Südafrika

Breaking the Walls of Trauma Counselling

Eine kritische Analyse von vorherrschenden Traumakonzepten im Kontext städtischer Lebensrealitäten in Johannesburg

Von Mpumi Zondi
 

Vorspann

Viele Traumatherapeuten in Südafrika werden in kurzen, stark strukturierten – auf ein traumatisches Ereignis fokussierten – Therapieformen ausgebildet, die sich an DSM-Diagnosen für posttraumatische Belastungsstörungen anlehnen und in der Regel verhaltenstherapeutisch ausgerichtet sind. Mpumi Zondi beschreibt aus ihrer praktischen Erfahrung als Beraterin und Therapeutin heraus, wie wenig dieseklinischen Ansätze an die Bedürfnisse und Realitäten von marginalisierten Menschen in Südafrika angepasst sind, und skizziert am Beispiel ihrer Community-Arbeit, wie eine kontext-orientierte umfassende Hilfe aussehen kann.
 

Einleitung

In den meisten Diagnosen, die uns begegnen, wird Trauma definiert als »psychologisch quälendes Ereignis, das außerhalb der gewöhnlichen menschlichen Erfahrungen steht« (Perry, 2003). Die American Psychological Association, der Berufsverband amerikanischer Psychologen, beschreibt Trauma in ähnlicher Weise als »eine emotionale Reaktion auf ein schreckliches Ereignis wie einen Unfall, eine Vergewaltigung oder Naturkatastrophen« (APA, 2014).

Diesen und vielen anderen Definitionen von Trauma, von denen wir hören, scheinen folgende Annahmen zugrunde zu liegen, die gleichzeitig die Therapieansätze beeinflussen:

  • Dass das traumatische Ereignis einer Person zustößt, die ein einigermaßen stabiles Leben hat, und das Ereignis daher ihre bisherige Weltsicht, ihren Glauben und ihre Stabilität erschüttert.
  • Wenn das Ereignis als etwas außerhalb der »normalen« menschlichen Erfahrung definiert wird, dann werden Trauma-Symptome oft als »normale« Reaktionen auf »unnormale« Situationen verstanden.
  • Therapieansätze zur Behandlung von Trauma sind oft kurz und zeitlich beschränkt und enthalten sehr spezifische Phasen oder Schritte, nach denen vorgegangen werden soll. Dahinter scheint die Annahme zu stehen, dass Auswirkungen von Trauma innerhalb einer begrenzten Zeit durchgearbeitet werden können.
  • Therapie soll darauf gerichtet sein, die Rückkehr zu Sicherheit und Normalität zu erarbeiten. Das letztendliche Ziel ist es, dass Klienten Kontrolle und Bewältigungsstrategien über ihr Leben zurückgewinnen. Es wird angenommen, dass die Klienten in ein Leben mit Sicherheit und »Normalität« zurückkehren werden.
  • Oft wird davon gesprochen, dass Klienten »Traumaüberlebende« sind, dahinter steht die Annahme, dass sie überlebt haben und der Sturm vorbei ist.

Ziel dieses Beitrags ist es, die oben aufgeführten Annahmen, die vielen vorherrschenden Traumamodellen zugrunde liegen, auf der Basis unserer Arbeit in der Johannesburger Einrichtung Sophiatown Community Psychological Services (SCPS) kritisch zu analysieren. Bezugnehmend auf unsere eigenen Erfahrungen und die Realitäten unserer Klienten schlagen wir vor, Trauma-Arbeit anders zu konzipieren, besonders für den afrikanischen Kontext. Als Organisation sehen wir uns verpflichtet, zu einem alternativen Denken über Trauma beizutragen. Unser Engagement beschränkt sich nicht nur auf interne Reflektionen und Gespräche über eine Rekonzeptualisierung von Trauma, sondern bedeutet auch die Zusammenarbeit mit anderen Praktikern im psychosozialen Feld, um diese Veränderung zu beeinflussen. Letztlich haben wir die Vision, den Theoriebildungsprozess zu beeinflussen, indem wir zusammen mit anderen afrikanischen Praktikern Traumamodelle entwickeln, die für unsere Kontexte bedeutungsvoll sind.[1]
 

Der allgemeine Kontext unserer Klienten

Sophiatown Community Psychological Services (SCPS) ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO), die kulturell und sozial angepasste Formen von psychosozialer Unterstützung für ökonomisch marginalisierte Individuen, Familien und Gemeinden in der Krise in einigen Teilen Johannesburgs anbietet. Wir stellen psychosoziale Hilfe durch verschiedene Interventionsformen bereit: Individuelle Beratung und Therapie, Gruppentherapie, Gesprächsund Lerngruppen für Eltern, Stadtteilarbeit mit jugendlichen Mädchen und Jungen, Fortbildung und Kampagnenarbeit.

Arm und marginalisiert

Unsere Klienten sind Südafrikaner aus verschiedenen ethnischen Gruppen und Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Ländern. Die meisten der Klienten sind arm und haben keine sichtbaren Mittel der ökonomischen Unterstützung, die wenigen, die irgendeine Form der Beschäftigung haben, arbeiten zeitweilig als Hausangestellte oder in Jobs, in denen sie weniger als den Mindestlohn bekommen. Manche verdienen sich etwas durch den Verkauf von Recyclingmaterial, andere sind Straßenhändler, die permanent von der Stadtpolizei schikaniert werden.

Unsere Klienten im Sophiatown Büro Ost leben in überfüllten Häusern und Apartmentblocks rund um die Innenstadt und werden durch Vermieter mit extrem hohen Mieten ausgebeutet. Die meisten dieser Klienten sind Frauen, viele kommen aus anderen afrikanischen Ländern und erleben aus diesem Grund Diskriminierung und Ausgrenzung. Die Klienten, die wir im Sophiatown Büro West betreuen, kommen aus Soweto und den angrenzenden informellen Slumsiedlungen. Diejenigen, die rund um das Sophiatown Büro West leben, wohnen oft in Sozialwohnungen, in denen es zahlreichen Drogen und Alkoholmissbrauch sowie eine hohe Kriminalitätsrate gibt. Die Klienten aus den Townships und informellen Siedlungen besitzen keine eigenen Häuser, sondern leben meistens mit der Großfamilie in einem Familienhaus, das oft die Quelle von heftigen Familienkonflikten ist. Manchmal nutzen auch Studenten unsere Dienste, da wir nicht weitvon der Universität entfernt sind.

Im Sophiatown Büro West bieten wir Unterstützung im Büro an, aber wir haben auch Gemeindetherapeutinnen und Sozialarbeiterinnen, die ihre Dienste in der Gemeinde anbieten, indem sie wöchentlich zu Schulen und Gemeindezentren gehen. Dazu gehören auch Hausbesuche, bei denen unsere Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen die sozialen Probleme der Klienten vor Ort erkunden und mit deren Familien auf ganzheitliche Weise zusammenarbeiten.

HIV-AIDS, häusliche Gewalt und sexuelle Gewaltverbrechen

Die meisten unserer Klienten sind von HIV-AIDS betroffen oder leben selbst damit. Die Armut einiger Klienten aus den informellen Siedlungen und Slums trägt zu den Infektionen bei, weil sie sich manchmal auf transaktionelle Beziehungen einlassen, in denen sie finanzielle Unterstützung im Austausch für Sex erhalten. Beziehungen sind durch häusliche Gewalt, sexuelle Gewalt und Drogenmissbrauch geprägt. Auswirkungen davon sind instabile Familienverhältnisse, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch von Kindern.

Wir haben Gemeindearbeiterinnen, die durch diese Stadtteile gehen, um emotionale und praktische Unterstützung für die Schwerkranken anzubieten, die nicht mehr in der Lage sind, unser Zentrum zu erreichen.

Geschlechtsspezifische Gewalt ist eine alltägliche Realität für Frauen, besonders für die Mädchen, die zu uns kommen. In den Schulen, in denen wir Beratung und Therapie anbieten, werden Jugendliche oft Opfer von Gruppenvergewaltigungen, nicht selten werden ihre Drinks auf Partys manipuliert und sie dann vergewaltigt, was sie zudem dem Risiko einer HIV-Infektion aussetzt.

Schichten von Diskriminierung

Unsere Klienten erleben Diskriminierung auf verschiedenen Ebenen. Sie werden als Frauen diskriminiert, als Ausländer, als Menschen, die mit HIV-AIDS leben, als arbeitslose Männer, als arme Menschen und auch als Kinder. Die weiblichen Klientinnen sind zudem damit belastet, sich um ihre Kinder zu kümmern. Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, erleben große Anpassungsprobleme sowie traumabezogene Belastungen, die viele Wurzeln haben: frühkindliche Gewalterfahrungen in der Familie, Krieg und Verfolgung in den Heimatländern, feindselige und xenophobe Erfahrungen in Südafrika. Die Diskriminierung selbst kommt von unterschiedlichen Akteuren: manchmal von ihren eigenen Familien, Gemeinden und leider auch von öffentlichen Einrichtungen wie Kliniken, Krankenhäusern, Sozialbehörden, Ämtern und Schulen. Manchmal müssen wir in ihrem Namen intervenieren, indem wir für ihre Grundrechte anwaltschaftlich eintreten oder mit anderen Organisationen Kampagnen organisieren.
 

Thembis Geschichte

Die folgende Geschichte einer jungen Klientin zeigt die Komplexitäten, mit denen wir in unserer Therapie arbeiten, und gibt einen Einblick indieBegrenzungen des vorherrschenden Traumamodells als effektiven Weg der Begleitung unserer Klienten.

Thembi[2] kam Anfang 2013 als 21-Jährige in unsere Beratung. Sie war verzweifelt, nachdem sie 2011 von ihrem Cousin unter Drogen gesetzt, vergewaltigt und infolge davon schwanger geworden war. Ihre Versuche, die Schwangerschaft zu beenden, waren erfolglos; zu Beginn unseres Therapieprozesses war ihr Baby schon sechs Monate alt.

Thembi lebt mit ihrer Mutter, zwei Geschwistern und dem Baby in einem angebauten Raum im Hof des »Familienhauses« in Soweto. In ihrer Familie erfährt sie kaum Unterstützung, man glaubt ihr nicht und fragt sie immer wieder, ob sie sich sicher sei, dass dieser Cousin sie vergewaltigt habe. Nur ihre Mutter glaubt ihr und unterstützt sie.

Der Kontext der Klientin

Thembi ist Teil einer Generation in Südafrika, die als »born free generation« bekannt ist – weil sie gegen Ende der Apartheid 1994 geboren wurde. Diese Generation wurde in die Hoffnungen auf eine bessere Bildung, ökonomische Freiheit und andere Versprechungen hineingeboren, die mit dem demokratischen Südafrika einhergingen. Für viele junge Leute verwirklichten sich diese Versprechen nicht, und so sind viele von ihnen desillusioniert von der südafrikanischen Demokratie.

Extreme Belastungen in Bezug auf materielle Bedürfnisse sind eine alltägliche Realität unserer Klienten. Obwohl Thembi ihre Schulausbildung bis zum Ende der Sekundarschule absolvierte, konnte sie nicht weiterstudieren und ihre Pläne verwirklichen, eine IT-Spezialistin zu werden, weil sie sich die Studiengebühren nicht leisten konnte. Sie arbeitet heute als Kellnerin in einer touristischen Gegend von Soweto. Obwohl das Restaurant gut besucht ist und gut läuft, verdient Thembi nur 800 südafrikanische Rand (ca. 60 Euro) pro Monat. Seit der Geburt ihres Babys war sie gezwungen, Kontakt mit ihrem Vergewaltiger aufzunehmen, um nach finanzieller Unterstützung für das Baby zu fragen. Dies verkomplizierteihreBeziehung zu dem Vergewaltiger. Thembihat zudem Schwierigkeiten, jemanden zur Betreuung für das Baby zu finden, sodass sie manchmal zu spät in die Therapiesitzungen kam.

Psychologische Dynamiken

Thembi ist wegen der ungewollten Schwangerschaft fortgesetzt unter Druck. Ihr Baby ist eine permanente Erinnerung an die Vergewaltigung und das Trauma, und sie hatte Schwierigkeiten, mit dem Baby eine Bindung einzugehen. Ein weiterer Konflikt war, dass das Baby einen unerwünschten Bruch in ihrem jungen Leben bedeutete. Sie war so verzweifelt und überwältigt, dass sie zweimal während ihrer Schwangerschaft erfolglos Selbstmordversuche unternahm.

Thembi erhielt außerdem bedrängende Botschaften von ihrem Vergewaltiger, der ihr dafür dankte, ihm ein Baby geschenkt zu haben. Er schien die Vergewaltigung zu leugnen und gab vor, dass alles zwischen ihnen im Einvernehmen geschehen war. Er wurde nie verhaftet und sie war entsetzt über diese Belästigungen.

Thembi hatte ein Gefühl für sich selbst und ihre Würde verloren. In den Sitzungen erwähnte sie andauernd, dass sie ihr Gefühl von Sicherheit niemals zurückbekommen würde, weil sie noch nicht einmal ihrem familiären Umfeld trauen konnte. Sie verlor die Freiheit, keine Verpflichtung zu haben und von einer schönen Zukunft zu träumen. Mit ihrem Neugeborenen wurden die Sorge um das Kind und die täglichen Überlebenskämpfe zu Thembis Prioritäten. Dabei verlor sie ihren Freundeskreis. Sie war sozial isoliert und fühlte, dass sie nirgends mehr dazugehörte. Sie fühlte sich erneut traumatisiert, als sie sich gezwungen sah, den Täter um finanzielle Unterstützung für das Baby zu bitten.

Thembis eigener biologischer Vater schien keinerlei Rolle in ihrem Leben zu spielen, aber sie hat einen Stiefvater, der ein positives männliches Rollenmodell ist. Solang sie sich erinnern kann, hatte Thembi den Eindruck, dass sie um die Liebe ihrer Mutter mit ihrer älteren Schwester konkurrierte. Sie hatte immer das Gefühl, dass sie für ihre Mutter nicht gut genug sei, und bemühte sich fortwährend, ihr zu gefallen. Dieses Bedürfnis nach Anerkennung durch die Mutter beeinflusst ihre Entscheidungen über die wenigen Ressourcen, die sie hat – wenn sie zum Beispiel beweisen will, dass sie sich um die ganze Familie kümmern kann. Sie glaubte, sie sei nicht gut genug, und dieses Gefühl vertiefte sich nach der Vergewaltigung. Sie hat ein sehr niedriges Selbstwertgefühl und sucht danach, anderen zu gefallen.

Weitere traumatische Belastungen

Während unserer therapeutischen Arbeit mit Thembi im vergangenen Jahr war sie weiteren traumatischen Belastungen ausgesetzt. Ihr Stiefvater starb auf tragische Weise bei einem Autounfall und ihre Mutter wurde beschuldigt, an seinem Tod mitgewirkt zu haben, um finanziell davon zu profitieren. Auch die Schwester des Cousins starb plötzlich. Außerdem gab es einen bewaffneten Raubüberfall an ihrem Arbeitsplatz. Während der Arbeit an den vorher erwähnten Themen musste die Therapie sich auch diesen neuen Belastungen zuwenden.

Grenzen des vorherrschenden Traumakonzepts für unseren Ansatz

Ein Verständnis, das Trauma als etwas begreift, das in einem einzelnen Ereignis wurzelt, ist für uns eine Herausforderung, da unsere Klienten so viele Schrecken erleben. Wenn wir sie auf ihrer inneren Reise begleiten, wird uns bewusst, dass das, was sie durchmachen, kein Ereignis ist, sondern eine dauerhafte emotionale Erfahrung. »Trauma« ist so sehr Teil dessen, wer sie sind, und eine Realität in ihren Lebensgeschichten, manchmal so lange, wie sie sich erinnern können.

Viele Faktoren, die zu Heilungsprozessen beitragen können, wie zum Beispiel familiäre Unterstützung, existieren für viele unserer Klienten nicht. Sie sind vielmehr mit kontinuierlichen täglichen Belastungen und Grausamkeiten konfrontiert. Vorherrschende Traumakonzepte fokussieren darauf, dass der Klient so bald wie möglich im Beratungsprozess »seine Geschichte wiedererzählt«. Doch auf dem Hintergrund von materiellem Mangel unserer Klienten ist es oft nicht möglich, sie emotional zu erreichen, sobald sie den Therapieraum betreten.

Häufig ist ihre Priorität, erst einmal, ihren quälenden Hunger zu bekämpfen, das heißt ihre psychologischen und emotionalen Bedürfnisse stehen in der zweiten Reihe. Manchmal zeigen sich Klienten auch emotional abgestumpft gegenüber den Gräueln, die sie erfahren haben, weil sie vielleicht zuerst an Essen für ihre Kinder denken, Geld für die Miete, Schulgebühren oder andere materielle Bedürfnisse. Das Mainstream-Verständnis über Traumareaktionen ist, dass es sich um normale Rektionen auf unnormale Ereignisse handelt. Für unsere Klienten ist die »Abnormalität« allerdings ihre Lebensgeschichte und diese wurde mit der Zeit normal für sie.

Vorherrschende Modelle basieren außerdem auf der Idee, Klienten bei der Rückkehr in sichere Verhältnisse zu helfen. Hier wiederum ist es so, dass unsere Klienten keine Sicherheit haben, in die sie zurückgehen können. Wenn wir sie am Beginn einer Sitzung fragen, wie es ihnen geht, und sie antworten mit den Worten: »Mir geht’s gut«, dann wissen wir, dass die dahinterstehende psychologische Bedeutung dieser Worte häufig sein könnte: »Ich bin am Leben.«

Schließlich ist das typische Ziel von Traumatherapien, den Klienten dabei zu helfen, wieder »Kontrolle über ihr Leben« zu bekommen und die Herausforderungen zu bewältigen. Das ist eine Illusion für uns. Wie kann man Kontrolle zurückgewinnen, wenn man in seiner Erinnerung niemals das Gefühl hatte, Kontrolle zu haben? Wenn der Horror weitergeht und so sehr Teil des täglichen Lebens ist? Die Komplexitäten der Lebensgeschichten unserer Klienten sind unmöglich in ein ordentliches, Schritt-für-Schritt-Kurzzeit-Traumatherapie-Programm unterzubringen. Wir haben festgestellt, dass wir auf der Reise unserer Klienten, einem äußerst langwierigen Prozess, dabeibleiben müssen.
 

Sophiatowns Methoden, um mit Trauma zu arbeiten

Im Laufe der Jahre hat SCPS alternative Prinzipien und Methoden entwickelt, um mit Traumapatienten zu arbeiten. Dabei haben wir die konventionellen Verständnisse und Ansätze, in denen wir ausgebildet wurden, kritisch reflektiert und weiterentwickelt, damit sie besser mit den Realitäten unserer Klienten zusammenpassen.

Individuen als Teil eines viel größeren sozialen Kontexts

Wir erkennen an, dass das Problem, von dem ein Klient berichtet, vielleicht wie ein schlimmes Ereignis aussieht (zum Beispiel die Vergewaltigung, die Thembi angibt), aber wir nehmen auch wahr, dass der ökonomische, soziale, kulturelle und politische Hintergrund der Klienten ebenfalls traumatisch sein kann. In dem Maße, wie diese anderen traumatischen Aspekte ihres Lebens sich im therapeutischen Prozess präsentieren, müssen wir auf respektvolle Weise daran arbeiten. Unser Respekt vor den sozioökonomischen und politischen Kontexten der Klienten gründet sich darauf, dass unsere Eltern in diesem Kontext gelebt haben, einigevon uns haben selbst darin gelebt und die meisten von uns sind selbst davon betroffen.

Interventionen sowohl auf psychologischer als auch sozialer Ebene

Der Hunger und die Verzweiflung unserer Klienten rund um Überlebensfragen sind genauso erschreckend wie ihr psychologisches Trauma. Daher unterstützen wir sie in diesen Gebieten auf therapeutische Weise. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir den Klienten Essensgutscheine geben, dies aber in den therapeutischen Prozess einbauen, indem wir mit den Klienten besprechen, was sie mit dem vorübergehenden Freiraum tun könnten, den Essensgutscheine bedeuten können, inwiefern sie behilflich sein könnten, um kleine Jobs im Recycling-Business oder als Babysitterin oder Ähnliches zu finden. Wir können die psychologische Unterstützung nicht von den physischen Bedürfnissen trennen. Der Hunger unserer Klienten zählt für uns, oder wie unsere Direktorin immer sagt: »Einen hungrigen Magen kann man nicht psychotherapieren.«
 

Die Macht von langfristigen Beziehungen

Wir begleiten unsere Klienten auf ihrer Reise

Unsere Sitzungen sind nicht auf eine bestimmte Anzahl beschränkt. Wir arbeiten so lange mit den Klienten, solange siein der Lage und bereit sind, zu kommen. Viele Traumaberatungsangebote sind nur auf vier bis sechs Sitzungen beschränkt, aber wir glauben nicht an kurze Einsätze, die wir »hit and run«-Interventionen nennen. Wir unterstützen die Klienten und arbeiten uns durch die verschiedenen Aspekte des Schreckens, wir verabreden wöchentliche Sitzungen, solange siesie brauchen. Wenn siesich etwas stärker fühlen und allein zurechtkommen, hören sie auf und wir respektieren das. Doch wenn erneute Krisen in ihrem Leben auftauchen und sie Unterstützung brauchen, dann setzen wir die Begleitung fort.

Wir bleiben mit ihnen stecken, nicht weil wir keine Fachkenntnisse haben, sondern weil Fachkenntnisse manchmal nicht genug sind. Wir erkennen an, dass wir oft Zeugen sein müssen für das Wiedererzählen und Wiedererleben von entsetzlichen Lebensgeschichten. Manchmal müssen wir den Mut haben, mit unseren Klienten in Bereiche zu gehen, in denen noch niemand jemals war, und dort zu bleiben, wo keiner bereit ist, mit ihnen zu bleiben, während ihr eigener Kampf weitergeht. Es ist wichtig für uns, die Klienten wissen zu lassen, dass wir nicht weggehen, dass wir sie nicht im Stich lassen, trotz der dunklen, beängstigenden Orte, an die sie uns mitnehmen.

Fachkenntnisse und Weisheit helfen uns zu verstehen, dass hinter den materiellen Bedürfnissen, die die Klienten als erste Priorität präsentieren, eine Lebensgeschichte von Schrecken, Schmerz und zerbrochenen Träumen steht, zerbrochene Identitäten, ein Leben, das durch Gewalt unterbrochen wurde, Wunden, die weiter bluten. Wir haben akzeptiert, dass nur, wenn Klienten sehen, dass wir nicht weggehen, sie langsam anfangen, uns zu vertrauen, und bereit sind, sich den tief sitzenden, traumatischen Grausamkeiten zu öffnen.

Wir feiern kleine Siege mit unseren Klienten

Momente wie solche, als Thembi ihr Baby zum ersten Mal liebevoll anlächelte oder mit wenigstens einem ihrer Freunde wieder Kontakt aufnahm, als sie ihre Träume wieder aufnahm und sich erinnerte, dass sie einmal die IT-Arbeit sehr mochte, all das ist bedeutungsvoll für uns. Diese Verschiebungen mögen nach nichts aussehen für jene, die außerhalb des Chaos stehen, aber sie geben sowohl den Klienten als auch uns Therapeuten Hoffnung.

Wir erkennen unsere eigenen Gefühle als Therapeuten an

Wir sind uns der Hilflosigkeit bewusst, die wir manchmal selbst empfinden, wenn wir mit unseren Klienten arbeiten. Wir reflektieren über unsere Hilflosigkeit und die anderen Gefühle der Wut und des Schmerzes, die wir von unseren Klienten während der Begleitung übernehmen. Deshalb legen wir großen Wert auf Supervision, wo die Berater diese Gefühle ausdrücken können, ohne sich zu schämen oder Angst zu haben, negativ beurteilt zu werden. Wir reden dann über alle unsere Frustrationen, über den Mangel an Fortschritt, unseren Ärger über Apathie und mangelnde Veränderungsbereitschaft der Klienten, alles ist in diesem geschützten Rahmen erlaubt, wird gehört, als normal und menschlich betrachtet und reflektiert. Auf diese Weise stärken wir uns, um die Reise mit den Klienten fortzusetzen.

All diese Arbeit bedeutet, dass wir geduldig sein müssen, dass wir respektvoll und präsent für die komplexen Traumata unserer Klienten sind. Wir glauben, dass dies ihnen ein Gefühl von Würde gibt und dass diese Würde zum Heilungsprozess beiträgt.

Wir sind keine Experten, sondern Partner im Heilungsprozess

Wir glauben, dass wir Partner mit Fachkenntnissen sind, mit einem Rahmen und ethischen Prinzipien, die unsere Arbeit leiten, aber wir können niemals Experten über das Leben unserer Klienten sein, weil selbst dies Macht von ihnen wegnehmen würde. Zum Beispiel haben wir keine Angst, uns gemeinsam hilflos zu zeigen, anstatt auf unseren Theorien zu beharren und uns schlau zu geben. In diesem Sinne und mit dieser Haltung bieten wir alle unsere psychosozialen Dienste an.
 

Abschließende Gedanken

Bei SCPS behaupten wir nicht, dass unsere alternativen Methoden im Umgang mit Trauma die psychosoziale Welt revolutionieren werden. Wir behaupten nicht, dass sie für jeden nützlich sind. Aber wir wollen einen Samen legen und darauf vertrauen, dass dieser Samen durch weitere Diskussionen und Reflektionen wächst und gedeiht. Für uns ist es wichtig, die psychosozialen Bedürfnisse von armen und marginalisierten Menschen zu thematisieren und anzugehen, und wir glauben, dass man sich auf respektvolle Weise mithilfe dieser alternativen Methodender Traumatherapiedarum kümmern kann.

Die folgenden Worte sind von einer Klientin, die wir die letzten drei Jahre begleitet haben. Sie ermutigen mich in den dunkelsten Zeiten mit Klienten und Beratern. Diese Worte treiben meinen Glauben an, dass wir tatsächlich die engen Mauern der konventionellen Traumatherapie niederreißen müssen:

Durch meine Reise mit SCPS erfuhr ich Respekt, ich wurde behandelt, als ob ich ganz wäre, obwohl ich zerbrochen war. Ich wurde geborgen, gehalten, genährt und manchmal fühlte ich mich, als ob ich wie ein Baby gewiegt wurde. Ich weinte, bis meine Tränen versiegten, mein Weinen verjagte meine Therapeutin nicht. Die Reise war so lang, weil die Schichten meines Schmerzes sehr langsam abgeschält werden mussten, niemals wurde ich zur Eile gedrängt. Ich bin nicht völlig schmerzfrei, aber ich bin am Leben und nicht nur am Leben, sondern lebendig mit Würde. Das Wissen, dass ich nie alleine gehen werde, gab mir den Mut, weiterzugehen.

Übersetzung: Usche Merk

Anmerkungen

[1] Zum Beispiel im Rahmen des afrikanischen Netzwerks airforafrica.org.

[2] Name wurde geändert.

Literatur

American Psychological Association (APA) (2014). Definition Trauma. URL: apa.org/topics/trauma/ (Stand: 10.09.2015). Perry, B. (2003). Effects of Traumatic Events on Children: An introduction. URL: http://www.mentalhealth connection.org/pdfs/perry-handout-effects-of-trauma. pdf (Stand: 10.09.2015).

(Re)Conceptualizing Trauma – First Convening Report of the African Institute for Integrated Responses to Violence against Women & Girls & HIV-AIDS (AIR). URL: http://airforafrica.org/wp-content/uploads/2014 /12/AIR_Trauma_Convening_Report_Final_WEB-s m-Nov141.pdf (veröffentlicht: November 2014).

Die Autorin

Mpumi Zondi, Sozialpädagogin und Therapeutin, ist klinische Direktorin des Sophiatown Community Psychological Services in Johannesburg. Sie arbeitet seit 19 Jahren mit marginalisierten Menschen, eines ihrer zentralen Anliegen ist die Entwicklung von kulturell und sozial angemessenen psychosozialen Angeboten.

Kontakt

Mpumi Zondi
Sophiatown Community Psychological Services
P.O. Box 177
2142 Westhoven
Südafrika
E-Mail: training@ sophiatowncounselling.co.za
 

Dieser Beitrag ist unter dem Titel »Breaking the Walls of Trauma Counselling« erschienen in »psychosozial« Nr. 142 (IV/2015). Wir danken dem Psychosozial-Verlag für die freundliche Genehmigung zur Dokumentation.

Veröffentlicht am 20. Juni 2016

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