Hilfe für psychisch Kranke – ein marktorientiertes Produkt?

medico unterstützt die Kampagne gegen das pauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP)

Zusammen mit zahlreichen Sozialverbänden und Klinikleitungen fordert medico die Bundesregierung auf, die Umsetzung des Pauschalierenden Entgeltsystems für Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) zu stoppen und die endgültige Einführung zu verhindern.

Knapp 10 Jahre nach der Einführung des Diagnose bezogenen Entgeltsystems (DRGs) in der somatischen Medizin wird diese Form der Krankenhausfinanzierung, an die das PEPP angelehnt ist, mittlerweile von vielen Verbänden und Wissenschaftlern scharf kritisiert. Unter den Bedingungen von Wettbewerb und Markt haben die DRGs zu einer potenziell gesundheitsgefährdenden Fehlversorgung geführt. Einerseits werden schwer kranke Menschen unterbetreut und zu früh entlassen. Andererseits werden unnötige Behandlungen durchgeführt, weil sie zu den gut bezahlten Diagnosen bzw. Eingriffen gehören. Der Personalabbau insbesondere in der Pflege kann direkt auf die Anreize in diesem Finanzierungssystem zurückgeführt werden. Fürsorge, Menschlichkeit und Pflege passen nicht in ein System der Standardisierung und Pauschalisierung.

Trotz der problematischen Erfahrungen mit den Fallpauschalen in anderen medizinischen Bereichen hat das Gesundheitsministerium im letzten Jahr ein solches Finanzierungssystem auch für die psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken zunächst für ein Jahr eingeführt. Im Herbst soll nun entschieden werden, ob der Umsetzungsprozess fortgesetzt wird.

Dagegen wehren sich viele Fachverbände vehement, denn die “Verbetriebswirtschaftlichung” medizinischer und menschlicher Prozesse öffnet das Gesundheitssystem dem Markt und der Privatisierung. Die Einführung in die Psychiatrie und Psychosomatik führt zu einer Ökonomisierung der psychosozialen Arbeit, die den Kern einer Fürsorgebeziehung für in Not geratene Menschen angreift. Durch die Unterwerfung unter das Diktat des Budgets und planbaren Erfolgs verwandelt sich der Dienst am Menschen zum ‚Kundendienst’ für die Gesundheitsindustrie. Wo es lukrativ ist, werden bei Kranken mit leichteren Störungen auch unnötige Behandlungen durchgeführt, die schwer psychisch Kranken werden stattdessen einer verstärkten Medikalisierung ausgesetzt.

Damit wird Zuwendung, Empathie und Solidarität mit Hilfsbedürftigen strukturell abgeschafft. Die der sozialen und helfenden Arbeit zugrunde liegende Intention, Mitmenschlichkeit zu zeigen und menschenwürdige Verhältnisse zu befördern, wird grundlegend in Frage gestellt. Die profitorientierten Interessen verstecken sich hinter messbaren formalen Normen und Zeittakten, wo Behandlungstechnik und Methode wichtiger werden als die Haltung, einem einzigartigen Menschen bedarfsorientiert helfen zu wollen. Was unter dem Begriff Qualitätsmanagement an Standardisierung und Modularisierung eingeführt wird, entspricht eher einer Entwertung und Deprofessionalisierung der Heilberufe als einer Qualitätsverbesserung im Interesse der Hilfsbedürftigen.

Ökonomisierung von Gesundheit im Süden

Die Ökonomisierung von Gesundheit ist auch in den Ländern des Südens in vollem Gange. Insbesondere in der psychosozialen Versorgung sind die Hilfsbedürftigen der Logik des Marktes und den Konjunkturen der privaten Hilfe ausgeliefert, da es in den meisten Ländern des Südens nie ein etabliertes, am Gemeinwohl orientiertes öffentliches Versorgungssystem gab, das für alle zugänglich war.

Gleichzeitig wächst der Bedarf. Laut WHO nehmen weltweit psychische Erkrankungen und Belastungen zu, insbesondere in den armen und ärmsten Ländern, in denen es am wenigsten Hilfsangebote gibt.

In diese Lücke stoßen ethisch fragwürdige Hilfsangebote und billige Pharmaprodukte. In Indien ist zum Beispiel der Verbrauch von Antidepressiva in den letzten Jahren massiv angestiegen, sie werden von Hausärzten verschrieben und über den Ladentisch gehandelt, besonders in den Armutsvierteln. Auch die Folgen traumatischer Erfahrungen durch Gewalt, Ausgrenzung und extreme Armut werden schnell über medikalisierte Störungsdiagnosen zu einer individuellen Pathologie erklärt. Die Lösungen sucht das internationale Hilfsbusiness in standardisierten, kostengünstigen Kurztherapien.

Diese Art von Hilfe blendet aus, dass der Begriff von psychischen Krankheiten wie Depression oder Trauma von gesellschaftlichen Bedingungen und den jeweiligen kulturellen Deutungsmustern, unter denen er geprägt wird, nicht zu trennen ist. Doch die Globalisierung von biomedizinischen Diagnosen bevorzugt westliches Expertenwissen und westliche Pharmaprodukte. Hilfe im Zusammenhang von sozialer Solidarität und mit kulturspezifischen Heilmethoden wird an den Rand gedrängt oder selbst als Produkt vermarktet.

Einmischung und Unterstützung von Alternativen

medico unterstützt die Kampagne gegen PEPP, weil für uns psychosoziale Arbeit auch eine Sache der Haltung ist: Sich in fachliche Auseinandersetzungen einzumischen bedeutet, die widerständigen Interessen zu kennen und beim Namen zu nennen, damit deutlich wird, was auf dem Spiel steht. Aber auch, um Alternativen sichtbar zu machen, die es weiterhin gibt. Zusammen mit Projektpartnern in Afrika, Lateinamerika, Nahost und Südostasien versuchen wir psychosoziale Ansätze zu unterstützen, in denen die Betroffenen als Subjekte im Zentrum stehen, die auf der Basis ihrer Bedürfnisse bei Heilungs- und Veränderungsprozessen begleitet werden.

Online-Petition

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den DRGs (“Fallpauschalen”) fordern wir die Bundesregierung auf, das Pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) nicht einzuführen.

Die Petition gegen PEPP kann auf www.weg-mit-pepp.de unterzeichnet werden.

Veröffentlicht am 06. November 2013

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