Sierra Leone: Painful Peace

Vom Bemühen um Würde und Zukunft im ärmsten Land der Welt

»Dann kamen die Massaker in Freetown 1999. Es war so schlimm, daß wir beschlossen, wir wollen Frieden um jeden Preis. Auch wenn er nur durch absolute Zugeständnisse an die Täter zustande kommt.« So begründet Shellack Sony-Davies, den Friedensvertrag von 2001. Sie gehört zur Truth and Reconciliation Working Group, einem Dachverband zivilgesellschaftlicher Organisationen, die den von der UNO in Anlehnung an die südafrikanischen Erfahrungen initiierten »Wahrheits- und Versöhnungsprozeß« begleiten. Der Friedensvertrag brachte das Ende der Kämpfe, aber das Land, das nach den jüngsten UN-Zahlen als das ärmste der Welt gilt, erholt sich nur sehr langsam von den Folgen des 11jährigen Krieges. Eine Wahrheitskommission auf der Basis einer Generalamnestie und ein Strafgerichtshof für eine kleine Gruppe von Befehlshabern soll die Menschen wieder versöhnen. Doch die Truth and Reconciliation Commission (TRC), die innerhalb von nur 4 Monaten Anhörungen über die Verbrechen der Kriegsparteien aufarbeiten soll, bietet vor allem den Tätern ein Forum zur Versöhnung und verlangt von den Opfern Vergebung. Angesichts der ungeheuren Grausamkeiten, die in diesem Krieg verübt wurden, ist dieses Ansinnen vermessen. In Sierra Leone kamen 75000 Menschen ums Leben, 20000 wurden verstümmelt, 50000 Frauen wurden vergewaltigt und 2,5 Millionen Menschen vertrieben. Das alles bei einer Bevölkerung von 5 Millionen Menschen.

Das ist der Hintergrund, warum Zandile Nhlengetwa nach dem Besuch einer Anhörung in Freetown so aufgewühlt und wütend ist: »Auch in Südafrika haben die Täter am meisten von der Kommission profitiert, aber hier bin ich mir nicht sicher, ob der Prozeß nicht eher re-traumatisierend als heilend wirkt. Denn die TRC ist hier noch nicht mal richtig in der Hand der Sierra Leoner und findet wenig Unterstützung in der Gesellschaft.« Die Südafrikanerin ist Leiterin des medico- Partners Sinani. Sie ist im Rahmen des von medico geförderten Süd-Süd-Austausch gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen aus Frankfurt nach Sierra Leone gereist, um die südafrikanischen Erfahrungen in einem Workshop mit 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von sierraleonischen NGOs vorzustellen. Auch John Caulcker, der Vorsitzende der TRC Working Group von Sierra Leone, ist enttäuscht und ambivalent. »Wir haben auf die TRC als einen Prozess gesetzt, der etwas in Gang bringen kann, um den Überlebenden und den Gemeinden zu helfen, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und Auseinandersetzungen um Versöhnung und Gerechtigkeit einzuleiten. Das muß auf einer Anerkennung des Leids und der entstandenen Schäden beruhen. Doch für die UN ist diese Kommission kein Prozeß sondern ein Ereignis, das möglichst schnell und billig durchgeführt werden soll.«

In ihrem Vortrag vor den Seminarteilnehmern berichtet Zandile über die südafrikanischen Erfahrungen: »Versöhnung ist eine persönliche Entscheidung, die niemand einfordern kann. Der Schmerz und die Wut sitzen tief. Ich weiß von Südafrika, daß es ein langer Prozeß ist, der längst noch nicht vorbei ist. Auch dort wurden die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen. Wir haben uns aber entschieden, mit den jugendlichen Tätern zu arbeiten, die wir in erster Linie als Opfer sehen.« Eine hitzige Debatte entsteht über die Arbeit mit den demobilisierten Ex-Kombattanten in Sierra Leone. Sie würden privilegiert, es gäbe so viele Programme für sie. Das führt zu Spannungen zwischen den Gemeinden und den Demobilisierten. Und was ist, wenn die Programme zu Ende sind? Die Menschen haben immer noch Angst vor ihnen, auch vor den ehemaligen Kindersoldaten. Angst und Hilflosigkeit füllen den Raum. Wie eine zweite Folie zeigen sich die Spuren des Krieges, in den Gesichtern, in den Beiträgen, in der Stille zwischen den Beiträgen.

Da berichtet Zandile von den Schwierigkeiten in Südafrika, und wie beeindruckt sie ist von den vielen engagierten Leuten in Sierra Leone, die unter so extremen Bedingungen arbeiten. »Das Leid ist deutlich sichtbar, das Schweigen überwältigend, der Schmerz offensichtlich aber Mut, Zähigkeit und Hoffnung sind unglaublich hier.« Sie spricht auch über die Überforderung und Erschöpfung der Helfer, die oft lange brauchen, ihre eigenen Belastungen und Nöte zu sehen. Auf einmal wirken alle lebendiger, Gesprächsgruppen entstehen und verschiedene Teilnehmerinnen erzählen von ihren eigenen Erfahrungen und den schwierigen Bedingungen. Bondu Manyeh ist eine von ihnen. Zur Zeit arbeitet sie für die TRC als eine der zwei Betreuerinnen, die den Opfern (und Tätern) bei ihren Aussagen zur Verfügung stehen. »Ich versuche, für die Opfer da zu sein, aber durch die kurze Zeit kann ich nur wenig machen. Ich weiß, daß wir langfristig vor Ort Unterstützungsprogramme aufbauen müssen«. Das hat sie mit anderen Kolleginnen schon vor dem Entstehen der TRC getan und möchte es anschließend wieder fortsetzen. Ihre Zielgruppe sind vor allem Mädchen und Frauen, die im Krieg vergewaltigt, verschleppt und mißbraucht wurden. Häufig wurden sie von ihren Familien und Gemeinden verstoßen und schlagen sich jetzt als Prostituierte oder Bettlerinnen durch. Ihre Situation ist katastrophal, viele haben unbehandelte Geschlechtskrankheiten, haben ein sehr ambivalentes Verhältnis zu ihren Kindern und gehen weitere Mißbrauchsbeziehungen zu Männern ein. Einige Frauen sind drogenabhängig. Graceland Counselling Service nennen Bondu und ihre Kolleg(inn)en ihr Projekt, das in verschiedenen Provinzen mehrmonatige Workshops und regelmäßige Gruppentreffen mit den Frauen durchführt. »Wir versuchen die Suche nach ökonomischen Alternativen mit Gesprächen über ihre aktuelle Situation und ihre Erfahrungen während des Krieges zu verbinden. Das ist oft sehr schwierig und wir müssen langsam vorgehen. Wenn wir gesundheitliche Probleme sehen, versuchen wir, die Frauen in eine Klinik zu bringen, wenn es eine vor Ort gibt. Oft trauen sich die Frauen nicht oder die Klinik hat gar nicht die notwendigen Medikamente.«

Die finanzielle Situation des Projekts ist schwierig, teils arbeiten sie ehrenamtlich, teils mit kurzfristiger Unterstützung. Jetzt möchten sie gerne ein langfristiges Programm mit den Frauen entwickeln, das auch in andere Provinzen übertragen werden kann. Und im Austausch mit Zandile über die Konzeptentwicklung bleiben.

Usche Merk

medico möchte das langfristige Programm zur Unterstützung mißbrauchter Frauen des Graceland Counselling Service unterstützen ebenso wie die Arbeit der Truth and Reconciliation Working Group, die in weiteren Workshops lokale psychosoziale Programme und ein Entschädigungskonzept ausarbeiten will. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung unter dem Stichwort: PSYCHOSOZIALE ARBEIT

Veröffentlicht am 01. November 2003

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