Was meint Gesundheit als Gemeingut und wie kann es weltweit verwirklicht werden?

Gesundheit als globale Herausforderung

Warum muss das Thema Gesundheit global betrachtet werden?

Gesundheitliche Fürsorge kann heute nicht mehr nur im nationalen Kontext realisiert werden. Die Liberalisierung des internationalen Waren- und Kapitaltransfers, der Klimawandel, der Waffenhandel, die Gewaltökonomien – all das beeinflusst die gesundheitliche Lage von Menschen, weshalb Politik, die Gesundheit sichern und verbessern will, gar nicht anders kann, als international zu handeln. Voraussetzung dafür ist ein neues Verständnis von Gesundheit: Wir müssen Gesundheit als globales Gemeingut betrachten. Nur so können wir einen gleichen Zugang zu Gesundheit als universelles Menschenrecht erreichen und gleichzeitig die annähernde Verwirklichung dieses Rechts in privilegierten Regionen wie in Europa verteidigen.

Die Ausgaben für Gesundheit sind weltweit gewachsen. Hat sich die Lage verbessert?

Tatsächlich ist in vielen Ländern die Lebenserwartung gestiegen und die Welt im Zuge der ökonomischen Globalisierung enger zusammengerückt. Die neue Mittelschicht in Schwellenländern wie Indien oder Brasilien hat heute Zugang zu hochwertigen Gesundheitsleistungen. Zugleich aber ist die Lücke zwischen Reich und Arm größer geworden. Das neoliberale Paradigma, mit der Deregulierung der Wirtschaft würde auch etwas für die Armen abfallen, hat sich als Irrtum erwiesen. Das weltweite Wirtschaftswachstum hat das bestehende Elend eher gefestigt. An dem Kreislauf „Armut macht krank und Krankheit macht arm“ haben alle globalen Programme zur Armutsbekämpfung nichts geändert. Wenn wir Gesundheit als Menschenrecht ernst nehmen, müssen wir über seine Universalität und konkrete Schritte zu seiner Verwirklichung auf globaler Ebene reden.

Wie lassen sich Menschenrechte durch eine globale Politik verwirklichen?

Im Gesundheitsbereich ist der Kampf um das Recht aller HIV-Aids- Betroffenen auf die Versorgung mit antiretroviralen Medikamenten ein herausragendes Beispiel, wie es gehen kann. Ohne eine weltweit vernetzte soziale Bewegung, die für transnationale Öffentlichkeit gesorgt hat, wäre das nie gelungen. Der Einfluss der Pharmaindustrie mit ihrem Interesse an hochpreisigen Medikamenten und der Aufrechterhaltung des Patentschutzes konnte zurückgedrängt werden. Es wurden globale Institutionen wie der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) geschaffen, der Mittel aquiriert und Programme zur Umsetzung organisiert.

Was lässt sich aus der globalen HIV-Aids-Politik lernen?

Die Erfahrungen mit dem GFATM (s.o.) zeigen den Weg zur Realisierung einer allgemeinen Gesundheitsabsicherung und die Wirksamkeit internationaler Finanzierungsinstrumente. Zugleich macht der Fonds aber deutlich, dass ein Ansatz, der nur drei Krankheiten im Auge hat, die Probleme auf lange Sicht nicht lösen kann. Ohne den Aufbau von horizontalen Gesundheitssystemen können kurzfristig erzielte Erfolge nicht nachhaltig gesichert werden. Dauerhafte Verbesserungen verlangen – statt freiwilliger Zuwendungen – eine langfristig gesicherte Finanzierung, die nur auf der Grundlage vertraglich fixierter Pflichtbeiträge möglich ist. Soll ein neues internationales Finanzierungsschema nachhaltig wirksam sein, muss es von einem rechtsverbindlichen Abkommen getragen werden, das den Zweck - die Gewährleistung einer universellen gesundheitlichen Absicherung - definiert, Beitragszahlungen regelt und Auszahlungsmodalitäten festhält. In jedem Fall würde ein solches internationales Finanzausgleichssystem einen Paradigmenwechsel bedeuten: Die bislang geübte Praxis der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit würde ersetzt durch eine Kooperation, die von Rechtsansprüchen und gemeinsamer Verantwortung getragen wird.

Woran kann die Idee einer Globalisierung von Solidarstrukturen und öffentlichen Gütern anknüpfen?

Das Ziel „Gesundheit für Alle“ stand bereits 1948 Pate, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegründet wurde. Mit Blick auf das seitdem akkumulierte Wissen und den weltweit erzeugten Reichtum hätte das Ziel längst verwirklicht werden können. Globale Gesundheit verlangt nicht die Erwirtschaftung weiteren Reichtums, sondern die gerechtere Verteilung des bestehenden. Die eigentlichen Hindernisse sind der Mangel an politischer Analyse und Strategie sowie öffentlichem Druck, der für Veränderungen notwendig ist.

Wie realistisch ist die Globalisierung des Solidarprinzips?

In der Tat wird das Solidarprinzip hierzulande momentan heftig attackiert und ein internationales Finanzausgleichssystem für Gesundheit mag erst recht utopisch erscheinen. Aber Veränderung gelingt nicht, wenn man über den herrschenden Pragmatismus nicht hinausgeht. Mit Blick auf all das, was im Namen des Realismus angerichtet wurde, hat sich der Realismus längst als dumm erwiesen. Die Globalisierung hat ein Stadium erreicht, in dem zum ersten Mal die Chance einer Weltbürgerschaft aufscheint. Die Schaffung einer Institution, die internationale Gesundheitsfinanzierung zur Aufgabe hat, gehört unbedingt auf die politische Agenda. Solidarisch verfasste nationale Institutionen wie steuerbasierte Gesundheitssysteme oder gesetzlich geregelte soziale Krankenversicherungen werden letztlich nur überleben können, wenn Solidarität selbst globalisiert wird, wenn soziale Infrastruktur grenzübergreifend für alle Menschen überall auf der Welt Wirklichkeit wird. An dieser Stelle trifft Eigeninteresse auf Ethik.

Veröffentlicht am 06. Januar 2014

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