parlament mit den Geschäftsbeziehungen zwischen Schweizer Banken und dem Apartheidregime befaßt und sagte deutlich: »Wir hoffen ernsthaft, daß die Deutschen bald folgen.« Für eine weitere demokratische Entwicklung in Südafrika ist darüber hinaus unerläßlich, daß eine tiefgreifende Veränderung der weltweiten ökonomischen und sozialen Machtverhältnisse stattfindet.

Die Forderungen der Kampagne

erarbeitet von SANGOCO, dem Zusammenschluß südafrikanischer NGOs

  1. Die Gewährung von Krediten an das Apartheidregime und seine Unterstützer hat Schulden verursacht, die dazu benutzt wurden, die Menschen Südafrikas zu unterdrücken. Für deren Rückzahlung darf das demokratische Südafrika nicht verantwortlich gemacht werden.
  2. Die Nachbarländer haben sich infolge der Destabilisierungspolitik des Apartheidregimes verschuldet und schwere soziale und ökonomische Schäden erlitten. Eine Rückzahlung dieser vom Krieg verursachten Schulden zu verlangen, würde den demokratischen Wiederaufbau gefährden.
  3. Die bereits erfolgte Rückzahlung der mit der Apartheid verbundenen Anleihen ist auf dem Rücken der leidenden Bevölkerung geschehen. Dieses Geld soll für den Wiederaufbau des südlichen Afrikas zurückgegeben werden.
  4. Unternehmen und Banken, welche die internationalen Sanktionsforderungen ignoriert haben, profitierten von der Apartheid. Sie halfen mit, das Apartheidregime an der Macht zu halten und verlängerten so das Leiden der Menschen des südlichen Afrika. Die beteiligten Firmen und Banken sollten den Menschen im Süden Afrikas dafür jetzt Entschädigung zahlen.

 

Veröffentlicht am 01. Oktober 2008

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