»Tödliches Versteckspiel«

Der Minenkrieg gegen die Kinder

von Thomas Gebauer

Das Ding sah aus wie der Plastikdeckel einer Thermoskanne. Es lag am Straßenrand unweit eines Dorfes im Norden Somalias. Auch der von kindlicher Neugier erfüllte Griff nach dem interessanten Objekt war nichts besonderes. Dann der grelle Blitz, der ohrenbetäubende Knall. Erst im Krankenhaus von Hargiesa kam der 6-jährige Junge wieder zu sich. Die Explosion der Mine hatte er überlebt – auf beiden Augen erblindet, das Gesicht entstellt, die rechte Hand amputiert und beide Knie durch Schrapnell derart zerstört, daß er seitdem nicht mehr gehen kann.

Minen bedrohen das Leben von Kindern und deren Familien in großen Teilen der Welt. In Ländern wie Angola, Somalia, Mozambique, Ägypten, Kurdistan, Bosnien, Afghanistan, Kambodscha bedeuten schon die Arbeit auf dem Feld, die Suche nach Feuerholz, der Gang zur Schule, das Spielen im Dorf ein todbringendes Risiko. Über 100 Millionen Minen sollen es sein, die weltweit vergraben liegen. Waffen, die nicht zwischen Soldat oder Zivilist unterscheiden und noch in 50 Jahren töten und verstümmeln. In Kambodscha gibt es noch immer mehr Minen als Kinder – zwei für jedes Kind. Weltweit kommt eine Mine auf 20 Kinder – die Saat von Kriegen, die – auch wenn sie offiziell längst als beendet gelten – doch niemals zu Ende gehen.

Kinder haben eine geringere Chance, einen Minenunfall zu überleben

Seit 1975 sind eine Million Menschen Minen zum Opfer gefallen, 1/3 davon Kinder unter 15 Jahren. Seltener als Erwachsene überleben Kinder Minenunfälle. Aufgrund der geringeren Körpergröße sind sie dem Zentrum der Explosion viel näher. Eine Mine, deren Sprengkraft gerade so bemessen ist, einem Soldaten ein Bein wegzureißen, kann bei Kindern bereits zu tödlichen Verletzungen lebenswichtiger innerer Organe führen. Auch ist die Fähigkeit von Kindern, einen größeren Blutverlust zu überleben, deutlich kleiner. Etwa die Hälfte aller Minenopfer sterben noch am Ort der Explosion, bevor überhaupt medizinische Hilfe geleistet werden kann. Viele verbluten. Diejenigen, die es schaffen, bis in ein Hospital gebracht zu werden, müssen sich in aller Regel gleich mehreren größeren Operationen unterziehen, einschließlich der Amputation eines oder mehrerer Gliedmaßen. Anfang der 90er Jahre lag der Anteil der Kinder an den Minenopfern im Krankenhaus von Hargeisa in Somalia bei 75 Prozent.

Manche Minen sehen aus wie Jojos

Kinder sind aber auch deshalb besonders gefährdet, weil ihnen eine neugierige Unruhe eigen ist und sie einen nahezu unbändigen Drang zum Spielen haben. Etwa 300 diverse Typen von Anti-Personen-Minen soll es geben: eine verwirrende Vielfalt an Formen und Farben, die Kinder ebenso anzieht, wie sie von ihnen kaum überblickt werden kann. Manche Minen ähneln Jo-Jos, andere beispielsweise Früchten wie Ananas.

In Kurdistan, wo Minen »wie Konfetti« über ganze Landstriche ausgebracht worden sind, beobachteten medico-Mitarbeiter Kinder, die aus allerlei Minen eindrucksvolle Seifenkisten bauten. In Angola integrieren Kinder gar die Minensuche in ihr Spiel – und imitierten mit aus Draht zusammen gebogenen kleinen »Detektoren« die Arbeit der professionellen Minenräumer.

Manche Minen sehen aus, als ob sie gezielt Kinder treffen sollen. In über 60 Ländern der Welt müssen heute Kinder über die Gefahren, die von Minen ausgehen, aufgeklärt werden. Sie sollen unbekannte Gegenstände nicht anfassen, eingetretene Wege nicht verlassen und ihrer unmittelbaren Umwelt mit ständiger Vorsicht begegnen. Neugierverhalten muß eingeschränkt, Unbefangenheit gegenüber der Umgebung kontrolliert werden. Jedes Versteckspielen kann tödlich enden, und ein Ast, als Machete phantasiert, deshalb nicht kinderleicht ins Spiel integriert werden, weil er abseits in der »no-go-area« liegt. Schon das Begreifen von Objekten des Alltags ist angstbesetzt, weshalb diese Kinder von immer mehr Dingen keinen Begriff mehr bekommen. Derart tragen Minen dazu bei, dass die Entwicklung der Kreativität sowie der anderen intelligiblen Fähigkeiten behindert wird. Mit unabsehbaren Langzeitfolgen für die betroffenen Gesellschaft.

Kinder in Afghanistan sammeln Minen als Altmetall

Ohne rasche Hilfen von außen wird sich für die Millionen von Menschen, die weltweit von Minen bedroht werden, nichts ändern. Auch und gerade für die Kinder Afghanistans nicht, das zu den am dichtesten verminten Ländern der Welt zählt. Wöchentlich 40 Minenunfälle werden heute aus von Krieg und Warlord-Herrschaft zerstörten Land berichtet, Unfälle, die auch viele Kinder und Jugendliche treffen, die in der allgemeinen Not zum Lebensunterhalt der Familien beitragen müssen. Viele sammeln Holz, andere suchen die Felder sogar gezielt nach Munitionsresten ab, die sich für ein bisschen Geld an die Altmetallhändler verkaufen lassen. Die Händler wissen um die Gefahren, die von Blindgängern ausgehen können, und verlangen von den Kindern, gefährlich aussehende Gegenstände in der Mitte durchzusägen.

Für die Aufklärung der Kinder über die Minengefahren und schließlich die Beseitigung der Sprengkörper ist viel Geld notwendig. Rechnet man die Mittel hinzu, die für die physische und psychische Rehabilitation minenversehrter Menschen notwendig sind, für deren soziale und wirtschaftliche Reintegration, für die Förderung kulturell und sozial intakter Gemeinschaften, denn nur in vitale soziale Gefüge können Menschen wirklich re-integriert werden, – würde man all das zusammenrechnen können, dürfte schnell klar werden, daß all die Mittel, die zur Beseitigung von Kriegsschäden bereitgestellt werden, letztlich Almosen bleiben. In den zurückliegenden 20 Jahren haben die USA, die Sowjetunion (später Russland), der Iran, Saudi-Arabien, Pakistan, China und einige andere Länder still und heimlich Waffen für 30 Mrd. US- Dollar nach Afghanistan geschafft. Ein viele geringere Summe steht heute für den Wiederaufbau des Landes zur Verfügung: 4,5 Mrd. Dollar, verteilt auf die nächsten fünf Jahre, die Anfang Januar auf der Internationalen Geberkonferenz in Tokio mit großer öffentlichen Begleitung versprochen wurden.

Die Beseitigung von Kriegsschäden und den der Folgen des Minenkrieges ist teuer, aber nur dann zu teuer, wenn sie einzig aus Mitteln der Not- und Entwicklungshilfe finanziert werden müsste. Das weltweite Minenproblem, das ohne Zweifel militärisch verursacht wurde, darf nicht zu Lasten der schon unter Geldmangel leidenden Programme für Gesundheit, Ausbildung, Ernährung und Kultur gehen. Es entspricht dem Verursacher-Prinzip, dass jene, die für die Minen verantwortlich sind, die den wirtschaftlichen, militärischen und politischen Profit aus dem Minen-Krieg gehabt haben, nun auch für die Kosten der Schadensbeseitigung aufzukommen haben. Deshalb fordert der Deutsche Initiativkreis zum Verbot von Landminen die Umwidmung der im Bundeshaushalt noch immer für die Entwicklung und Anschaffung neuer Minen-Technologie zur Verfügung stehenden Mittel auf integrierten Minen-Aktionsprogrammen. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß die Beseitigung von Minen nur vordergründig eine technische Frage ist. Allein die Abschaffung des sozialen Unrechts wird das Recht der Kinder erstreiten, (wieder) unbekümmert und spielerisch ihre Umwelt erforschen zu können, wie es Artikel 31 der »UN-Kinderrechtskonvention« festlegt.

Dabei kann jeder mithelfen! Durch Spenden unter den Stichwort: Minenopfer.

Gerne senden wir Ihnen weitere Informationen zum Thema Minen zu!

Veröffentlicht am 01. Juni 2002

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