Interview

Wider den Kleinmut

Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow über die Angst der Macht und den Mut, eine eigene Haltung zu vertreten.

In deinem im Herbst erschienenen Roman „Macht und Widerstand“ bilden der bulgarische Nachkriegskontext und die kommunistische Diktatur den Hintergrund für grundlegende Fragen nach der Selbstrechtfertigung der Macht und der Freiheit des Widerstands. Warum diskutierst du das angesichts totalitärer Herrschaftsverhältnisse?

Wenn ich die Artikel über VW und die Affäre Winterkorn lese, erinnert mich das sehr an die Bulgarische Kommunistische Partei, die Staatssicherheit oder andere hierarchisch durchorganisierte Strukturen. Die autoritäre Aura von Winterkorn hat eine Atmosphäre der Angst, des Stillschweigens und der fehlenden Offenheit begründet. Wir denken häufig vom Resultat her und nicht strukturell. Massenmord und Folter in Bulgarien als Ergebnis totalitärer Herrschaft lässt sich nicht ohne Weiteres mit dem Betrug bei VW vergleichen, die Strukturen hingegen schon. Mich interessiert das Leitmotiv der Selbstrechtfertigung, ganz gleich, ob bei Mord, Korruption oder Steuerhinterziehung. Meiner Ansicht nach haben sich die meisten Täter geschminkt und diese Schminke ist zu einem neuen Gesicht geworden. Wenn sie sich im Spiegel betrachten, sind sie mit dem, was sie da sehen, einverstanden. Nach dem Motto: „war eh ok.“

Die „Banalität des Bösen“ reicht über den totalitären Kontext hinaus?

Es ist nicht banal. Diese Autosuggestion ist relativ komplex. Autoritäres findet sich auch in kleinen Strukturen wieder. Ich habe einen Streit in der Bahn zwischen einem mittelständischen Unternehmer und einem Bahnbeamten miterlebt, der darin kulminierte, dass ersterer drohte, er werde seinen Mitarbeitern verbieten, die Deutsche Bahn zu benutzen. Seine Sprache und Geste waren Ausdruck diktatorialer Strukturen, wie sie bei uns ebenfalls existieren.

Was hast du bei der Beschäftigung mit den Technokraten der Macht gelernt?

Zumindest in der literarischen Beschreibung gilt Angst als die Schwäche der Opfer, während man die Täter häufig als stark und bestialisch beschreibt. In Wahrheit haben die Täter mehr Angst als die Opfer. Das erklärt auch, wie ihre Herrschaft zunehmend zu einer Hybris wird. Denn sie sind niemals entspannt und souverän. Das erklärt für mich auch die immanent destruktive Grundeigenschaft von Macht. Nur ständige Kontrolle und Zertrümmerung von Macht kann uns vor der Hybris der Herrschaft retten. Zudem halte ich die Dichotomie Macht und Ohnmacht für falsch.

In den vielen Gesprächen habe ich gelernt, dass sie sich niemals ohnmächtig fühlten. Sie hatten immer das Gefühl, dass sie einen Kampf auf Augenhöhe führen. Sie konnten nicht frei über ihr Leben verfügen. Aber sie haben mir erzählt, dass sie in der tiefsten Hölle, in der Isolationshaft, einen ultimativen Moment der Freiheit erlebt haben. Denn es gab nichts mehr, was man ihnen noch antun konnte. Indem sie noch die schlimmste Strafe aushielten, stellten sie zugleich die Macht des Gegenübers infrage. Darüber lohnt es sich nachzudenken. Denn wir werden auch in einer sogenannten Demokratie zu Untertanen konditioniert. Uns wird nicht beigebracht, dem Konformitätsdruck zu widerstehen.

Welchen Sinn macht Widerstand, wenn die Aussichten zu gewinnen gleich Null sind?

Das ist eine Frage, die sich von heute aus anders beantwortet als damals. Die Sprengung der Stalinstatue, die in meinem Roman den Widerstandskämpfer Konstantin ins Gefängnis bringt, fand Anfang 1953 statt, damals hätte es ein Fanal sein können. Wenn man sich die Erinnerungskultur in Deutschland anschaut, dann klammert sich dieses Land an Aktionen, die für die gesamte Gesellschaft akzeptabel sind: Der Widerstand der Weißen Rose. Geradezu besessen hat man die Mitglieder zu Ikonen eines anderen Deutschlands gemacht. Im Vergleich zu Konstantins Tat war die Weiße Rose relativ zahm. Den Stellvertreter Gottes auf Erden in die Luft zu sprengen, war in den Augen der Macht ein direkter Anschlag auf sie. Wie lange hingegen wurde Georg Elser und sein Attentatsversuch gegen Hitler in der deutschen Erinnerungskultur diffamiert und totgeschwiegen? Erst in den letzten Jahren hat es eine Rehabilitation von Elser gegeben. Daran wird deutlich, dass es in der Gesellschaft ein Bedürfnis gibt, zu diskutieren, was moralisch, ethisch und politisch das richtige Verhalten ist.

Hierfür hast Du mit Konstantin eine überraschende Figur gewählt – ein Widerstandskämpfer, der von Anfang an eine klare, anarchistische Position gegen die Herrschaft der Kommunistischen Partei einnimmt.

Ich habe die ganze Gulag-Literatur gelesen, da wimmelt es von Anarchisten. Das Besondere am Anarchismus ist seine ehrliche politische Haltung. Das ist eine rigorose Haltung, die den Kompromiss nicht schätzt. Der Anarchismus fordert dich auf, ein Leben unter der Annahme zu führen, dass es eine absolute Freiheit und absolute Gerechtigkeit gibt und dass man das nicht in ständigen Kompromissen wegverhandelt. Der Widerstand von Menschen wie Konstantin erhält in seiner Bedingungslosigkeit unsere Humanität am Leben. Konstantins Satz im Roman lautet: Du hast keine Überzeugung, es sei denn, du bist bereit dafür zu sterben.

Das ist vom Einzelnen viel verlangt.

Literatur ist dazu da, radikale Gegenentwürfe zu machen und nicht nur die subtilen Verwerfungen des Alltags abzubilden. Den Satz von Konstantin könnte man als monströse Überforderung des Menschen abtun. Die Frage dahinter ist aber doch relevant: Wie viel ist deine Überzeugung wert, wenn du dafür nichts opfern musst. Wir haben uns hier in der wohligen Überzeugung eingerichtet, dass wir human, demokratisch, freiheitlich sind. Aber wenn diese Haltung durch die Wirklichkeit geprüft wird, wenn man dafür auch einen Preis entrichten muss, ist die Ablehnung sehr groß.

Warum gelingt es der Nomenklatura auch nach der Wende an der Macht zu bleiben?

Es gibt viele Gründe. Die westlichen Mächte waren interessiert an einem stabilen Osteuropa. Sie haben alles dafür getan, um revolutionäre Ansätze zu neutralisieren. Es gab Abmachungen, dass sich die östlichen Eliten an die neuen Regeln halten würden und dafür Kontinuitäten gesichert blieben. Die an der Macht gebliebenen Eliten sind in den vergangenen 25 Jahren die besten Befehlsempfänger gewesen. Allein in Bulgarien gibt es drei US-amerikanische Basen. Wir alle haben die Traumatisierungen, die individuellen psychischen Folgen unterschätzt, so lange unter diesem System gelebt zu haben. Die ganze rebellische Energie ist verhaftet und ausgelöscht worden. Das ist mein Thema im Roman. Nicht erst unter der kommunistischen Herrschaft, sondern bereits im Faschismus. Viele Anarchisten und Trotzkisten waren vor und nach dem Krieg im Gefängnis. Das findet man in ganz Osteuropa. Eine Tabula rasa des Eigensinns.

Außerdem schläfern die rhetorischen Zauberformeln ein, die lauten: Ab 1989 gibt es in Osteuropa Demokratie. Wir leben aber nicht in einer magischen Welt, sondern in einer globalisierten Wirtschaft, die harte ökonomische Fakten setzt. Solche Selbstbeschwörungen bringen überhaupt nichts. Ständig wird außerdem von Rechtsstaat gesprochen. Aber wie kann es einen Rechtsstaat geben, wenn die Verbrechen der Vergangenheit nicht gesühnt wurden?

Kann die EU dabei helfen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Osteuropa zu stärken?

In Bulgarien treffe ich ständig auf diese Hoffnung. Doch wer auf die EU setzt, der hat die letzten 25 Jahre verschlafen. Die EU hat die ganze verbrecherische Elite in Bulgarien geschützt. Ich war zu Beginn der 1990er Jahre dort, als der damalige EU-Außenkommissar eine Pressekonferenz gab. Er erklärte, dass Bulgarien auf einem guten Weg sei und nur noch kleine Probleme vorhanden wären. Dabei waren Nepotismus und völlig fehlende Rechtsstaatlichkeit für jedermann sichtbar. Wenn die EU einer verbrecherischen Elite und Oligarchie einen Persilschein ausstellt, dann ist die EU mitschuldig und keinesfalls ein Garant für Rechtsstaatlichkeit. Von dieser EU kann man nichts erwarten.

Was können diejenigen, für die sich die Frage des Widerstands stellt, aus der Betrachtung von Macht und Widerstand im bulgarischen historischen Kontext lernen?

Bulgarien ist nur vordergründig der Schauplatz. Ich habe mich für diesen Roman mit Menschen beschäftigt, die sich für eine radikale Form des Widerstands entschieden haben. Ich habe dabei gelernt, meine eigene verwöhnte Kleinmütigkeit infrage zu stellen. Wir sind umgeben von Menschen, die erzählen, dass es keinen Sinn hat, sich zu engagieren, weil sich nichts ändern lässt. So klingen die Phrasen der Apathie: Beim Klimawandel ist es ohnehin schon zu spät. Auf große Konzerne haben wir sowieso keinen Einfluss. Die Macht gibt es nicht usw. Solche Sätze legitimieren die eigene Inaktivität und kommen aus dem Schminkkoffer der Selbstrechtfertigung. Wenn Konstantin zu dem Schluss kommt, er könne gegen den Stalinismus kämpfen, können wir wohl gegen TTIP und Monsanto kämpfen.

Vielleicht ist auch der Kampf gegen TTIP und Monsanto mit persönlichen Risiken behaftet?

Da komme ich auf den Satz zurück , dass man für Überzeugungen auch Opferbereitschaft aufbringen muss. Wir müssen uns wohl ein wenig selbst überfordern, wenn wir nicht als Generation in die Geschichte eingehen wollen, die an entscheidenden Wendepunkten versagt hat, an denen die Katastrophe noch aufzuhalten gewesen wäre.

Interview: Katja Maurer

Dieser Artikel erschien zuerst im medico-Rundschreiben 04/2015. Das Rundschreiben schicken wir Ihnen gerne kostenlos zu. <link material rundschreiben rundschreiben-bestellen internal-link>Jetzt abonnieren!

Veröffentlicht am 01. Dezember 2015

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