Afghanistan

Anschlag auf eine bessere Zukunft

Der Anschlag auf das Bildungszentrum Mawood (Auferstehung) bildet einen weiteren Höhepunkt der Gewalt gegen die Hazara. Von Thomas Seibert

Der Anschlag auf das Bildungszentrum Mawood (Auferstehung) im mehrheitlich von schiitischen Hazara bewohnten Stadtteil Dasht-e-Bartschi von Kabul bildet einen weiteren Höhepunkt der Gewalt in Afghanistan. Ein Attentäter des IS drang zu Fuß in das Zentrum ein und zündete dort einen Sprengsatz. Mndestens 48 junge Frauen und Männer starben, an die 70 wurden verletzt. Der grauenvolle Anschlag war strategisch bestimmt: Er richtete sich gegen Schiit*innen, gegen Hazara – und gegen eine Bildungseinrichtung, die sich ganz gezielt darum bemüht, Mädchen und Frauen den Weg zur Universität zu ermöglichen. Ein Schwerpunkt der Ausbildung war der Unterricht in Literatur.

Ansätze einer Demokratiebewegung

Um Proteste der Hazara gegen ihre Diskriminierung in Afghanistan haben sich in den letzten Jahren – erstmals seit Jahrzehnten – Ansätze einer wirklichen Demokratiebewegung entwickelt: der Anschlag vom Mittwochnachmittag war nicht der erste dieser Art, und er wird nicht der letzte sein. Gerade deshalb aber blieb er nicht ohne Antwort. Die furchtbare Nachricht war gerade öffentlich geworden, da verabredeten sich Hunderte meist junger Menschen per Telefon, SMS und Twitter zu gemeinsamem Handeln. Unter ihnen die Aktivist*innen des medico-Partners „Afghanistan Human Rights and Democracy Organization“ (AHRDO).
 

Am Schulgebäude versammelte man sich mit Fotos, Schildern und Kerzen zu einer Mahnwache, an der seither Tag und Nacht der Toten und Verletzten gedacht wird. Man suchte und fand ein Grundstück, um nach islamischem Ritus gleich mit der Bestattung der Toten beginnen zu können. Kaum waren die ersten Gräber ausgehoben, tauchte eine bewaffnete Miliz auf und versuchte, die Menschen auch mit Schüssen in die Luft zu vertreiben: das Gelände sei Privatbesitz, solle Bauland werden. Doch die Leute wichen nicht zurück, beharrten auf ihrem Recht, den brutal Ermordeten ein würdevolles Begräbnis zu ermöglichen. Nach einem Moment äußerster Spannung zogen sich die Milizionäre wieder zurück. Am Abend des Donnerstag waren dann die ersten neun Toten bestattet, es wird noch ein, zwei Tage brauchen, auch den anderen ihre letzte Ruhestätte zu schaffen.

Abschiebeflug in Kabul gelandet

Per Email hatten die Aktivist*innen von AHRDO währenddessen überall auf der Welt um die Zusendung von Solidaritätsbekundungen gebeten: „Entzündet eine Kerze, schickt ein Foto – wir bringen das zur Mahnwache!“ Wie viele andere haben auch wir von medico ein Foto geschickt, aus Verbundenheit mit unseren Partner*innen, im Gedenken auch an das, was wir seit Jahren gemeinsam versucht haben und weiter versuchen werden. Gerade deshalb kann nicht unerwähnt bleiben, das nur wenige Stunden vor dem Anschlag wieder einmal ein Abschiebeflugzeug aus Deutschland in Kabul gelandet ist. Die Maschine war am Dienstag in München gestartet, an Bord 46 Menschen, die der deutsche Staat nach Afghanistan zurückzwingt – in vollem Wissen um das, was ihnen dort droht.

Um den Zwangsflug in die unabweisliche Todesgefahr zu ermöglichen, mussten die Verantwortlichen 101 Bundespolizist*innen, einen Arzt, einen Dolmetscher und einen Spezialisten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex aufbieten. Um die nackte Unmenschlichkeit ihres Vorgehens dürftigst zu bemänteln, hievte man auch eine fünfköpfige Delegation des Europarats-Ausschusses für Folterprävention mit an Bord: eine Infamie, angesichts derer uns jedenfalls nichts als tiefe Scham – und fortdauernde Empörung bleibt. Nach zwei furchtbaren Tagen und einer durchwachten, ebenso furchtbaren Nacht haben sich unsere Partner*innen am frühen Donnerstagabend erst einmal zur Ruhe begeben. Heute sind sie zur Mahnwache zurückgekehrt.

Veröffentlicht am 17. August 2018
Thomas Rudhof-Seibert

Thomas Rudhof-Seibert

Thomas Rudhof-Seibert war bis September 2023 in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international zuständig für Südasien und Referent für Menschenrechte. Der Philosoph und Autor ist außerdem Vorstandssprecher des Instituts Solidarische Moderne; weitere Texte zugänglich auch unter www.thomasseibert.de


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