Flucht aus der Ukraine

Wider die Ungleichbehandlung

Ein Gespräch mit Asmara Habtezion über die Situation rassistisch diskriminierter Geflüchteter aus der Ukraine.

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges wurden zahlreiche Drittstaatenangehörige aus der Ukraine evakuiert. Der Verein Asmara's World aus Hamburg organisierte mit Bündnispartner:innen einige dieser Transporte. Nach der Rettung aus dem Kriegsland waren Geflüchtete ohne ukrainischen Pass mit einer ganzen Reihe von Unsicherheiten bezüglich ihrer Lebenssituation, Versorgung und Aufenthaltstitel konfrontiert. In Deutschland sind mindestens 32.000 Personen von den ungleichen Standards betroffen. Wir haben mit Asmara Habtezion gesprochen, der Gründerin des seit 2014 bestehenden und nach Eritreas Hauptstadt benannten Vereins Asmara‘s World. 

medico: Wie gestaltet sich die Situation von Geflüchteten ohne ukrainischen Pass in Deutschland und worin besteht der Unterschied zu anderen Geflüchteten aus der Ukraine?

Asmara Habtezion: Drittstaatenangehörige haben es generell sehr schwer beim Zugang zu einem sogenannten Schutzstatus. Viele von ihnen waren nicht im Zuge von Asylverfahren in die Ukraine eingereist, sondern haben mit Visa, Arbeitsaufenthaltstiteln oder zu Studienzwecken seit Jahren dort gelebt. Ohne ukrainische Staatsbürgerschaft werden sie in den aktuellen Bestimmungen der EU und der Bundesregierung in Bezug auf die Flüchtlinge aber nicht berücksichtigt. Zwar gibt es die sogenannte „Fiktionsbescheinigung“, aber die ist sehr schwer zu verstehen. Diese erhalten zum Beispiel Geflüchtete, die einen Antrag auf Erteilung oder auf Verlängerung einer Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis gestellt haben und deren Antrag noch nicht entschieden wurde. Die Fiktionsbescheinigung ist wortwörtlich eine Fiktion, ohne jegliche rechtliche Grundlage.

Kannst Du genauer erklären, was eine Fiktionsbescheinigung ist und worin das Problem besteht?

Ukrainer:innen erhalten die Fiktionsbescheinigung unkompliziert für ein Jahr mit anschließender Möglichkeit des Aufenthaltstitels nach Schutzparagraph 24 des Aufenthaltsgesetzes. Bei Studierenden ohne ukrainische Staatsbürgerschaft wurde jedoch gesagt: Ihr müsst ein aktives Studium nachweisen, um vorübergehende Leistungen oder eine Arbeitserlaubnis erhalten zu können. Ihnen wurde sechs Monate Zeit gegeben, ihr durch den Krieg unterbrochenes Studium wieder aufzunehmen, für das sie sogar eine Absichtserklärung unterschreiben müssen. Und die Voraussetzungen dafür können sie kaum erfüllen.

Viele wurden unter Generalverdacht gestellt, ihre Dokumente gefälscht zu haben, da sie nur Fotos oder Kopien dabei hatten. Das wird bei der Antragstellung sehr hart gehandhabt. Nicht alle bekommen eine Fiktionsbescheinigung und Drittstaatenangehörige aus sogenannten sicheren Herkunftsländern wurden direkt abgelehnt und teilweise unmittelbar aufgefordert, den Schengen-Raum zu verlassen, wie zum Beispiel in einem Fall von Arbeitsmigration aus Bangladesch in die Ukraine.

Zu Beginn unserer Evakuierungen von der polnischen Grenze nach Hamburg wurde zu unserer Überraschung schnell klar, dass diese Personen vom Staat nicht aufgenommen, sondern in Asylverfahren gedrängt werden. Daraufhin haben wir viele erst mal in Privatunterkünften untergebracht, um Zeit zu gewinnen und zu verstehen, was das rechtlich heißt und welche Folgen es hat. Der Weg über die Privatunterkünfte wurde offiziell sehr befürwortet, doch Unterstützung fehlt nach wie vor.

Am 1. September lief der vorübergehende Schutz aus, die Gefahr von Abschiebungen ist deutlich gestiegen. Wie erlebt ihr und die Geflüchteten diese Situation?

Die Dunkelziffer ist definitiv höher als die vorhin genannten 32.000. Allein in Hamburg soll es aktuell 900 Menschen mit Fiktionsbescheinigung geben, registriert als Drittstaatenangehörige etwa 2.000. Nach unserer Statistik wurde von diesen bis zu 3.000 Menschen ca. die Hälfte bereits aufgefordert wieder auszureisen. Dutzende Menschen haben schon Anfang Juli mit der sogenannten Grenzübertrittsbescheinigung eine Ausreiseaufforderung erhalten. Sie wurden widerrechtlich aus Unterkünften entlassen und auf die Straße gesetzt, häufig mit der Begründung, sie seien keine Ukrainer:innen. Den Betroffenen geht es dementsprechend schlecht. Teilweise wollen sie zurück in ihre Herkunftsländer, weil sie keine Kraft mehr haben für diese Behandlung. Manche sind ausgereist und inzwischen wiedergekehrt, viele irren in Europa herum, werden hier und dort abgewiesen und verschlimmern dadurch weiter ihre Situation.

Wenn sie es dann doch schaffen, zunächst bleiben zu dürfen, wie gestaltet sich die Situation der Drittstaatsangehörigen hinsichtlich Arbeitsmöglichkeiten?

Ein großer Teil hat kein Arbeitsrecht. Diejenigen mit einer Fiktionsbescheinigung dürfen arbeiten, aber nur unter der Voraussetzung, dass sie ihr Studium fortsetzen. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz, denn ohne Deutschkenntnisse können sie ihr Studium nicht fortsetzen. Und Deutschkurse wiederum sind sehr schwer zugänglich. Gleichzeitig muss für die Fortsetzung des Studiums ein Sperrkonto nachgewiesen werden, auf dem 10.000 Euro als Nachweis der Sicherung ihres Lebensunterhalts hinterlegt sind. Über das Konto dürfen die Studierenden nicht frei verfügen und es kann monatlich nur ein begrenzter Beitrag abgehoben werden. Die Voraussetzungen sind also mehr als herausfordernd.

Aus diesen Gründen ist es den meisten gar nicht möglich, ihr Studium innerhalb von sechs Monaten wieder aufzunehmen. Jetzt läuft die Zeit aus und die Ausländerbehörde sagt: Weise die Fortsetzung deines Studiums nach, sonst wirst du ausgewiesen. Obwohl diese Personen ganz andere Träume hatten, müssen sie jetzt beispielsweise ihr Medizinstudium abbrechen und werden über eine Ausbildung in den Pflegebereich geschoben. Um irgendwie an einen Aufenthaltstitel zu gelangen, haben wir sogar begonnen Plätze für Freiwillige Soziale Jahre und Bundesfreiwilligendienst zu mobilisieren.

Ihr betont immer wieder, dass es Asmara's World um Selbstorganisierung und Community Building geht. Wie setzt ihr das unter diesen Bedingungen um?

Wir verstehen uns nicht als Dienstleister:innen, sondern versuchen Probleme zu kollektivieren, Menschen aus dem Prinzip der Solidarität zu empowern und die Herausforderungen gemeinsam zu bearbeiten. Es geht dabei um junge Menschen, bei denen plötzlich alles in Frage gestellt wird, da ist wenig Raum für Selbstbestimmung. Wir versuchen aber einen Prozess zu organisieren, in dem sich die Studierenden treffen und gegenseitig unterstützen. Wir haben sogar eine Datenbank angelegt, die die systematische Ungleichbehandlung der Behörden aufzeigt und die wir nutzen, um vor den Ämtern die Rechte für einzelne Person durchzusetzen.

Was wird in Zukunft nötig sein, um gegen diese systematischen Ungleichheiten vorzugehen?

In den letzten Monaten wurde politisch nichts dafür getan, dass die Leute einen Zugang zu den Unis bekommen. Was es braucht, ist ein Bleiberecht für alle Geflüchteten aus der Ukraine. Aufgrund der auslaufenden Sechs-Monats-Frist sind wir aber auch mit einem ganz unmittelbaren Kapazitätenproblem konfrontiert. Mittlerweile kommen wöchentlich zehn bis zwanzig Personen zu uns in die Beratung und über jegliche Social Media Kanäle melden sich Betroffene. Und es werden immer mehr. Viele öffentlich geförderte Beratungsstellen schicken uns zudem auch noch ihre Klient:innen. Wir sind aber nur ehrenamtlich aktiv und können das gar nicht leisten.

Natürlich stehen wir ihnen zur Seite, weil wir uns mit ihnen solidarisieren, aber das Thema muss mehr in die Öffentlichkeit gebracht werden. In den beschriebenen Mechanismen sehen wir einen klaren Angriff auf Migrant:innen generell: Hast du keinen oder nicht den richtigen Pass, ist dein Leben nichts wert.

Das Interview führten Kerem Schamberger und Moritz Köhler.

Veröffentlicht am 02. November 2022

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