Westsahara

Vergessen und verkauft

Marokko unterstützt die deutsche Abschottungspolitik. Wie das die Lage der sahrauischen Flüchtlinge verschlechtert.

Sie steigen nicht in die Boote und schnallen sich keine Sprengstoffgürtel um. Sie achten das Völkerrecht. Statt eines Kalifats haben sie eine säkulare, demokratische Republik ausgerufen. Sie haben den bewaffneten Kampf gegen das Versprechen der Staatengemeinschaft eingetauscht, Selbstbestimmung auch im Rahmen des internationalen Rechts erreichen zu können. Die Folge von all dem? Nur die wenigsten wissen hierzulande um die Situation der Sahrauis und dass ihr Land, die Westsahara, seit Jahrzehnten unter marokkanischer Besatzung steht.

Vor 40 Jahren flohen die Sahrauis vor den Phosphor- und Napalmbomben der marokkanischen Armee, die die ehemalige spanische Kolonie besetzte und die Einwohner vertrieb. Seitdem schwelt in der Westsahara der Konflikt zwischen Marokko und den Sahrauis, die für einen unabhängigen Staat kämpfen. Seit dem Waffenstillstand von 1991 aber gilt er als „eingefroren“. In Zeiten des globalen Katastrophenkapitalismus und entgrenzter Gewalt führt dies jedoch dazu, dass die kalte Krise zum Normalzustand und der Flüchtlingsstatus von mehr als 100.000 Sahrauis in der menschenfeindlichen Geröllwüste Südwestalgeriens zementiert wird.

Dort sind sie zwar in Sicherheit. Doch die vollständige Abhängigkeit von internationaler Hilfe und die Perspektivlosigkeit machen das Lagerleben immer unerträglicher. Dabei waren die Lager lange Zeit Orte des Aufbruches und der Hoffnung. Als selbstverwaltete Flüchtlingsrepublik im Exil dienen sie noch heute als Basis für die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS). Die als antikoloniale und sozialistische Befreiungsbewegung gegründete Polisario betreibt dort eine Politik , die in der Region alles andere als selbstverständlich ist: Religiöser Fundamentalismus ist ihnen fremd, der Glaube Privatsache, bei Scheidungen behält die Frau das Zelt, Mädchen und Jungen werden zusammen unterrichtet. Die Lager sind der Beleg dafür, dass die Sahrauis einen demokratischen Staat führen können. Gleichzeitig sind sie ein Zeichen gegen das Vergessen.

Sehr wohl aber registrieren die Sahrauis, dass die „neueren“ Krisenherde die ohnehin nie große internationale Aufmerksamkeit weiter abzieht. Das wirkt sich unmittelbar aus. So werden die Finanzierungslücken beim UN-Flüchtlingshilfswerk und dem Welternährungsprogramm immer größer. Insgesamt sind die internationalen Hilfen laut Polisario um 40 Prozent zurückgegangen, im vergangenen Jahr wurden die Lebensmittelrationen gekürzt. Hinzu kommt, dass die EU die Besatzungsmacht Marokko aus ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen zunehmend als „privilegierten Partner“ hofiert.

Ganz neu ist das nicht. Bereits 1992 wurde die UN-Friedenstruppe MINURSO beauftragt, ein Referendum über den zukünftigen Status der Westsahara durchzuführen. Die Abstimmung ist bis heute erfolgreich von Marokko blockiert worden. Im Bündnis mit Frankreich ist es Rabat bisher sogar gelungen, dass das Mandat der MINURSO als einzige UN-Mission keinen Auftrag zur Überwachung der Menschenrechtssituation enthält. Mängel bei der Versammlungsfreiheit, bei der freien Meinungsäußerung bis hin zu Misshandlungen oder Folter? Auch die in der Westsahara eingesetzten Bundeswehrsoldaten sind zum Wegschauen verpflichtet.

Das aktuelle Interesse der Bundesregierung, Marokko zum „sicheren Herkunftsland“ zu erklären, stärkt die Position der dortigen Machthaber enorm. Als Gegenleistung zur Unterstützung der deutschen Abschottungs- und Abschiebepolitik, für die Innenminister Thomas de Maizière jüngst nach Rabat reiste, konnte die marokkanische Seite politische Zugeständnisse im Westsaharakonflikt einfordern. Der dreckige Deal in einem Satz: Damit Deutschland zukünftig nach Marokko abschieben kann, müssen die sahrauischen Flüchtlinge weiter in der algerischen Wüste bleiben. Dahinter steckt auch ökonomisches Kalkül. Denn die Ausbeutung der Naturschätze in der besetzten Westsahara und ihrer Küstengewässer ist für Marokko lukrativ.

Das Land wehrt sich deshalb vehement gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Der hatte ein Agrar- und Fischereiabkommen zwischen dem Maghreb-Staat und der Europäischen Union auf Eis gelegt, weil es die Westsahara einbezog. Die Ausplünderung eines besetzten Gebietes durch die Besatzungsmacht ist jedoch eindeutig völkerrechtswidrig. Im Gegenzug für die Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern hat die Bundesregierung nun aber Marokko zugesagt, sich für die Rücknahme des Urteils einzusetzen. Während Marokko also beim Bruch des Völkerrechts unterstützt wird, werden die Sahrauis für ihre Achtung der Regeln des internationalen Rechts bestraft. Anders formuliert: Das Recht des Stärkeren droht die Stärke des Rechts zu schlagen.

Bernd Eichner

Gemeinsam mit seinen Partnern von Western Sahara Ressource Watch in Brüssel und dem Verein „Freiheit für die Westsahara“ wird medico die Auseinandersetzungen um das Handelsabkommen weiter verfolgen und die Haltung der Bundesregierung kritisieren.

Spendenstichwort: Westsahara

Veröffentlicht am 22. März 2016

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