Bangladesch

Eine Epidemie neuer Dimension

Bangladesch ist von einer verheerenden Dengue-Epidemie betroffen. Ein Beispiel für die Verschränkung von Klima, Gesundheit und sozialer Krise.

Von Felix Litschauer

Wir erreichen Dr. Begum per Videocall in einem Gesundheitszentrum für geflohene Rohingya im Osten Bangladeschs. Dr. Begum, der als Arzt für die Basisgesundheitsorganisation Gonoshastaya Kendra, eine langjährige medico-Partnerorganisation, arbeitet, ist sichtbar frustriert. Seit Monaten erreichen die Zahlen der Infizierten und Toten der bisher verheerendsten Dengue-Epidemie in Bangladesch immer neue Höchstwerte. 1333 Menschen sind der Krankheit dieses Jahr schon zum Opfer gefallen, fast 270.000 Infektionen wurden registriert – die Dunkelziffer könnte weit höher liegen. Die Bilder erinnern stark an die Corona-Pandemie: Das öffentliche Gesundheitssystem ist kurz vor dem Kollaps, Krankenhäuser sind längst überlastet und mittlerweile kennt jede:r jemanden, der:die an dem Virus schwer erkrankt oder sogar gestorben ist. Was ist passiert?

Dengue Routine

Dengue ist keine neue Krankheit in Bangladesch. Mit Beginn des Monsuns im Frühsommer kommen die Mücken und mit den Mücken kommt das Dengue-Virus. Denn der primäre Überträger der Krankheit ist die tagesaktive Mücke Aedes Aegypti, die auch Gelbfieber und Zika überträgt. Das Dengue-Virus (DENV) hat vier Serotypen (DENV-1, DENV-2, DENV-3, DENV-4). Die Infektion mit einem Serotyp führt zwar zu einer langfristigen Immunität gegenüber genau diesem, nicht aber gegenüber anderen Serotypen. Aufeinanderfolgende Infektionen mit einem anderen Serotyp erhöhen sogar das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs. Das macht die Entwicklung eines Impfstoffes sehr kompliziert.

Viele DENV-Infektionen führen nur zu einer leichten grippeähnlichen Erkrankung. Mehr als 80 Prozent der Infektionen verlaufen ganz ohne Symptome, die Betroffenen wissen oft gar nicht von der Infektion und ergreifen auch keine Schutzmaßnahmen, um einer weiteren Ausbreitung vorzubeugen. In seltenen Fällen kommt es zu schweren Krankheitsverläufen mit starkem Erbrechen, inneren Blutungen und Kreislaufversagen mit Todesfolge. Besonders gefährdet sind Menschen mit Vorerkrankungen, Schwangere und Kinder. Die Todesrate liegt in Bangladesch mit knapp 0,5 Prozent zwar nur bei einem Drittel im Vergleich zu COVID, die Auswirkungen auf das Gesundheitssystem sind aufgrund der schieren Menge der Infektionen und schweren Erkrankungen aber immens: Die Bettenkapazitäten in den Krankenhäusern sind der Anzahl der Patient:innen nicht gewachsen. In den letzten Jahren sind sowohl die Gesamtinfektionen, als auch die Todesraten stetig gestiegen.  

Vermeidbare Krankheiten

Es ist Anfang November, normalerweise ist die Monsunzeit vorbei. Dennoch hat es in Dhaka die letzten drei Tage starke Regenfälle gegeben, Teile der Stadt wurden überschwemmt. Regenfälle mit erhöhter Intensität, wie sie in Bangladesch immer häufiger vorkommen, sind eine direkte Folge der Klimakrise. Gemeinsam mit den immer höheren Durchschnittstemperaturen ergeben sich ideale Brutbedingungen für Aedes-Moskitos. Das führt dazu, dass die Menschen in Bangladesch mittlerweile nicht nur im Sommer, sondern das gesamte Jahr über den Gefahren einer DENV-Infektion ausgesetzt sind.

Doch der Frust von Dr. Begum rührt nicht von den Veränderungen des Klimas. „Das Problem sind nicht die ungewöhnlich starken Regenfälle. Das Problem ist, dass der Staat keine Entwässerungssysteme baut“, sagt er. Seit Jahrzehnten schaue er dabei zu, wie die Millionenstadt Dhaka unreguliert wachse, eine adäquate Kanalisation sei nachrangig. In den unzähligen Baustellen sammle sich überschüssiges Wasser, in denen sich die Moskitos vermehren, berichtet er. Es gebe zwar strenge Auflagen, aber niemanden, der sie durchsetze. Dazu komme ein unzureichendes Müllentsorgungssystem, sodass sich vielerorts Müll auf den Straßen türme, in dem sich ebenfalls Wasser sammle. Ein Aedes-Moskito braucht nur einen Teelöffel an Wasser zur Vermehrung.

War DENV angesichts dieser mit der rasanten Urbanisierung auftretenden Probleme bisher vor allem ein Problem der Städte, tritt die Krankheit seit diesem Jahr auch vermehrt in ländlichen Regionen auf, wo die Gesundheitsversorgung weitaus schlechter ist als in der Stadt. 

Andauernde und verschränkte Krisen

Nicht nur bei der Prävention der Krankheit versagt die Regierung Bangladeschs, auch die Behandlung der Tausenden Erkrankten weist eklatante Lücken auf. Dengue trifft von Jahr zu Jahr mit stärkerer Wucht auf ein Gesundheitssystem, das dafür absolut nicht gewappnet ist. Bangladesch gehört weltweit zu den Ländern mit den höchsten verpflichtenden Zuzahlungen bei der ärztlichen Behandlung. Laut der letzten Statistik aus dem Jahr 2020 müssen die Bürger:innen Bangladeschs 74 Prozent der Behandlungskosten selbst zahlen, den Rest trägt der Staat. Das Gesundheitssystem ist zum großen Teil privatisiert. Nach Dr. Begums Einschätzung hat sich der Anteil dieser "out-of-pocket-payments", also des Eigenanteils der Patient:innen, seitdem weiter erhöht. Selbst ein Dengue-Test muss selbst bezahlt werden. Das hat zur Folge, dass der Gang zum Arzt oder der Ärztin größtenteils eine Frage der persönlichen wirtschaftlichen Situation ist.

Diese hat sich insbesondere bei den Ärmsten in Bangladesch seit Beginn der Corona-Pandemie stetig verschlechtert. Schon im August letzten Jahres stiegen Benzin- und Gaspreise um mehr als 50 Prozent, die Folge waren landesweite Proteste. Seitdem die Regierung im Januar 2023 einen Notkredit des Internationalen Währungsfonds in Anspruch nehmen musste, der an die Auflage geknüpft ist, staatliche Subventionen insbesondere im Energiebereich zurückzufahren, haben sich die Stromkosten und Treibstoffpreise weiter erhöht. In einer von Erdgas und -öl abhängigen Wirtschaft hat das extreme Folgen. Dr. Begum berichtet von den Folgen der grassierenden Inflation, von stetig steigenden Lebensmittelpreisen, von Menschen die vor der täglichen Entscheidung stehen, mit dem wenigen verdienten Geld den Hunger ihrer Kinder zu stillen oder eine ärztliche Behandlung zu bezahlen. Dies führe dazu, dass viele schwer an DENV Erkrankte sich erst in Behandlung begeben, wenn ihr Krankheitsverlauf schon so weit fortgeschritten ist, dass der Leidensdruck zu hoch ist. Das macht eine Behandlung ungleich schwerer.

Wir fragen Dr. Begum, welche Erwartungen er an den neuen DENV-Impfstoff QDENGA des japanischen Unternehmens Takeda hat. Immerhin empfiehlt die WHO Strategic Advisory Group of Experts (SAGE) diesen seit kurzem offiziell. In der EU ist QDENGA seit Ende 2022 zugelassen. Gleichzeitig laufen in Bangladesch gerade vielversprechende klinische Tests mit dem staatlich entwickelten Impfstoff TV-005 des US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH). Die Impfstoffe seien laut Dr. Begum durchaus ein Grund zur Hoffnung, auch wenn seit Corona die Skepsis gegenüber Impfstoffherstellern groß wäre. Stehe doch bei diesen der eigene Profit der Hersteller und nicht das Wohl der Erkrankten an vorderster Stelle. Wesentlich wichtiger sei deshalb Prävention: die Bekämpfung der politischen und sozialen Ursachen der Ausbreitung der Krankheit.

Krankmachende Verhältnisse

Mit dieser Meinung ist Dr. Begum nicht allein. Angesichts der Gleichzeitigkeit der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Krise in Bangladesch wächst der Unmut in der Bevölkerung. Erinnerungen an Corona werden wach, als gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen mehr als zuvor offen sichtbar wurden. Während ein Großteil der Menschen unter der Last der Inflation leidet, fahren die exportorientierten Textilunternehmen aufgrund des schwachen Taka, Bangladeschs lokaler Währung, horrende Gewinne ein. Die wohlhabende Minderheit kann sich in klimatisierten Räumen vor den Aedes-Moskitos schützen und im Falle einer Infektion eine gute Behandlung in einer privaten Klinik in Anspruch nehmen. Die arme Mehrheit ist den Moskitos im Freien ungeschützt ausgesetzt und muss auf das völlig überlastete öffentliche Gesundheitssystem vertrauen. Anu Muhammad, emeritierter Professor für Ökonomie an der renommierten Jahangirnagar University, fordert daher eine breite Mobilisierung gegen diese Ungerechtigkeiten: „Solange die Bevölkerung unseres Landes nicht für den Schutz ihrer politischen Rechte, des Rechts auf Gesundheit und einem Mindestmaß der Rechte, die mit einem Leben als Mensch verbunden sind, einsetzt, werden diese Unsicherheiten, das Leiden und die Ausbeutung ungebremst weitergehen“.

Unsere Partnerorganisation Gonoshastaya Kendra erfährt in ihrer täglichen Arbeit, etwa bei der Versorgung von Dengue-Erkrankten oder bei präventiven Awareness-Aktionen zum Schutz gegen Moskitos, viel von den Sorgen der Menschen in Bangladesch. „Täglich zu sehen, wie Menschen an einer vermeidbaren Erkrankung sterben, führt zu Frustration“, sagt Dr. Begum. Und tatsächlich: Die Wut auf die Regierung entlädt sich immer mehr in teils militanten Protesten, denen der Staat mit erschreckender Härte begegnet. Bei der Niederschlagung der jüngsten Demonstrationen Ende Oktober gab es Tote. Angesichts im Januar 2024 anstehender Wahlen ist das Potenzial einer Eskalation hoch.

Veröffentlicht am 07. November 2023
Felix Litschauer

Felix Litschauer

Felix Litschauer ist Referent für Globale Gesundheit bei medico international. Er ist Friedens- und Konfliktforscher und war lange aktiv in der Medinetz-Bewegung, die für das Recht auf Gesundheit von Geflüchteten kämpft. Zurzeit beschäftigen ihn besonders die Zusammenhänge von Klima- und Gesundheitsgerechtigkeit.

Twitter: @LitschauerFelix


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