Von Aborteras del Norte
Wir alle haben das Recht, über unsere Körper zu entscheiden. Als Kollektiv Aborteras del Norte sorgen wir dafür, dass alle, die uns kontaktieren, von diesem Recht Gebrauch machen können, wenn ihnen andere Wege verwehrt sind. Denn obwohl das Oberste Gericht in Mexiko 2021 Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten drei Monate legalisiert hat, haben viele Schwangere kaum Zugang zu Abbrüchen und den dafür relevanten Informationen. Es geistern sehr viele falsche Informationen über Schwangerschaft, Abtreibung und alles, was reproduktive Gesundheit umfasst, herum. Wir wollen daher verhindern, dass Menschen in solch einer Situation, die durchaus überfordernd sein kann, an eines der unzähligen „ProLife“-Netzwerke geraten, die den Schwangeren einreden, dass Abtreibungen inakzeptabel und sündhaft seien. Letztlich geht es darum, den Schwangeren die Angst zu nehmen, damit sie möglichst selbstbestimmt Entscheidungen treffen können.
Der Bedarf ist groß: Obwohl wir nur zu sechst sind, haben wir in den zwei Jahren seit unserer Gründung über 700 Fälle ehrenamtlich begleitet. Die Schwangeren nehmen über Social Media Kontakt zu uns auf. Die meisten von ihnen befinden sich zwischen der fünften und der zehnten Schwangerschaftswoche. Wir klären auf und stellen ihnen, wenn nötig, Medikamente für den Abbruch zur Verfügung. Denn häufig erhalten wir auch Anfragen von Schwangeren, denen in Apotheken die üblichen Medikamente für den Abbruch, Mifepriston oder Misoprostol, verweigert werden, obwohl letzteres sogar rezeptfrei ist. Viele können sich auch die Kosten für die Medikamente nicht leisten. Für diese Frauen haben wir immer kleine Pakete vorrätig, die alles enthalten, was für einen Abbruch zu Hause notwendig sein kann. Neulich haben wir bei einem feministischen Basar mitgemacht und konnten mit den Einnahmen eine Reihe neuer Medikamenten-Kits zusammenstellen.
Die Risiken eines medikamentösen Abbruchs sind zwar sehr gering, dennoch schafft er für viele emotional und psychisch eine schwierige Situation. Wir unterstützen die Frauen dabei, in dem gesamten Prozess aufgeklärt und selbstbestimmt handeln zu können. In dieser Phase bis zur zwölften Schwangerschaftswoche begleiten wir ausschließlich online. Abbrüche nach der zwölften Woche brauchen eine spezialisiertere Begleitung. Dafür haben wir noch nicht die Kapazitäten, obwohl einige von uns Medizinstudentinnen sind. Erreichen uns Fälle jenseits der zwölften Woche, leiten wir sie an andere Beratungsstellen weiter und sorgen dafür, dass die Personen eine angemessene Begleitung bekommen.
Ein Schritt vor, zwei zurück
Die meisten Menschen, die uns kontaktieren, sind recht jung. Genaue Zahlen dazu haben wir nicht, weil wir abgesehen von medizinisch relevanten Informationen über Vorerkrankungen, Blutgruppe oder Allergien keine Daten erheben. Wenn jemand anonym bleiben will, muss das vollumfänglich möglich sein. Viele erzählen uns dennoch ihre Geschichte. Häufig handelt es sich um junge Frauen, die noch zur Schule gehen und kein Geld für eine Abtreibung haben. Nicht selten kommen Betroffene sexualisierter Gewalt auf uns zu und wollen den Abbruch ohne das Wissen des Täters durchführen. In diesen Fällen klären wir ausführlich über das Recht auf medizinische Versorgung, aber auch über juristische Möglichkeiten auf. Die meisten Vergewaltigungsopfer, die zu uns kommen, sehen aber von einer Anzeige ab und beantragen auch keinen operativen Abbruch – was ihnen rechtlich zustünde –, um nicht stigmatisiert oder gar kriminalisiert zu werden.
Wir arbeiten vor allem im nördlichen Bundesstaat Chihuahua, der an Texas in den USA grenzt. Die Gegend ist extrem konservativ, der Einfluss evangelikaler Gruppen enorm. Die Landesregierung von Chihuahua stellt sich offen gegen das Recht, selbst über den eigenen Körper entscheiden zu können, aber auch gegen die Ehe für alle oder Grundrechte für Migrant:innen. Im Bereich reproduktiver Rechte oder der sexuellen Selbstbestimmung queerer Menschen machen wir häufig einen Schritt vor, erkämpfen wichtige Errungenschaften, um dann wieder zwei Schritte zurückgedrängt zu werden. Hier in Chihuahua wurde zwar im vergangenen Jahr ein Gesetz zur Legalisierung von Abbrüchen verabschiedet. Aber danach folgte eine Welle von Desinformationskampagnen. Zudem hat die extrem konservative Landesregierung chaotische Verfahren eingeführt, die gezielt Verwirrung stiften.
Die politischen Entwicklungen in den USA und in Mexiko sind eng miteinander verwoben, was die Situation für Kollektive und Initiativen wie uns, die zu reproduktiven Rechten arbeiten, noch schwieriger macht. Wenn hierzulande Mittel gestrichen und zivilgesellschaftliche Organisationen unter Druck gesetzt wurden, konnte das früher oftmals mit Unterstützung aus den USA abgefedert werden. Diese Ressource ist heute komplett blockiert und inzwischen kommen neben Migrantinnen, die auf dem Weg in die USA sind, auch Frauen aus den USA nach Mexiko, um hier einen Abbruch vornehmen zu lassen, weil es sicherer ist. Zwar gibt es viele Websites in den USA, die auch Medikamente für den Schwangerschaftsabbruch verschicken. Manche Anbieter, etwa in Texas, liefern allerdings nicht in Städte oder Bundesstaaten, in denen Abbrüche komplett verboten sind.
Auch wenn die Umstände nicht einfacher werden, verlieren wir nicht den Mut. Im Gegenteil. Entlang der Grenze zwischen Mexiko und den USA gibt es starke Netzwerke, die Schwangerschaftsabbrüche begleiten. Wir werden unsere Arbeit fortsetzen, uns noch besser vorbereiten und vernetzen. Frauen treiben seit Tausenden von Jahren ab. Sie werden es weiterhin tun. Auch wenn der Staat, die Kirche oder wer auch immer es verbieten wollen: Wir werden Wege finden, sie zu unterstützen.
Über Jahrzehnte galt Lateinamerika als Kontinent der Befreiung. Das war auch bei medico international so. Nicht immer stimmten die Vorstellungen mit der komplexen Realität der lateinamerikanischen Gesellschaften überein, und doch wussten hier viele: Eine andere Welt ist möglich!
Aber die lateinamerikanische Gegenwart ist auch Ausdruck einer Herrschaftslogik, die jedes Streben nach Demokratie, Selbstbestimmung und Befreiung untergräbt. Ihr stehen unzählige Kämpfe für das Offene, das Gemeinsame gegenüber – kurzum: für die Zukunft. medico international steht an der Seite dieser Kämpfe, die auch von unseren Partnerorganisationen geführt, begleitet und unterstützt werden.
Dieser Beitrag erschien zuerst im medico rundschreiben 04/2025. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. Jetzt abonnieren!




