Kein Zuckerbrot beim Gartenfest
Blick zurück: das rundschreiben 4/2000

„Die Kürzung der öffentlichen Entwicklungshilfe ist ein Verbrechen.“ Und: „Ich begrüße die weltweit zunehmende Besorgnis über Themen wie Gleichheit und Armut.“ Solche Sätze hätten im Herbst 2000 viele sagen können. Sie stammen allerdings von James Wolfensohn, seinerzeit Präsident der Weltbank – einer jener Institutionen, die seit Jahrzehnten neoliberale „Strukturanpassungsprogramme“ vorantrieb. Was war da los? Unübersehbar waren die Verheerungen, die diese Form der Globalisierung anrichtete, indem sie die Kluft zwischen Arm und Reich vertiefte. Unübersehbar war auch, dass sich weltweit Widerspruch regte. Erst wenige Monate zuvor hatte die Konferenz der Welthandelsorganisation angesichts der „Schlacht von Seattle“ abgebrochen werden müssen. Nun stand ein Treffen von Weltbank und IWF in Prag an und wieder drohte Aufruhr.
Wolfensohns Windungen sollten Legitimation schaffen und die Bewegung spalten. So luden IWF und Weltbank Vertreter*innen von NGOs zu ihrer Tagung ein, während sich das Militär um den Protest kümmerte. Das medico-rundschreiben stellte fest: „Zuckerbrot für die NGOs, Peitsche für die Straße“. Und weiter: „Man braucht wahrlich nicht sonderlich rebellisch zu sein, um einzusehen, daß der Platz von menschenrechts- und entwicklungspolitischen Nicht-Regierungs-Organisationen nicht beim Gartenfest auf dem Hradschin, sondern auf der Straße, im erklärten Nicht-Regie-rungs-Lager zu suchen ist!“
Dieses Lager war breit. Zu Gipfelstürmen bliesen militante Aktionsgruppen, kritische Gewerkschaften und friedensbewegte Kirchenleute. Hinzu kamen junge Bündnisse wie die Entschuldungskampagne Jubilee 2000 oder ATTAC. Die Heterogenität war sowohl Stärke als auch Schwäche. Vernetzung tat Not. Für eine Globalisierung von unten setzte sich medico ein, sei es im Netzwerk Health Action International, bei internationalen Kampagnen für Entschuldung und Entschädigung im südlichen Afrika oder rund um den Handel mit „Konfliktrohstoffen“. Eines gelang, zumindest vorübergehend: Der Widerstand wuchs. Wenige Monate nach Wolfensohns warmen Worten erreichte die globalisierungskritische Bewegung in Europa beim G8-Gipfel in Genua mit 300.000 Teilnehmenden ihren Höhepunkt.
Das rundschreiben erscheint seit 1982. Die vergangenen 25 Jahre lassen sich digital nachlesen: medico.de/rundschreiben-archiv
