Gaza

Ununterbrochen im Einsatz

Die gesundheitliche Lage im Gazastreifen verschlechtert sich durch Blockade und Bombardierung rapide. Wie arbeiten unsere Partner:innen der Palestinian Medical Relief Society unter diesen Bedingungen?

Von Riad Othman

Noch am gleichen Tag des Hamas-Überfalls auf mehrere Gemeinden im Süden Israels begann die israelische Armee mit Vergeltungsschlägen gegen Ziele in Gaza. Die Angriffe sind seither von israelischer Seite intensiviert worden und betreffen den gesamten Gazastreifen – auch den Süden der Enklave, wohin die palästinensische Bevölkerung sich auf Befehl der israelischen Armee begeben sollte, um das eigene Leben zu schützen. Auch hier werden ohne Unterlass auch zivile Ziele getroffen, die Opferzahlen im gesamten Gazastreifen steigen fortlaufend.

Auch der Raketenbeschuss auf israelische Städte aus Gaza geht weiter. Die Menschen in Israel müssen sich mitunter mehrmals täglich in Luftschutzräume zurückziehen. Diejenigen, die nicht über solche verfügen, suchen Zuflucht bei Verwandten und Freunden. „Einige Menschen haben das Land verlassen,“ erzählt Guy Shalev von Physicians for Human Rights – Israel, einer langjährigen medico-Partnerorganisation. Die Angst geht um.

Entsetzen und Resignation im Gazastreifen

In Gaza gibt es keine Schutzräume. Dort herrscht das blanke Entsetzen über die ungekannte Wucht der Bombardierungen. Es ist mittlerweile von einer Million Binnenvertriebenen auszugehen, die zu Tausenden in und um Einrichtungen ausharren, von deren Status sie sich einen erhöhten Schutz versprechen: öffentliche Krankenhäuser, Schulen und Einrichtungen des Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge der Vereinten Nationen UNRWA. Viele Hunderttausend haben notgedrungen dem Befehl der israelischen Armee Folge geleistet – und werden doch weiter beschossen.

Unter der Bevölkerung macht sich nach zwei Wochen Krieg Resignation breit, eine Stimmung der Gewissheit des eigenen Verderbens. Das ist der Grund dafür, weshalb zuletzt auch eine bislang nicht zu beziffernde Rückkehrbewegung in den Norden der Enklave eingesetzt hat: Wenn wir schon sterben müssen, so scheinen einige zu denken, dann wollen wir das in Würde tun, in den eigenen vier Wänden, nicht in einer völlig überfüllten Massenunterkunft südlich der angeordneten „Evakuierungslinie“. Auch dort gibt es keine Sicherheitsgarantien oder auch nur eine Zusicherung seitens Israels, überhaupt je nach Hause zurückkehren zu können.

Unsere langjährige Partnerorganisation in Gaza, die Palestinian Medical Relief Society (PMRS), konzentriert sich in der Zusammenarbeit mit medico eigentlich seit Jahren auf die Versorgung der wachsenden Gruppe von Menschen mit nicht übertragbaren Krankheiten. Nach dem ersten Entsetzen über das Ausmaß der Angriffe schaltete die Organisation in den Nothilfemodus.

Nothilfe für Kranke und Verletzte

Aus dem PMRS-Zentrum in Gaza-Stadt heraus, das in den vergangenen Jahren mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit & Entwicklung auf- und weiter ausgebaut wurde, wird medizinische Nothilfe geleistet: Als Basisgesundheitsorganisation half die PMRS in den ersten Tagen der Angriffe vor allem in Gaza-Stadt bei der Erstversorgung Verwundeter und transportierte sie mit ihren Ambulanzen je nach Erreichbarkeit in umliegende Krankenhäuser, darunter das Shifa Hospital, das größte des Gazastreifens. Außerdem richteten PMRS-Helfer:innen sogenannte Pop-up-Kliniken ein, um eine sofortige Versorgung akut Kranker und Verletzter vor Ort zu gewährleisten.

Da sich immer weniger chronisch kranke Patient:innen überhaupt in das Zentrum der Organisation trauen und einige auch körperlich nicht dazu in der Lage sind, die Wege zu bewältigen, haben Ärzt:innen und Pflegepersonal außerdem die Betreuung durch Hausbesuche intensiviert. Es kommt einem in so einer furchtbaren Lage wie jetzt vielleicht nicht unmittelbar in den Sinn, aber akute und chronische Krankheiten, die in einer solchen Ausnahmesituation jeweils einen lebensgefährlichen Verlauf nehmen können, hören nicht auf, während die Gewalt rundherum völlig eskaliert. Menschen werden weiterhin krank.

PMRS arbeitet unterdessen in einem stark verkleinerten Team weiter. Ein langjähriger Kollege, Dr. Bassam Zaqout, ein weltoffener Arzt, der Medizin in der Ukraine studiert hat, aber seit einigen Jahren vor allem als Koordinator großer Projekte fungiert, musste mit seiner Familie fliehen. Sie leben nun in einer Notunterkunft mit mehreren Zehntausend Menschen. Seinen schwarzen Humor hat er auch in dieser Situation behalten, wie mein Kollege Chris Whitman aus ihrem letzten Gespräch berichtet. Bassam sagte zu ihm: „Wenn wir gezwungen sein sollten, als Flüchtlinge in Ägypten zu leben, deponiere ich meinen Autoschlüssel für dich. Du darfst es dann benutzen, wenn hier alles vorbei ist und du mal wieder nach Gaza kommst.“

Seuchenprävention, soweit das möglich ist

An den Fluchtpunkten im Süden des Gazastreifens, an denen Tausende Menschen ausharren, machen sich erste Krankheiten breit, die für den Mangel an Trinkwasser und Toiletten, das Zusammenleben der Menschen auf engstem Raum typisch sind. Kranke lassen sich nicht von Gesunden abschirmen, auch nicht diejenigen mit gefährlichen Infektionskrankheiten. Erste Berichte von Hautkrankheiten und Durchfallerkrankungen liegen vor. Wenn sich nicht umgehend etwas an der Situation ändert, könnten wir in Gaza den Ausbruch von Epidemien in ungekanntem Ausmaß mit der entsprechenden Todesfolge für Tausende von Menschen sehen. Zurzeit sind deshalb die medizinischen Teams von PMRS auch an genau solchen Orten im gesamten Gazastreifen im Einsatz – zur Versorgung von Notfällen, zur Behandlung von Infektionen und letztlich auch zur Seuchenprävention, soweit das überhaupt möglich ist.

Unterdessen hat Dr. Aed Yaghi, der Leiter der PMRS in Gaza, sich vorübergehend von seiner Familie verabschiedet, nachdem er sie in den Süden des Gazastreifens gebracht hatte, in der Hoffnung, dort sei es sicherer. Er selbst ist nach Gaza-Stadt zurückgekehrt, um die Hilfsmaßnahmen seiner Organisation aus dem Gesundheitszentrum heraus zu koordinieren. Dort verbringt er auch die meisten Nächte, in der Hoffnung, der Status als besonders geschützte Einrichtung möge etwas mehr Sicherheit versprechen. Darauf verlassen kann er sich nicht. Danach gefragt, sagt er nur: „Wir sind eine medizinische Hilfsorganisation. Wir lassen unsere Patient:innen nicht im Stich.“

Sie können die Hilfe unserer Partnerorganisationen in Israel und Palästina mit einer Spende unterstützen.

Veröffentlicht am 20. Oktober 2023

Riad Othman

Riad Othman arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international von Berlin aus. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.

Twitter: @othman_riad


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