Somalia

Schutz für Schutzlose

Die Frauenorganisation SSWC hilft Opfern sexueller Gewalt

Wachsende Gewalt gegen Frauen ist eine der grausamen Folgen des Bürgerkrieges, unter dem die somalische Bevölkerung seit vielen Jahren leidet. Besonders betroffen sind Flüchtlinge und Vertriebene. Den Frauen fehlt es an jeglichen Unterstützungsstrukturen.

Die Wände des Raumes sind mit Stoff ausgeschlagen, was eine warme Atmosphäre verbreitet. Außerdem stehen zwei Liegen in dem kleinen Raum. Als Sharifa Mohamed (Name geändert) vor vier Monaten zum ersten Mal hier war, nahm sie das alles nicht wahr. Die 28-jährige war dafür viel zu verzweifelt. Bis heute fällt es ihr schwer über das zu reden, was damals vorgefallen ist. Sharifa sitzt jetzt wieder in dem wohnlichen Zimmer, das „Save Somali Women and Children“ (SSWC) gehört, einer somalischen Nichtregierungsorganisation, die von medico gefördert wird. Nur hier, in diesem Schutzraum, ist Sharifa überhaupt in der Lage, über die Nacht vor vier Monaten zu sprechen.

Ihr Mann war an diesem Abend spät nach Hause gekommen, hatte aber am Tag immerhin ein bisschen Geld verdient. „Ich ging also los, um für die Kinder etwas zu Essen zu kaufen“, erzählt Sharifa leise. „Da standen plötzlich drei Männer vor mir und zogen mich in eine dunkle Ecke.“ Einer vergewaltigte sie, einer hielt sie fest und schlug sie, der Dritte verschloss ihr den Mund. Sie kämpfte, kam aber gegen die Übermacht der Männer nicht an. Erst nach anderthalb Stunden ließen die Angreifer von ihr ab. Weinend kehrte sie zu ihrer einfachen Hütte zurück. „Ich hatte starke Schmerzen im Unterleib und im Rücken, außerdem fühlte ich mich missbraucht”, beschreibt die 28-Jährige. „Ein paar Tage lang konnte ich vor Schmerzen noch nicht einmal aufstehen.”

Immerhin steht ihr Ehemann zu ihr, was in Somalia nicht selbstverständlich ist. Als seine Frau so verzweifelt nach Hause kam, war er sofort voller Mitleid mit ihr und Wut auf die Täter. Er rannte los und versuchte noch, die drei Männer zu fassen, die aber waren natürlich längst weg. Auf die Idee, zur Polizei zu gehen, kamen weder er noch Sharifa: Nach mehr als zwanzig Jahren ohne Regierung ist die somalische Polizei noch immer kaum funktionsfähig. Zwar hat das ostafrikanische Land mit Hassan Sheikh Mohamud seit einem Jahr ein legitimes Staatsoberhaupt, zwar wurde der Aufbau der Polizei seit vielen Jahren mit viel Geld auch aus Deutschland unterstützt, doch die Truppe ist bis heute wenig effektiv. Im Bewusst sein der Bevölkerung ist sie als Ansprechpartner nicht präsent. Und erst Recht nicht als Adresse in Notlagen wie diesen.

Am nächsten Morgen sah Sharifa drei Frauen in der Nähe ihrer Hütte. „Sie fragten herum, ob alles okay wäre, ob wir mit der Sicherheitslage zufrieden seien, ob wir eine ruhige Nacht gehabt hätten. Oder ob wir Hilfe bräuchten.“ Die drei Frauen waren Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation, in deren Raum Sharifa auch jetzt wieder sitzt. Sharifa begriff sofort, dass sie nach Überlebenden von Vergewaltigungen suchten

und offenbarte sich ihnen. Sie ging mit ihnen mit, wurde medizinisch behandelt und psychologisch betreut. „Save Somali Women and Children” bietet Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, auch juristische Unterstützung an. Fartuma Ibrahimi

arbeitet für die Organisation, die seit rund einem Jahr in Mogadischu tätig ist. Seitdem kamen fast 1.300 Frauen zu ihnen. „Das sind Menschen jeden Alters, sie sind zwischen vier und 80 Jahren alt“, sagt Fartuma Ibrahimi. „Und nicht nur Mädchen sind betroffen, auch Jungen.“ Allerdings erfasst die Organisation in ihrer Statistik nicht nur die Überlebenden von Vergewaltigungen, sondern auch die Verheiratung Minderjähriger und erzwungene Eheschließungen.

Keinerlei staatlicher Schutz für Frauen in Somalia

Die meisten derer, die vergewaltigt werden, leben in einem der vielen Lager für Kriegsvertriebene in Mogadischu. Nach unterschiedlichen Schätzungen haben noch immer bis zu 370.000 Menschen keine richtige Behausung, sondern wohnen in selbstgebauten Notunterkünften aus Ästen, Plastikplanen, Stoffresten oder Pappe. Dort sind sie den oft bewaffneten Tätern schutzlos ausgeliefert. Auch Sharifa Mohamed lebt mit ihrer Familie in einer solchen Hütte. Juristisch verfolgt werden die Täter in aller Regel nicht: Zum einen behalten viele Frauen die Verbrechen für sich, weil das Reden über eine Vergewaltigung in Somalia ein Tabu ist. Das hat sich nicht geändert, obwohl sexuelle Gewalt durch den langjährigen Zusammenbruch aller staatlichen Strukturen und die Auflösung vieler sozialer Regeln infolge des brutalen Bürgerkriegs mit seinen psychischen Folgen womöglich so weit verbreitet ist wie nie zuvor. Wobei es, wiederum mangels staatlicher Strukturen, keinerlei Statistik für die Kriegsjahre gibt.

Erhebt eine Frau doch einmal Anzeige, wird die Justiz meist nicht tätig. Tut sie es doch, wendet sie sich vielleicht sogar gegen die Opfer. So geschehen Anfang des Jahres. Da verurteilte ein somalisches Gericht ein Vergewaltigungsopfer zu einem Jahr Gefängnis. Der Grund: Die Frau hatte staatliche Sicherheitskräfte für die Tat verantwortlich gemacht und damit, so das Gericht, staatliche Institutionen beleidigt. Ein Journalist, der über den Fall berichtete, wurde gleichermaßen verurteilt. Erst nach internationaler Empörung kamen beide frei. Seitdem aber, sagt Fartuma Ibrahimi, trauten sich noch weniger Opfer als vorher, sich nach einem solchen Verbrechen jemandem anzuvertrauen.

Psychosoziale und finanzielle Unterstützung für Opfer sexueller Gewalt

Für Sharifa ist die Scham über das, was gegen ihren Willen mit ihr geschah, zu einem ständigen Begleiter geworden. „Mein Leben hat sich seitdem von Grund auf geändert“, beschreibt sie, die Augen auf den Boden gerichtet. „Früher habe ich

mein Gesicht nie verschleiert. Jetzt mache ich das, sobald ich das Haus verlasse. Ich möchte nicht, dass mich jemand erkennt.“ Ebenso allgegenwärtig ist die Angst davor, erneut zum Opfer zu werden. Anders als früher, geht sie abends nicht mehr alleine aus dem Haus. Was ihr im Ernstfall nicht viel helfen wird, denn ihr „Haus“ ist ja nichts, als die selbstgemachte Hütte. Immerhin hätten ihr aber die Beratungsstunden bei SSWC geholfen, sagt sie. „Ich weiß jetzt, dass es jeden treffen kann. Dass ich mir nichts vorzuwerfen habe.“ Trotzdem kann sie die Grübeleien darüber nicht stoppen, ob sie an jenem Abend, an dem sie noch etwas einkaufen ging, nicht doch etwas falsch gemacht hat.

Dass, in der Situation von Sharifa, Gespräche und Aufklärung nur ein Teil von Hilfe sein können, ist den Mitarbeiterinnen von SSWC klar. Sharifa erhielt bei SSWC auch einen Nähkurs und eine Nähmaschine. Beides ist Teil der wirtschaftlichen Unterstützung für Überlebende sexueller Gewalt. „Mit der Maschine kann ich Geld verdienen, ohne dafür die Hütte verlassen zu müssen“, sagt Sharifa zufrieden. Viel kommt dabei allerdings nicht zusammen, denn ihre Kunden muss sie schon

in der Stadt suchen. Ihre Nachbarn sind ja alles ebenfalls Vertriebene und haben in der Regel gar nicht genug Geld, um jemanden bezahlen zu können. An den besten Tagen verdient sie mit kleinen Reparaturarbeiten 18.000 somalische Shilling,

umgerechnet etwa einen Dollar. „Das reicht dann, um davon die Milch für die kleineren Kinder zu bezahlen.“ Für das tägliche Überleben ist aber noch viel mehr nötig als das: Sharifa und ihr Mann versorgen vier Kinder zwischen zwei und zehn

Jahren. Damit alle etwas essen können, sind sie weiterhin darauf angewiesen, dass Sharifas Mann bei der täglichen Suche nach Arbeit Glück hat und nicht leer ausgeht. Oft genug bleibt dieses Glück aus.

Bettina Rühl, Mogadischu

Spenden für die Frauen in Somalia

Seit der großen Hungersnot 2011 unterstützt medico die somalischen Frauenrechtlerinnen von SSWC. Damals verteilten sie u.a. Nahrungsmittel für die Flüchtlinge, die wegen der Dürre und des Bürgerkriegs in Mogadischu ankamen. Eine Arbeit, die sich bis heute fortsetzt, weil die Flüchtlinge nach wie vor keine feste und vor allen Dingen sichere Bleibe haben. Mit Unterstützung von medico hat SSWC ein Projekt im Rahmen von existenzsichernden Maßnahmen und Basisversorgung zur Wiedererlangung der Würde für Überlebende sexueller Gewalt im November 2013 initiiert. Das Projekt bietet eine viermonatige Ausbildung zur Näherin für Frauen, die Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt wurden. Die Frauen bekommen eine Nähmaschine gestellt und können sich so im Anschluss an die Ausbildung langfristig ihre Existenz sichern und die Versorgung ihrer Familien gewährleisten. Darüber hinaus leistet SSWC Basisversorgung für jene Frauen, die sich an die Organisation wenden.

Veröffentlicht am 04. November 2013

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