Weltgesundheit und Aufstand

Die medico-Panels auf der Konferenz „Armut und Gesundheit“

Das Motto der 17. Konferenz „Armut und Gesundheit“ – „Prävention wirkt“ – müsste im Herkunftsland des Sozialmediziners Rudolf Virchow Realität oder wenigstens unbestrittene Erkenntnis sein. Doch die Gesundheitsförderinnen und -förderer, die sich jedes Jahr bei der von „Gesundheit Berlin“ organisierten Tagung treffen, stehen immer wieder unter Druck, die Wirksamkeit von Prävention zu beweisen. Mit der Gesundheit scheint es so zu sein wie mit dem Klima. Man kennt Ursachen und Folgen von Krisen, man kennt Abhilfemöglichkeiten, aber es fehlt die Bereitschaft zum Politikwechsel. Und so wird jede angeblich wissenschaftliche Studie, die den Klimawandel bestreitet benutzt, um die Diskussion neu zu entfachen und Handlungen zurückzustellen.

Auf den medico-Panels „Globale Gesundheit und soziale Gerechtigkeit“, die ebenfalls jährlich während der Konferenz „Armut und Gesundheit“ stattfinden, kamen einige der sich daraus ergebenden Fragen zur Sprache. Der britische Gesundheitswissenschaftler und Aktivist des People's Health Movement Mike Rowson [Audio-Mitschnitt MP3, 25 Min./23MB] und der belgische Arzt und Gesundheitsaktivist Remco van der Pas [Audio-Mitschnitt MP3, 24 Min./23MB] stellten die Arbeit des People's Health Movement vor. Bei seiner Gründung im Jahr 2000 ging es eben darum, kritisches politisches Gesundheitswissen zu bewahren und in die neuen globalisierten Kontexte zu übersetzen. Van der Pas berichtete, dass die Gesundheitsaktivisten bei der Gründung des PHM vor allen Dingen die Frage stellten: Wie kann der menschenrechtliche Ansatz, der mit der Alma-Ata-Deklaration von 1978 und seiner Losung „Gesundheit für alle“ eigentlich die Agenda der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sein sollte, unter den Bedingungen der Globalisierung neu gedacht und verwirklicht werden. Vor dem jungen Publikum dieses Panels machten beide Referenten deutlich, dass die weltweite Gesundheitskrise heute eine „Krise der globalen Ungleichheit“ ist. Die Ungleichheit sei, so Mike Rowson, global größer als die Ungleichheit in den einzelnen Ländern. Hier spiegelt sich bei aller zunehmenden Ungleichheit auch in den privilegierteren Ländern noch das Armutsgefälle des Nord-Süd-Konflikts, aber auch die Herausforderung, dass die Gesundheitskrise gerade für die Ärmsten der Welt nur durch globale Umverteilung zu bewältigen ist.

Die Krise der globalen Ungleichheit und ihre Folgen für globale Gesundheit zeigt sich in der WHO, so Mike Rowson, der sich dabei auf Daten aus dem von medico mitfinanzierten Global Health Watch 2011 stützte. War die WHO vor 20 Jahren noch die dominierende Instanz für globale Gesundheit mit einem entsprechenden Budget, das von den Mitgliedsstaaten gesichert wurde, so verfügt heute ein privater Akteur wie die Gates-Stiftung über ein höheres Jahresbudget als die suprastaatliche Instanz. Hinzu komme, dass die WHO mittlerweile abhängig sei von freiwilligen Finanzierungen durch private und öffentliche Geber, die meist projektgebunden ausgezahlt würden.

Es ist gelungen, mit der Vernetzung kritischer Gesundheitsaktivisten, zum Beispiel im People's Health Movement, den menschenrechtlichen Ansatz in der Gesundheit als Ziel globaler Gesundheitspolitik zu verteidigen. Doch die Herausforderungen in der globalen Gesundheitspolitik sind durch die Vielzahl an öffentlichen und privaten Akteuren sowie der unübersichtlichen Interessenslage der einzelnen auch höchst kompliziert geworden. So schloss Mike Rowson seinen Beitrag mit der Frage, wer denn der Adressat der Gesundheitsbewegung sein müsste.

Die WHO sei auf jeden Fall der Ort, der weltdemokratisch am ehesten legitimiert sei. Darüber waren sich die Beteiligten des Panels „Partizipation und Governance“ einig. Umso stärker sind allerdings die Versuche, die Bedeutung der gewählten Regierungen zu schmälern und den Philanthrokapitalismus, verkörpert durch Bill Gates sowie private Akteure aufzuwerten. Alle würden, so Thomas Gebauer [Audio-Mitschnitt MP3, 22 Min./21MB], medico-Geschäftsführer, als „Stakeholder gleichrangig behandelt“. Diese Sprache in der Debatte um die WHO-Reform aber ist verdächtig: Stakeholder, Input – Output, Effizienz, Business-Modell – alles betriebswirtschaftliche Vokabeln, die verwandt werden, als seien sie schon Common Sense. Sie veränderten aber die institutionelle Kultur auf Dauer nachhaltig, so Gebauer. Die Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Ilona Kickbusch [Audio-Mitschnitt MP3, 20 Min./19MB] äußerte sich pointiert: der vielgepriesene Multilateralismus der WHO, sei „vor allen Dingen ein Marktmultilateralismus“. Sie forderte Rechenschaftslegung und Transparenz, um die unterschiedlichen Akteure zur Offenlegung ihrer Interessen zu zwingen. Der Konflikt lautet: öffentliche Interessen, in deren Mittelpunkt die Realisierung des verbrieften Rechts auf Gesundheit stehen, versus private, gewinnorientierte Interessen. Es geht also nicht nur um eine Demokratisierung der WHO, sondern auch um ihre Repolitisierung. „Ohne Öffentlichkeit wird das nicht gehen“, so Thomas Gebauer. Die herzustellen ist auf globaler Ebene aber eine große Herausforderung.

Wie das in geradezu ungeahnter und radikaler Weise vonstatten gehen kann, berichtete Dr. Alaa Shukralla [Audio-Mitschnitt MP3, 45 Min./42MB] aus Ägypten. Der seit Jahren politisch aktive Kinderarzt erläuterte in seinem analytischen Beitrag die Stationen der ägyptischen Revolution und ihre Vorgeschichte, bei der jahrelange Gesundheitskämpfe eine große Rolle spielten. Aber niemand konnte die Macht des Tahrir-Platzes vorhersehen. „Diese Erfahrung“, so Shukralla, „kann uns keiner nehmen. Die Ereignisse in Ägypten sind ein Beweis für das völlige Scheitern des globalen Neoliberalismus“. Dieser machte sich in Ägypten durch die Verschlechterung von Bildungs- und Gesundheitswesen sowie einer wachsenden Korruption in der Polizei bemerkbar. Am Ende dieser Entwicklung stand der Aufstand. Wenn der richtige Moment, die öffentliche Bewegung und die Institution, die Träger der Veränderung sein könnte, zusammenkommen, dann hat das Recht auf Gesundheit auch global seine Chance. An dieser – noch – utopischen Schnittstelle kamen die drei medico-Panels zusammen. Erreicht ist sie nicht, aber gedacht werden muss sie.

Katja Maurer

Vollständige Audio-Dokumentation unter: www.medico.de/armutundgesundheit

Veröffentlicht am 22. März 2012

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