Dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan galt die „Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen“ (ICBL) als „erfolgreichste Bürgerinitiative“ der Welt. Tatsächlich ist es ihr gelungen, das, was sie sich vorgenommen hat, nämlich Minen und minenähnliche Waffen weltweit zu ächten, weitgehend durchzusetzen. Heute gibt es wohl kein anderes Waffensystem, das öffentlich so „unten durch“ ist.
Nicht zuletzt das „Aktionsbündnis Landmine.de“, die deutsche Untergliederung der ICBL kann für sich in Anspruch nehmen, einiges zum Verbot von Antipersonenminen, das 1997 in Ottawa beschlossen wurde, sowie zum Verbot von Streumunition (Oslo 2008) beigetragen zu haben. Das Bündnis, in dem 16 entwicklungspolitische Organisationen über viele Jahre hinweg eng zusammengearbeitet haben, kann nun den Schritt vollziehen, der dem Erreichen von Zielen logisch folgt: sich formell wieder aufzulösen.
Die Auflösung des Aktionsbündnisses bedeutet allerdings nicht das Ende des Engagements gegen Minen. Medico und andere Organisationen, die das Bündnis viele Jahre lang getragen haben, werden die Arbeit fortsetzen und auch weiterhin nach Kräften Projekte zur Minenräumung und der Rehabilitation von Opfern fördern. Auch werden wir darüber wachen, dass die beiden Abkommen eingehalten werden und Vertragsstaaten wie Deutschland nicht nachlassen, jene Mittel bereitzustellen, die zur Erreichung des Ziels einer minenfreien Welt benötigt werden.
Rückblick
Für den Erfolg der Kampagne, die 1991 von medico zusammen mit der „Vietnam Veterans of America Foundation“ initiiert wurde, gibt es gewiss viele Gründe. Zu den wichtigsten zählt, dass es der ICBL gelungen ist, eine unabhängige „internationale Öffentlichkeit“ aufzubauen, die es vermochte, ein militärisches in ein öffentliches Thema zu wenden. Wir haben uns eingemischt und ließen uns auch nicht von dem Vorwurf entmutigen, wir würden von solchen Dingen nichts verstehen. In ihrer Hochphase bestand die ICBL aus einem weltweit operierenden Netz von über 60 nationalen Kampagnen, mit Tausenden von aktiven Mitstreitern aus den unterschiedlichsten öffentlichen Zusammenhängen. Amerikanische Human Rights Lawyers gehörten dazu, afghanische Minenräumer, deutsche Entwicklungshelfer, philippinische Menschenrechtler, australische Nonnen, kambodschanische Minenopfer, ehemalige Sprengstoffexperten der britischen Armee und der NVA, Kriegsveteranen, Mediziner, Journalisten, Künstler, Kirchenvertreter aller Glaubensrichtungen, später auch Prinzessinnen, Tatortkommissare, etc. Fürwahr eine globale „Gegenöffentlichkeit“, die sich mit Unterstützung von universitären und friedenspolitischen Einrichtungen schließlich auch das aneignete, was die Grundlage jeder erfolgreichen Kampagnenarbeit ist: eine überzeugende „Gegenexpertise“.
Es gelang, über alle Ländergrenzen und sozialen Schranken hinweg, einen weltgesellschaftlichen Einspruch zu formulieren, an dem schließlich auch nationale Regierungen nicht mehr vorbei kamen.
Gegenöffentlichkeit
Seit 1991, seit dem Beginn der Minenkampagne, hat sich vieles verändert. Die Zahl der Menschen, die durch Minen getötet oder verstümmelt werden, konnte drastisch gesenkt werden, und auch wenn noch nirgendwo völlige Entwarnung gegeben werden kann, kehrt doch langsam das Leben in die ehemals minenverseuchten Gebiete wieder zurück. Dass heute weltweit großflächig Minen geräumt werden, ist aber auch das Verdienst eines unterdessen entstandenen Netzes von Institutionen, die über alle Grenzen hinweg für die Umsetzung des Ottawa-Vertrages sorgen.
Der Druck, den die ICBL in den zurückliegenden zwei Jahr zehnten entfaltet hat, führte eben nicht nur zur Setzung einer neuen internationalen Norm: der völkerrechtlichen Ächtung von Minen, sondern hat auch jene administrativ-institutionelle Struktur entstehen lassen, ohne die das Zurückdrängen der Minengefahren nicht möglich wäre. Administration klingt wenig spektakulär, nicht sonderlich attraktiv, und doch steht außer Frage, dass für die Verwirklichung eines menschenwürdigen Lebens, neben entsprechenden gesellschaftlichen Übereinkünften, auch verlässliche gesellschaftliche Institutionen notwendig sind.
Das galt und gilt auch für das Ottawa-Abkommen. Zu den Institutionen, die sich seit der Unterzeichnung des Abkommens herausgebildet haben, zählen regelmäßig tagende Vertragsstaatenkonferenzen, die sich um die politische Umsetzung der Vertragsbestimmungen kümmern; zivilgesellschaftliche Watch-Dienste, wie der „Landmine Monitor“, die über die Einhaltung der Beschlüsse wachen; der bei den Vereinten Nationen eingerichtete „UN-Mines Action Service“ (UNMAS), der die in aller Welt forcierten Minenaufklärungs- und Minenräumprogramme koordiniert; das in der Schweiz angesiedelte zwischenstaatliche „Geneva International Center for Humanitarian Demining“ (GICHD), das notwendige Beistellungen leistet, geeignete Minenräumkonzepte entwickelte und entsprechende „Standard Operation Procedures“ und Qualitätsstandards erarbeitete. Auch das klingt nach überflüssiger Bürokratie, doch sind es nicht zuletzt solche Qualitätsstandards, die am Ende über Leben und Tod entscheiden.
Bei aller Kritik, die an Verwaltungsapparaten aufgrund ihrer Tendenz zu bürokratischer Verselbständigung zu führen ist, gehört es doch zur Erfolgsgeschichte der ICBL, auf die Einrichtung solcher Institutionen gedrungen zu haben. Und es war harte Überzeugungsarbeit notwendig, eine Form von „Bürgerdiplomatie“, um einzelne Vertragsstaaten, darunter Deutschland, auf multilaterale Aktivitäten im Kontext von Minenräumung und Opferhilfe zu verpflichten.
Es ist gut, dass sich im Kontext der Umsetzung des Ottawa-Abkommens, sozusagen gegenläufig zur neoliberalen Infragestellung von multilateralem Engagement, eine internationale Kooperation herausgebildet hat. Die ist heute unter dem Dach der Vereinten Nationen angesiedelt und sorgt dafür, dass Minenaktionsprogramme allein an humanitären Zielsetzungen ausgerichtet werden. Wie notwendig ein solches multilaterales Engagement ist, zeigt sich nicht zuletzt im heutigen Afghanistan, wo die erfolgreiche Arbeit der vergangenen Jahre in dem Maße wieder aufs Spiel gesetzt wird, wie sie von partikularen militärischen Strategien, heißen sie nun „comprehensive approach“ oder „Vernetzte Sicherheit“, überlagert wird.
Von verlässlichen, dem Gemeinwohl verpflichteten Institutionen war vor 20 Jahren noch keine Spur. Im Gegenteil: es war die skandalöse Tatenlosigkeit der Staatenwelt, auf die NGOs mit privaten Hilfsprojekten und schließlich auch der Minenkampagne reagierten. Dabei ging es uns selbstverständlich nicht darum, die staatlichen Institutionen von ihren Verpflichtungen zu entlasten, sondern das Staatsversagen bei der Beantwortung sozialer und humanitärer Katastrophen anzuprangern.