Shame on the Game

Südafrikanische Apartheid-Opfer nutzten die Fußball Weltmeisterschaft, um Daimler anzuklagen

Südafrika, Sommer 2010. Der Stern, das weltberühmte Logo des Daimler-Universums, ist überall präsent, prangt auf Trainingsjacken, in Fernsehsendungen, auf Leinwänden. Der Stuttgarter Konzern ist der wichtigste Sponsor der deutschen Fußballnationalmannschaft während der Weltmeisterschaft – der ersten überhaupt auf afrikanischem Boden. Bei vielen Südafrikanerinnen und Südafrikanern aber weckte die Allgegenwart des Sterns schlimmste Erinnerungen, rief lang vergessene Bilder aus der Zeit der Apartheid zurück. Denn die Sicherheitsdienste des Regimes nutzten damals umgebaute Mercedes-Unimogs, wenn sie die Unruhen in den Townships brutal niederschlugen.

Die guten Geschäfte der Stuttgarter mit der weißen Regierung in Pretoria verstießen gegen das weltweit bindende Südafrika-Waffenembargo der UNO. Für das Bundesbezirksgericht von New York sind die Vorwürfe gegen Daimler so stichhaltig, dass das Gericht 2009 eine Sammelklage des medico-Partner Khulumani angenommen und ein Verfahren gegen den Konzern und andere Profiteure des Unrechtsregime eröffnet hat. Khulumani ist eine Menschenrechtsorganisation – und mit 50.000 Aktivistinnen und Aktivisten die landesweit größte Selbstorganisation der Apartheidüberlebenden.

Kampagne Star of Apartheid

Mit der Unterstützung weiterer Partner riefen Khulumani und medico deshalb die Kampagne „Daimler – Star of Apartheid“ ins Leben. Mit gezielter Imageschädigung und mit einer Aufklärungsoffensive über die unrühmliche Vergangenheit von Daimler wandten wir uns an die deutsche und die südafrikanische Öffentlichkeit, an die FIFA und an den Deutschen Fußballbund, der für die Wahl des Sponsors verantwortlich war. Dabei wollten wir die Apartheid-Vergangenheit mit den heutigen Kämpfen um soziale Gerechtigkeit in Südafrika zu verbinden und angemessene Reparationszahlungen für das geschehene Unrecht von Daimler einfordern.

Eingeladen von medico sprach im Vorfeld der WM Mpho Masemola von Khulumani vor 5000 Aktionären auf der Daimler-Hauptversammlung und warb um freiwillige Entschädigungszahlungen des Konzerns. Sein Rederecht im höchsten Organ der Aktiengesellschaft verdankt er den Kritischen Daimler-Aktionären, die ihm das Stimmrecht einer Aktie übertragen hatten. Überreste der Apartheid trägt Mphos im eigenen Schädel: Schrapnelle, die operativ nicht entfernt werden können. Die Handgranate der Polizei traf ihn 1991 auf einer Demonstration für die Freiheit der politischen Gefangenen und gegen die rassistische Polizeigewalt, er war damals gerade erst von Haft und Folter freigekommen. Denn Mpho ist auch Augenzeuge für den Einsatz der umgebauten Mercedes-Unimogs, mit denen die Sicherheitskräfte, die ihm die Schrapnelle verpassten, auf der Demonstration vorgingen. Mpho war zugegen, als Khulumani 20 Jahre nach dieser Demo zum WM-Start ein Infozentrum in Soweto eröffnete. Hier konnten die Menschen gemeinsam die Spiele schauen und fanden zugleich einen Raum, über die Rolle internationaler Konzerne während der Apartheid und aktuelle Probleme des Landes zu debattieren: Vertreibung, Privatisierung, Xenophobie. Die Aktivistinnen und Aktivisten von Khulumani reisten durchs Land und berichteten an allen Spielstätten von ihren Gewalterfahrungen und ihrem Widerstand. Wir in Deutschland sammelten Unterschriften und forderten Daimler auf, die Archive zu öffnen und die Überlebenden zu entschädigen. Vor Mercedes-Läden fanden Flashmobs statt, auch die Medienaufmerksamkeit war überraschend groß - obwohl die Ereignisse Jahrzehnte zurückliegen. Daimler wurde nervös und schickte eine Mitarbeiterin inkognito zu einem unserer Kampagnentreffen. Im Herbst übergaben wir in Stuttgart mehrere Tausend Unterschriften an den Konzern.

Der Arroganz des Konzerns war mit alldem allerdings nicht beizukommen: Daimler wird die Forderungen der Opferverbände auch weiterhin ignorieren. Es ist diese Verhärtung gegen offenbares Unrecht, die den Konzern schon zu den Zeiten der Apartheid auszeichnete. Unser Ziel, an die Erinnerung an den Verbrechen von damals zu erinnern, haben wir trotzdem erreicht, und medico wird Khulumani in der politischen und juristischen Auseinandersetzung mit Daimler weiter unterstützen. Die NS-Zwangsarbeiter warteten fast 50 Jahre auf eine Entschädigung durch deutsche Konzerne. Zu diesem Zeitpunkt waren sehr von ihnen bereits gestorben. Dieser entwürdigende Umgang mit den Überlebenden darf sich nicht wiederholen.

medico international unterstützt Khulumani seit 1997.

Veröffentlicht am 02. Mai 2011

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