Menschenrechte in Ägypten

Trotz Verbot - die Arbeit geht weiter

Interview mit dem Arzt und Menschenrechtsaktivisten Taher Mokhtar, der für das verbotene Nadeem Zentrum in Kairo gearbeitet hat.

Trotz der Schließung durch die ägyptische Regierung Anfang letzten Jahres und des hohen persönlichen Risikos, das sie eingehen, setzen die Gründerinnen des von medico unterstützten Nadeem Zentrums ihre Arbeit in Kairo unbeirrt fort. Aida Seif al Dawlah, Magda Adly, Suzan Fayad und Mona Hamed treten seit 25 Jahren für die Rehabilitation von Opfern von Gewalt, Folter und staatlicher Willkür ein, welche in Ägypten als alltäglich gelten. Zu ihrer Arbeit gehört die medizinische Betreuung der Opfer ebenso wie das Verfassen von Berichten, das Sammeln von Aussagen der Betroffenen und kritische Öffentlichkeitsarbeit, die die Willkür des Regimes aufzeigt.

Für diese Arbeit wurde das Nadeem Zentrum Anfang des Jahres von der deutschen Sektion von Amnesty International für den Menschenrechtspreis nominiert. Aufgrund bestehender oder drohender Ausreiseverbote können die vier Gründerinnen des Zentrums bei der Preisverleihung nicht persönlich zugegen sein.

Medico führte ein Interview mit dem Menschenrechtsaktivisten, Arzt und ehemaligen Mitarbeiter des Nadeem Zentrums, Dr. Taher Mokthar, der seit letztem Jahr im Exil in Frankreich lebt und den Menschenrechtspreis am Montag, den 16. April 2018, in Berlin stellvertretend entgegen nahm. Ein Gespräch über staatliche Willkür, Solidarität und Ausdauer.

Taher, Anfang 2017 bist du vor dem ägyptischen Regime geflohen. Wie fühlt es sich für dich heute an, den Menschenrechtspreis stellvertretend für deine ehemaligen Kolleginnen des Nadeem Zentrums entgegen zu nehmen?

Ich war drei Jahre lang Teil des Teams vom Nadeem Zentrum und fühle mich geehrt und glücklich, den Menschenrechtspreis entgegenzunehmen. Gleichzeitig bin ich jedoch sehr traurig darüber, dass die vier starken Frauen – Aida, Suzan, Magda und Mona –, die die fantastische Arbeit des Zentrums trotz großer Schwierigkeiten unbeirrt fortsetzen, nicht selbst die Möglichkeit haben, nach Berlin zu kommen.

Dieser Preis ehrt das Nadeem Zentrum für seine besondere Rolle in Ägypten: Es ist das einzige Zentrum im Land, das sich seit seiner Gründung 1993 für Folteropfer einsetzt. Auch während der Revolution und nach der Schließung des Zentrums durch die ägyptische Regierung im Februar 2017, gaben die vier Frauen nicht auf. Konstant unterstützen sie Gewalt- und Folteropfer, Frauen und Minderheiten. Dazu gehört auch das Erstellen des monatlichen und jährlichen Berichts über die Menschenrechtssituation in Ägypten. Nie – nicht für einen Tag – haben sie ihre Arbeit unterbrochen. Sie arbeiten weiter, auch wenn sie keinen Arbeitsplatz mehr haben, weil ihr Büro geschlossen wurde.

Was können die vier Frauen im Moment tun bzw. wie arbeiten sie unter den jetzigen Umständen vor Ort?

Sie haben eine Telefon-Hotline, sie machen Privatbesuche bei ihren Patientinnen und Patienten und sie halten Verbindungen zu den Medien und zu anderen Aktivistinnen und Menschenrechtsorganisationen. Dank dieses Netzwerks, das sie in ihrer jahrzehntelangen Arbeit aufgebaut haben, kann das Zentrum in Kontakt mit Opfern und Überlebenden von Folter sowie anderen Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen bleiben und Treffen an einem privaten Ort, in einer privaten Klinik oder in einem Café organisieren. So können sie auch weiterhin ärztliche Beratung und medizinische Hilfe leisten. Zusätzlich erstellen sie nach wie vor die monatlichen und jährlichen Berichte über die Menschenrechtssituation in Ägypten.

Wie gefährlich ist es, diese Arbeit fortzusetzen?

Im Moment ist es sehr gefährlich, gerade wenn man weiß, dass Aida und Suzan ein Ausreiseverbot erhalten haben. Aber sie haben sich entschieden, das fortzusetzen, was sie 1993 angefangen haben, denn sie glauben an das, was sie tun. Für mich ist das wirklich beeindruckend und ehrenwert.

Rückblickend auf die letzten Jahre: Wie hat sich die Arbeit des Nadeem Zentrums entwickelt? Was hat sich verändert? Unterscheiden sich die heutigen Fälle von früheren?

Im Laufe der letzten Jahre ist die Anzahl an Folteropfern sowie das Verschwindenlassen von Personen stark angestiegen. Verschwindenlassen bedeutet Kidnapping durch das Regime ohne Nennung von Gründen und Angabe von Orten. Wer auf diese Weise „verschwindet“, erleidet meist besonders heftige Folter. Manche tauchen danach nie mehr auf, andere werden tot aufgefunden. Die wenigen Überlebenden leiden infolge der massiven Gewalterfahrung an schweren Traumata. Diese Fälle haben zugenommen.

Was sagst du dazu, dass Fattah al-Sisi Anfang des Monats wiedergewählt wurde?

Für uns war diese Wahl ein Witz. Manche der anderen Kandidaten wurden vor der Wahl ins Gefängnis gesteckt, andere sind aufgrund des hohen Drucks von alleine zurückgetreten. Letztlich gab es nur noch einen Alibi-Gegenkandidaten, der eigentlich ein Unterstützer von al-Sisi war. Damit sie ihr Kreuz bei al-Sisi machen, wurden arme Ägypterinnen und Ägypter mit Öl und Zucker bestrochen und staatliche Angestellte von Behörden oder Schulen mit dem Bus zum Wahlbüro gebracht, um zu kontrollieren, wer wählen geht und wer nicht. Die Menschen wissen: wenn sie nicht zur Wahl gehen, werden sie womöglich erpresst oder bedroht. So kam letztlich die Wahlbeteiligung von 41 Prozent zustande. Eine Überwachung durch Menschenrechtsorganisationen war nicht möglich. Mit einer ernstzunehmenden Wahl hatte das nichts zu tun.

Obwohl der ägyptischen Staatssicherheitsbehörde NSS schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, hat die deutsche Bundesregierung im vergangenen Jahr ein Sicherheitsabkommen mit Ägypten beschlossen und möchte die Polizeikooperation ausbauen. Was bedeutet das aus deiner Sicht?

Diese Art von Kooperation muss gestoppt werden! Deutschland sollte dem ägyptischen Regime keine Mittel zur Verfügung stellen, die für die Verletzung von Menschenrechten und für die Verfolgungen von Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten sowie die politische Opposition verwendet werden können. Die Streichung eines Cybersicherheits-Trainings von deutscher Seite im Oktober 2017 war ein Schritt in die richtige Richtung. Dies sollte auf alle Bereiche der Sicherheitszusammenarbeit ausgedehnt werden, insbesondere was die Zusammenarbeit mit der Nationalen Sicherheitsbehörde und dem Geheimdienst, einschließlich des militärischen Geheimdienstes, in Ägypten anbelangt. Denn genau sie sind für die systematischen und schweren Verletzungen und Verstöße gegen das Recht auf Meinungsfreiheit und andere Menschenrechte verantwortlich. Folter und Verschwindenlassen gehören bei ihnen zur Berufsbeschreibung. Jegliche Unterstützung für diese Dienste bedeutet Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu unterstützen. Daher muss die Zusammenarbeit unverzüglich beendet werden.

Du warst selbst sieben Monate in Haft. Vor und nach deiner Zeit im Gefängnis hast du erst als Praktikant und später als Assistenzarzt im Nadeem Zentrum gearbeitet. Wie sah deine Arbeit aus und wie kam es zu deiner Verhaftung und schließlich zu der Entscheidung, ins Exil zu gehen?

Ich arbeite seit 2013 mit dem Nadeem Zentrum zusammen im Bereich Kampagnen. Zum einen Kampagnen bezüglich der medizinischen Versorgung an verschiedenen Orten in Ägypten und zum anderen Kampagnen für die Rechte von Flüchtlingen, die in Alexandria und anderen küstennahen Orten inhaftiert sind. Der Grund für meinen siebenmonatigen Gefängnisaufenthalt war eine Kampagne namens „Medical Neglect in Places of Detention is a Crime" (dt. Medizinische Vernachlässigung in Haft ist ein Verbrechen). Die nationale Sicherheit und die Polizei inhaftierten Aktivistinnen und Aktivisten denen vorgeworfen wurde, das Regime stürzen zu wollen, und dazu gehörten vor allem auch diejenigen, die die Kampagne gemacht hatten. Nachdem ich sieben Monate später gegen Kaution frei gekommen war, arbeitete ich weiter an der Kampagne. Als mein Fall Anfang 2017, zwei Monate nach meiner Haftentlassung, von der allgemeinen Strafverfolgungsbehörde an die nationale Sicherheitsbehörde zur Strafverfolgung weitergegeben wurde, wurde es gefährlich für mich und ich entschloss mich auf Rat meines Anwalts zu fliehen. Aktuell befinde ich mich in Frankreich im Exil.

Taher, am Montag wirst du den Menschenrechtspreis für das Nadeem Zentrum entgegen nehmen. Ist internationale Aufmerksamkeit gut für die Arbeit des Nadeem Zentrums oder gefährdet es die Mitarbeiterinnen womöglich noch mehr?

Gerade im Moment ist die internationale Aufmerksamkeit für die Zustände in Ägypten sehr wichtig. Dadurch können Kampagnen gegen Inhaftierungen und auch gegen die Schließung des Nadeem Zentrums organisiert werden. Im Mai letzten Jahres ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, das die Arbeit und die Möglichkeiten von zivilgesellschaftlichen Organisationen stark beschränkt. Dagegen müssen wir vorgehen und den Handlungsspielraum für Nichtregierungsorganisationen wieder vergrößern. Aus meiner Perspektive sind die internationale Aufmerksamkeit, Kampagnen und auch der Menschenrechtspreis, sehr wichtig und essenziell für die Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten in Ägypten, die auf Unterstützung von außen angewiesen sind.

Hast du die Möglichkeit, die Arbeit des Nadeem Zentrums aus dem Exil zu unterstützen?

Aktuell wirke ich daran mit die Arbeit des Nadeem Zentrums neu zu organisieren. Gleichzeitig spreche ich viel über die Menschenrechtsverletzungen in Ägypten und die Situation im Zentrum, in dem ich ja selbst einige Zeit gearbeitet habe. Ich unterstütze auch andere Aktivistinnen und Aktivisten, die aufgrund von Ausreiseverboten ihre Kampagnen kaum selbst verbreiten können. Dabei stehe ich stets in Kontakt zu anderen Ägypterinnen und Ägyptern, die im Exil leben. Gemeinsam versuchen wir, Menschenrechtsverletzungen in Ägypten außerhalb des Landes bekannt zu machen und dagegen vorzugehen.

Interview: Ramona Lenz und Friederike Mager

Veröffentlicht am 16. April 2018

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