Interview

Endstation Idomeni

Tausende Flüchtlinge stecken fest, nachdem die Balkanroute geschlossen ist. Die Lage am Übergang von Idomeni ist dramatisch. medico unterstützt die Hilfe vor Ort mit dem Projekt Moving Europe.

Aktuelle Informationen stellt das Team von Moving Europe im Liveticker Idomeni zur Verfügung.
 

Interview mit Lukas Gerbig vom Moving Europe-Team in Idomeni, 10. März 2016

Vor wenigen Tagen wurde die Balkanroute offiziell für geschlossen erklärt. Trotzdem harren noch immer viele Menschen in Idomeni aus. Wie ist das zu erklären?

Die Information, dass es hier für sie nicht weitergehen wird, ist längst nicht zu allen durchgedrungen. Es gibt keine Informationspolitik seitens der EU oder der griechischen Regierung. Die Menschen hoffen immer noch, dass sie über die Grenze kommen. Deshalb bleiben sie hier. Und das trotz Dauerregen. Die Zelte sind überflutet und die Leute sitzen im Dreck. Eine humanitäre Katastrophe, die vermeidbar gewesen wäre.

Es gibt Ankündigungen, dass das Lager bald geräumt wird. Was ist davon zu halten?

Momentan stehen nur drei Busse in Idomeni, die die Leute wahrscheinlich nach Athen bringen sollen. Die Leute wollen aber nicht so weit zurück. Auf ein anderes Lager im Norden Griechenlands würden sie sich vielleicht einlassen, aber sie werden nicht gefragt. Außerdem ist es so, dass von den neu errichteten Lagern auf militärischem Sperrgebiet im Norden auch einige bereits unter Wasser stehen.

Wie wird es weitergehen? Was denkt ihr?

Es ist schwer einzuschätzen. Das Wetter spielt den Grenzschützern derzeit in die Hände. Es gibt nur zaghafte Proteste der Flüchtlinge und viele – vor allem Familien mit kleinen Kindern – werden vermutlich bald bereit sein, das Lager zu verlassen. Vermutlich wird die griechische Regierung abwarten, bis die Leute so zermürbt sind, dass sie von sich aus gehen. Übers Wochenende wird sich die Zahl derer, die geräumt werden müssen, sicher verringern. Es kann aber auch sein, dass schon vorher was passiert.

Wie sieht die Hilfe vor Ort aus?

Neben größeren Hilfsorganisationen vor Ort ist in den letzten Tagen eine riesige Armada an Freiwilligen von überall her in Idomeni eingetroffen, die Hilfsgüter bringen. Die Frage ist aber, wie die verteilt werden und ob Dinge dabei sind, die die Leute gebrauchen können. Was sollen sie mit neuen Zelten, wenn der Boden unter ihren Füßen aufweicht?

Was könnt ihr tun?

Wir hoffen, dass der Regen bald etwas nachlässt, damit wir unseren Infostand wieder aufbauen können. Ich denke, es ist wichtig, dass die Leute wissen, was auf sie zukommt. Dass die Balkanroute offiziell dicht es und es in Idomeni kein Weiterkommen geben wird. Dass sie sich durchaus auf das Relocation-Programm der EU einlassen können, aber nicht hoffen sollen, damit in zwei Wochen in Deutschland zu sein. Wahrscheinlicher ist, dass sie es in zwei Jahren nach Rumänien schaffen. Wir sind jetzt wieder auf den Einzelfall zurückgeworfen und versuchen, in individuellen Fällen zu beraten, zum Beispiel ob eine Familienzusammenführung über die Dublin-Verordnung aussichtsreich ist.
 

Interview mit Lukas Gerbig vom Moving Europe-Team über die Situation in Idomeni, 3. März 2016

Seit Oktober bist du mit dem Moving Europe-Bus entlang der Balkanroute unterwegs. Momentan seid ihr wieder in Idomeni an der an der griechisch-mazedonischen Grenze, wo immer mehr Flüchtlinge ankommen, aber nicht weiterreisen dürfen. Kannst du uns einen Eindruck von der Situation vor Ort vermitteln?

Das Transitlager in Idomeni ist für die Unterbringung von maximal 1.500 Flüchtlingen ausgelegt. Seit die Balkanroute nun für fast alle dicht ist, sitzen hier aber um die 10.000 Menschen fest. Sie schlafen in kleinen Zelten auf dem Feld oder unter freiem Himmel. Und das bei Regen und nächtlichen Temperaturen um 10 Grad. Stündlich kommen weitere Flüchtlinge dazu. Da keine offiziellen Busse mehr fahren, kommen sie zu Fuß oder anders. Die griechische Regierung hat zwar inzwischen an verschiedenen Orten in Nordgriechenland neue Lager in leerstehenden Militärgebäuden errichtet, doch die Menschen wollen da nicht bleiben. Sie ziehen weiter nach Idomeni und hoffen auf eine Öffnung der Grenze.

Besteht denn überhaupt noch Hoffnung, dass Mazedonien seine Grenzen wieder öffnet?

Es werden immer mal wieder kleine Gruppen von Flüchtlingen durchgelassen, so um die 100 am Tag. Wir vermuten, mit dieser Strategie soll verhindert werden, dass die Lage eskaliert. Auch wenn die Zahl verschwindend gering ist, hoffen alle, dass sie unter den Auserwählten sein und durchgelassen werden. Deshalb verhalten sie sich einigermaßen ruhig.

Es kommt aber doch auch immer wieder zu Protesten, und die Menschen versuchen, die Grenze zu stürmen.

Ja, die Menschen sind verzweifelt. Das Lager ist voller Kinder, Frauen und alter Menschen. Dass die Familienzusammenführung ausgesetzt wurde, hat dazu beigetragen, dass sie sich auf diesem Weg nach Europa aufgemacht haben. Sie danken uns, wenn wir ihnen etwas zu trinken anbieten, aber sie wollen eigentlich nur eins: Weiterreisen. So bald wie möglich. Vor wenigen Tagen gab es dann das Gerücht, dass die Grenze aufgemacht wird, aber es passierte nichts. Das brachte die Menschen so auf, dass sie ein Gatter niederrissen. Grund genug für die GrenzschützerInnen auf der mazedonischen Seite Tränengas einzusetzen, auch gegen die vielen Kinder in der Nähe des Zauns.

Die Präsenz von Polizei und Militär aus verschiedenen EU-Ländern ist auf der mazedonischen Seite sehr stark. Gestern kreiste sogar ein Kampfhubschrauber über dem Lager, was bei Flüchtlingen aus Kriegsgebieten große Ängste auslöste. „Das Geräusch kenne ich aus Syrien nur zu gut“, sagte ein fünfzigjähriger Mann, der zitternd neben mir stand.

Warum weichen nicht viel mehr Flüchtlinge auf alternative Routen über Albanien oder Bulgarien aus?

SyrerInnen und IrakerInnen – andere Nationalitäten haben ohnehin überhaupt keine Chance mehr – benötigen an allen Grenzübergängen entlang des Balkankorridors die neuen „Transitpapiere“, die  ausschließlich an der griechisch-mazedonischen Grenze ausgestellt werden. Sonst werden die Flüchtlinge sofort abgewiesen. Serbien stellt diese Papiere nicht aus und tut überhaupt alles dafür, dass sich die Balkanroute nicht verschiebt. So haben Männer zwischen 14 und 60 Jahren in Serbien keinerlei Aussicht mehr auf Asyl. Sie werden aufgefordert, umgehend das Land zu verlassen, oder nach Bulgarien abgeschoben. Selbst wenn dadurch Familien auseinandergerissen werden.

Was denkst du, wie es weitergehen wird?

Ich weiß es nicht. Aber die Lage in Idomeni ist dramatisch. Entweder die Leute erhalten in absehbarer Zeit eine Möglichkeit weiterzuziehen. Oder es wird Tote geben.

Die Interviews führte Ramona Lenz.

Unterstützt und finanziert wird das Bus-Projekt von medico international, der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, bordermonitoring.eu und Welcome to Europe (W2EU). Der MovingEurope-Bus versorgt Flüchtlinge auf der Balkanroute mit Strom für Mobiltelefone, Internet und Infos für eine sichere Reise.

Veröffentlicht am 10. März 2016

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