Stern der Apartheid

Wie südafrikanische Apartheid-Opfer die aktuelle Fußball-WM nutzen, um öffentlichkeitswirksam einen deutschen Großkonzern anzuklagen

Als Mpho Masemola aus Südafrika ans Mikrofon gerufen wird, sinkt der Geräuschpegel im ICC-Kongresszentrum in Berlin deutlich. Die Anspannung im Saal steigt merklich. Auch Mpho ist sichtlich nervös und obwohl er öffentliche Auftritte gewöhnt ist, fangen seine Hände leicht an zu zittern. Seine Zuhörer auf der Jahreshauptversammlung (HV) der Daimler AG bestehen aus 5.000 Aktionären inklusive Konzernvorstand und Aufsichtsrat. Ihnen geht es um weltweite Geschäftsentwicklungen und um ihre Dividende.

Mpho aber will darüber sprechen, was eben diese Geschäfte in einem Land wie Südafrika anrichteten. Konkret wirft er Daimler vor, mit der Lieferung von Fahrzeugen und Maschinen an Polizei und Militär des alten Apartheidregimes Beihilfe zu schweren Menschenrechtsverletzungen geleistet zu haben.

Nach Berlin wurde er von medico eingeladen und sein Rederecht im höchsten Organ der Aktiengesellschaft verdankt er den Kritischen Daimler-Aktionären, die ihm das Stimmrecht einer Aktie und damit die Rechte eines Anteilseigners übertragen hatten.

Einer gegen Daimler

Angekommen am Rednerpult wirkt Mpho gefasst. Nur drei Minuten Zeit hat er, um den Opfern der schmutzigen Daimler-Geschäfte im alten Südafrika Geltung zu verschaffen und damit öffentlichkeitswirksam die Kampagne „Daimler – Star of Apartheid“ bekannt zu geben. Die Aktion, die in Deutschland von mehreren NGOs unterstützt wird, will die Aufmerksamkeit durch die WM in Südafrika nutzten, um den Druck auf den Konzern und Hauptsponsor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu erhöhen. Drei Minuten lang kann Mpho auf der Versammlung einen anderen Ton anschlagen. Auch er redet über Profite. Allerdings sagt er, dass der Profit nie über Menschenrechten stehen dürfe.

Auf dem Podium hört Vorstandsvorsitzender Dr. Zetsche aufmerksam zu, sein Gesicht zeigt weder Empathie noch Ablehnung. Als die blinkende rote Lampe am Pult das Ende seiner Redezeit anzeigt, sucht Mpho den direkten Blickkontakt zum erhöht sitzenden Zetsche: „Sehr geehrter Herr Dr. Zetsche, ich bin weit gereist um heute hier zu sein. Die Opfer der Apartheid verlangen nach Aufklärung, um dieses dunkle Kapitel der Geschichte Südafrikas endlich abschließen zu können. Ich bitte Sie, sich mit uns an einen Tisch zu setzen und einen Dialog zu beginnen bevor ich wieder aus Deutschland abreise.“

Während seiner Rede muss Mpho eine Sonnenbrille tragen. Die grellen Scheinwerfer in der Halle machen ihm zu schaffen, denn in seinem Schädel stecken seit 20 Jahren Schrapnelle, die operativ nicht entfernt werden können; im wahrsten Sinne des Wortes: Überreste der Apartheid. Im Jahr 1991, kurz nach seiner Entlassung aus Haft und Folter auf der berüchtigten Gefängnisinsel Robben Island, organisierte er eine große Demonstration für die Freiheit der politischen Gefangenen und gegen rassistische Polizeigewalt. 20.000 Menschen kamen und wollten vom Township ins Stadtzentrum ziehen. Mpho war ganz vorne mit dabei. Die Sicherheitskräfte ließen die friedliche Demonstration jedoch in eine Falle laufen. An einer Straßensperre wurde die Versammlung für illegal erklärt und als die ersten Schüsse fielen, flüchteten die Menschen in Panik. Mpho versteckte sich in einem Haus, in das die Polizei eine Handgranate warf: „Mein Kopf brannte und das weiße T-Shirt färbte sich rot. Ich brach zusammen und wachte erst bei einem befreundeten Arzt und Genossen wieder auf. Seitdem habe ich sehr spektakuläre Röntgenbilder“, erzählt Mpho später und lacht.

Diese Röntgenbilder wurden zu einem Beweismittel in der Klage, die der medico-Partner Khulumani gegen Daimler und andere Apartheidprofiteure in den USA eingereicht hat. Denn Mpho, selbst ein Khulumani-Aktivist, ist auch Augenzeuge für den Einsatz der umgebauten Mercedes-Unimogs, mit denen die Sicherheitskräfte, die ihm die Schrapnelle verpassten, auf der Demonstration vorgingen. Ein New Yorker Bundesbezirksgericht ließ im April 2009 die Sammelklage gegen Daimler zu. Außerdem auf der Anklagebank: die deutsche Rheinmetall, Ford, General Motors und IBM.

Auf der Hauptversammlung in Berlin verliest Daimler-Vorstandsmitglied Bodo Uebber unterdessen eine Standard- Antwort auf Mpho, die sich nicht von der Argumentation der Daimler-Anwälte in New York unterscheidet: Die Geschäfte mit dem damaligen südafrikanischen Regime seien legal und von der Bundesregierung genehmigt gewesen. Daimler sehe deshalb keine Notwendigkeit zu einem Gespräch mit den Apartheidopfern.

Das war zu erwarten. Mpho ist dennoch enttäuscht. Noch bis Ende des Tages sitzt er auf seinem Platz und hofft, dass ihn ein Daimler-Mitarbeiter anspricht. Zwischenzeitlich wird er interviewt. Das Medieninteresse und die Unterstützung durch die Kampagne in Deutschland geben ihm Mut. Bereits vor Beginn der HV hatten Aktivisten rund 1.000 Protestpostkarten an die Daimler-Aktionäre verteilt. Bis zum Herbst sollen Unterschriften gesammelt und anschließend öffentlich an Dr. Zetsche übergeben werden.

WM und Aufklärung im Township

Zurück in Südafrika bespricht Mpho mit den anderen Khulumani-Aktivisten Aktionen während der WM. Die größte Selbstorganisation von Apartheidüberlebenden hat in Südafrika die Red Card Campaign gestartet, um Daimler und andere Konzerne, die sich bis heute nicht zu ihrer Verantwortung gegenüber der Vergangenheit bekennen, unter Druck zu setzen. In Soweto, einem der größten Townships nahe Johannesburg hat Khulumani pünktlich zur WM ein Infozentrum eröffnet. Das Khulumani World Cup 2010 Advocacy Programme bietet Public Viewing der WM-Spiele und Raum für Debatten über die Rolle internationaler Konzerne während der Apartheid.

Es geht auch um das Heute, den Kampf um soziale Gerechtigkeit in Südafrika, zu dem angemessene Reparationen der Konzerne einen wichtigen Beitrag leisten würden. Daher spricht Khulumani bei Veranstaltungen im Infozentrum genauso offen über die heutigen Probleme des Landes: Vertreibung, Privatisierung von Wasser, Xenophobie.

Der öffentliche Druck auf Daimler wird größer in Südafrika. Die Aktivistinnen und Aktivisten von Khulumani – mehr als 50.000 Menschen sind dort organisiert – reisen durchs Land, um an allen Spielstätten von ihren Gewalterfahrungen und ihrem Widerstand gegen das Apartheidregime zu berichten. Auch Mpho Masemola spricht wieder auf diesen Versammlungen.

Künstler mehrerer Kontinente haben eine Solidaritäts-CD („Music 4 Justice“) zugunsten der Red Card Campaign aufgenommen. Die Musik ist mittlerweile preisgekrönt und sorgt in Südafrika für Aufsehen. Deutsche und südafrikanische Zeitungen berichten ausführlich über Daimler und die Klage. Hunderte unterschriebene Postkarten sind bei medico bereits eingegangen, mit denen von Daimler eine angemessene Entschädigung eingefordert wird.

In Zeiten, wo soziale und ökologische Unternehmensverantwortung das Konzernimage beeinflussen, erinnert die Kampagne Daimler daran, dass sich die Arroganz gegenüber den Opfern der Apartheid auch auf das Kaufverhalten und die Rendite negativ auswirken kann.

Projektstichwort:

medico international unterstützt die Selbsthilfeorganisation der Apartheidopfer Khulumani seit 1997. Khulumani bietet psychologische Betreuung und fordert Entschädigungszahlungen für die Opfer ein, so wie es von der Wahrheits- und Versöhnungskommission empfohlen wurde. From victims to victors lautet ihr Credo, aus Opfern sollen Überlebende und Sieger werden und dazu gehört auch, immer wieder laut die Stimme zu erheben. Unterstützen Sie die Kampagne gegen Daimler und fordern Sie Unterschriftenlisten an (s. Materialliste). Das Spendenstichwort lautet: Südafrika.

Veröffentlicht am 06. Juli 2010

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