TraumaTechnik

Die Globalisierung eines Krankheitsbildes und seiner Therapien

Im Zuge des wachsenden Booms an traumatherapeutischen Hilfsangeboten insbesondere ab Mitte der 1990er Jahre (Stichwort Jugoslawienkriege, Ruanda) verlor sich das Bewusstsein über die Ambivalenz von privatem Leid und gesellschaftlichen Ursachen. An die Stelle eines subversiven Traumadiskurses, der auch die Schrecken der Unmenschlichkeit und den Protest gegen diese formulierte, trat ein pragmatischer Schnell-Helfen-Diskurs. Jetzt ging es darum, möglichst schnell vor Ort zu sein, um sich als Experte den Traumatisierten anzubieten, die lediglich als Opfer wahrgenommen wurden, die sich nicht selbst helfen können.

Welches Ausmaß dieser unkontrollierte Markt annehmen kann, zeigte sich nach dem Tsunami 2005. Eine Studie des amerikanischen Autors Ethan Watters untersuchte, auf welche Weise eine zweite Tsunamiwelle von Traumaexperten die betroffenen Regionen überschwemmte, die er als die größte internationale psychologische Intervention aller Zeiten bezeichnete. Schon zwei Wochen nach dem Unglück schrieb ein WHO-Beobachter irritiert, dass Hunderte von Therapeuten vor Ort seien, die nichts taten und nur im Weg waren, weil sie die Sprache nicht verstanden und nicht wussten, was sie tun sollten. Trotzdem schien es, als ob jeder, der irgendetwas mit Trauma zu tun hat, vor Ort sein wollte und überall wurden Zahlen publiziert.

Mindestens 15% - manche sprachen gar von 50-90% - der Überlebenden würden posttraumatische Störungen entwickeln. Darunter war auch die Pharmafirma Pfizer, die sofort ein Symposium über psychosoziale Hilfe organisierte, auf dem sie ihr neues Antidepressivum Zoloft anpries, das schon nach wenigen Wochen Wut und ‚emotionalen Aufruhr’ beseitigen würde. Mit der „Volksarmee” von Traumatherapeuten kamen auch die Forscher, wie z.B. Neuropsychologen der Konstanzer Universität, die 3 Wochen nach dem Unglück eine Studie über posttraumatische Störungen (PTSD) bei Kindern („zwischen 14 und 39%“) präsentierten, obwohl selbst das „DSM Manual” erst von PTSD spricht, wenn Symptome länger als 4 Wochen anhalten.

All diese Studien und Interventionen waren vollkommen abgetrennt von lokalen Narrativen über die Bedeutung und Auswirkungen des Tsunami sowie deren Suche nach Bewältigungsformen. Der Medizinanthropologe Arthur Kleinman meint dazu: „So nehmen wir ihnen ihre eigenen kulturellen Narrative und stülpen unsere über. Das ist ein schreckliches Beispiel für die Dehumanisierung der Menschen.”

Usche Merk ist verantwortlich für die psychosoziale Arbeit bei medico international

Veröffentlicht am 05. Juli 2012

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