Flüchtlingshilfe

Kontrollierter Korridor

Auf dem Balkan wird versucht, die Kraft der Migration zu verwalten. Die Bedürfnisse der Geflüchteten spielen dabei nur eine marginale Rolle.

Der Moving Europe Bus ist ein gemeinsames Projekt von medico international, Welcome to Europe, der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration und bordermonitoring.eu. Durch den Bus können die Situation auf der Balkanroute dokumentiert, Informationen für Menschen die auf dem Weg sind bereit gestellt und die politischen Netzwerke entlang der Route gestärkt werden.

Die derzeitigen Ereignisse auf der Balkanroute, wo sich tausende und abertausende Menschen in den letzten Wochen und Monaten auf den Weg gemacht haben, zeugen auch von undurchsichtigen und schwer nachvollziehbaren Handlungen institutionalisierter Akteure.

Der Moving Europe-Bus macht Halt an einer Tankstelle im serbischen Ort Adaševci. Eine Gruppe von Flüchtlingen sammelt sich um ihn, nimmt Gebrauch von der installierten Handyladestation oder betrachtet die am Bus angebrachte und improvisierte Karte der Balkanroute. Vor dem kleinen Geschäft der Tankstelle tummeln sich weitere Flüchtlinge. Unter fadenscheinigen Argumenten wird ihnen von Polizeibeamten der Eintritt verwehrt. Es werde geklaut, heißt es. Minuten zuvor konnte noch eine Person zwei Packungen Kekse und zwei Flaschen Coca Cola kaufen. Dafür musste sie 40 Euro zahlen. An Umsatz mangelt es dem Geschäft also kaum. Und so scheint plötzlich auch die vorherige Aussage in ganz neuem Licht. Schnell wird außerdem klar, dass die Linien der Trennung nicht zwischen denen mit oder ohne Geld verlaufen.

Kein Wasser für die Geflüchteten

Am gleichen Tag, nur einige Stunden früher und einige Kilometer weiter weg, spielen sich an der Zugstation in Šid ähnliche Szenen ab. In sich gesehen mögen sie zwar anders sein, für sich gesprochen sind sie aber zutiefst Ausdruck der Krise, in der sich manche Akteure gerade befinden. Mehr als ein Duzend Waggons zählt der Zug. In ihm und vor ihm warten die Menschen auf die Weiterfahrt gen Kroatien. Es herrscht angespannte Stimmung. Kurz vor Ankunft des Moving Europe-Busses trieb die anwesende Polizei die Leute gewaltsam in die Waggons zurück. „Wir haben nun seit sieben Stunden kein Wasser bekommen“, lassen sie wissen. Auf Anfrage rückt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) anfangs noch ein paar Wasserflaschen raus, für alle Durstigen will es aber nicht sorgen. Denn wenn jetzt zu viele Flaschen verteilt werden gibt es nicht mehr ausreichend für später, sagen sie. Und fügen hinzu: zu wenige Flaschen pro Waggon kann zu Streitereien und Chaos führen.

Schwer nachzuvollziehen, warum das UNHCR nicht einfach in den nächsten Supermarkt fährt und zusätzliche Wasserflaschen kauft. Stattdessen werden die Flüchtlinge mit ihrem Durst allein gelassen. Erschreckend paradox ist auch, dass Autos voller Essen, Trinken und Kleider nicht durchgelassen werden. Der Grund: die Einzelpersonen und kleineren oder kritischeren NGOs haben keine Akkreditierung erhalten.

Ein System der Kontrolle

Prompt wird vom UNHCR auch die Präsenz des Busses kritisch beäugt. Und nachdem keine formale Erlaubnis vorgezeigt werden konnte, erfolgt der Verweis vom Gelände. Es wird unmissverständlich klar gemacht, dass nur die Organisationen und Strukturen vor Ort helfen dürfen, die zuvor vom zuständigen Kommissariat akkreditiert worden sind: keine Akkreditierung, kein Recht hier zu sein. Punkt. Das System an Kontrollen, Erteilung von Erlaubnissen und Platzverweisen beschränkt sich jedoch nicht nur auf die fixen Orte wie die Zugstation.

Der komplette Korridor nach Westeuropa befindet sich unter polizeilicher Riege und erfährt diesen Mix an Regulierung. Der Korridor als Versuch, die Kraft der Migration zu verwalten. Die Bedürfnisse der Geflüchteten spielen hierbei nur eine marginale Rolle. Stattdessen üben sich UNHCR und andere große Hilfsorganisationen in einem autoritären Humanismus: indem die schiere Präsenz von Menschenrechtsorganisationen Legitimität verleiht, stellt die aufgebaute Ordnung gleichzeitig eine effiziente Kontrolle sicher. Wer weiß, für wie lange noch. Denn die Kraft der Migration hat schon mehrmals bewiesen, stärker zu sein. 

Veröffentlicht am 17. November 2015

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