
Dass der Kampf für Gerechtigkeit einen langen Atem benötigt, ist eines der geflügelten Worte bei medico. Wie lang dieser lange Atem sein kann, zeigt ein Blick in das vor 25 Jahren erschienene rundschreiben. In einem Interview berichtete damals Fabiola Letelier, Rechtsanwältin und Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation CODEPU, über das Ringen gegen die Straflosigkeit im postdiktatorischen Chile. Der Anlass: ein historisches Urteil.
Elf Jahre zuvor, 1989, war der langjährige Diktator Augusto Pinochet aus dem Präsidentenpalast gewählt worden. Die „Transition“, die Rückkehr zur Demokratie, kam voran. Auf ihr lastete allerdings bleischwer das Schweigen über die Verbrechen des Regimes: staatlicher Terror, Folter, politische Morde. Auch Pinochet, „Held der Rechten“, blieb unangetastet, bis er 1998 in London verhaftet wurde. Ein zweijähriges Gezerre – mehrere Länder hatten Auslieferungsanträge gestellt – endete 2000 mit seiner Freilassung und Rückkehr ins vermeintlich sichere Chile. Dort aber hatten Organisationen wie CODEPU im Kampf für „Wahrheit und Gerechtigkeit“ ganze Arbeit geleistet: 106 Klagen gegen Pinochet waren eingereicht. „Jede neue löst eine Pressemeldung aus und gibt einem Opfer der Diktatur Name und Gesicht. Unsere tragische Geschichte kehrt in die Erinnerung und in das gesellschaftliche Gedächtnis zurück“, so Letelier im Interview. Anlass für ihre Zuversicht: Ein Gericht in Santiago hatte Pinochets Immunität aufgehoben, die Prozesse konnten tatsächlich beginnen. Letelier: „Das ist alles erst der Anfang.“ Doch Unrecht ist zäh. 2001 wurde Pinochet Verhandlungsunfähigkeit attestiert, bis zu seinem Tod 2006 blieb er straflos.
Die angestoßene gesellschaftliche Auseinandersetzung aber ließ sich nicht mehr aufhalten. Und sie dauert an. Noch heute macht sich CODEPU – weiterhin unterstützt von medico – gegen die rechte Deutungshoheit und für eine menschenrechtsbasierte Erinnerungskultur stark . Aktuell führt die Organisation auch Klagen gegen Angehörige von Militär und Carabineros wegen Verbrechen gegen die demokratische Protestbewegung 2019. Der Kampf um Gerechtigkeit, er atmet.
Das rundschreiben erscheint seit 1982. Die vergangenen 25 Jahre lassen sich digital nachlesen: medico.de/rundschreiben-archiv