Wie kann es gelingen, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in seiner moralischen Katastrophe und seiner politischen Dimension zu begreifen, die Ereignisse zu kontextualisieren und eine angemessene politische Kritik zu erarbeiten? Ausgehend von dieser Fragestellung haben wir in der letzten Ausgabe des Rundschreibens ein Interview mit dem spanischen Philosophen Raúl Sánchez Cedillo über sein Buch „Dieser Krieg endet nicht in der Ukrai ne“ veröffentlicht. Damals lag es nur auf Spanisch vor. Nun ist es mit medico-Unterstützung im österreichischen Verlag transversal texts auf Deutsch erschienen.
Rund um den ersten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine hat medico in zwei Dis kussionsveranstaltungen das Buch vorgestellt. Dabei hatten die Gespräche höchst unterschiedliche Akzente. In der voll besetzten taz-Kantine in Berlin diskutierten Raúl Sánchez Cedillo und der taz-Parlamentskorrespondent Stefan Reinecke zwei intensive Stunden lang über die Deutung dieses Krieges und seine Auswirkungen in Europa. Das streitbare Gespräch zeichnete sich durch das Ringen um politische Genauigkeit aus und bewegte sich explizit nicht im moralisch aufgeladenen Raum so vieler gegenwärtiger Debatten.
Im ebenfalls gut besetzten Saal des Frankfurter Mousonturms beschäftigten sich Raúl Sánchez Cedillo und der ukrainische Soziologe Volodomyr Ishchenko mit den Auswirkungen des Krieges auf emanzipatorisches Denken und soziale Bewegungen. Im Berliner Gespräch zeigte sich, dass es ein Anliegen sein muss, der Einebnung von Konflikten, dem neuen „Wir hinter der NATO“, zu widerstehen. Dass Demokratie als Grundvoraussetzung den Streit hat und das drohende, von Sánchez Cedillo als „Kriegsregime“ bezeichnete, Herrschaftsmodell genau sie gefährdet, war ein wichtiger Gegenstand der Debatte. In Frankfurt hingegen stellte sich ausgehend von der Beschreibung des Maidan-Aufstands in der Ukraine als „defizitärer Revolution“ die große Frage nach der Notwendigkeit einer Neugründung der Linken. Eine kostenlose PDF-Ausgabe des Buches kann auf der medico-Webseite heruntergeladen werden, wo auch die Aufzeichnungen der Veranstaltungen abrufbar sind.