Offener Brief, 16.06.2025

Die neue Landminen-Gefahr

16.06.25  

Zusammen mit weiteren NGOs wendet sich medico international an Außenminister Wadephul und Verteidigungsminister Pistorius, um vor einer möglichen Wiederaufnahme von Anti-Personen-Minen zu warnen.

Sehr geehrter Minister Dr. Wadephul, sehr geehrter Minister Pistorius,

mit diesem offenen Brief wenden wir uns an Sie in großer Besorgnis um die Zukunft der Ottawa-Konvention von 1997 über ein Verbot von Anti-Personenminen, einer der großen Errungenschaften der humanitären Abrüstungspolitik.

Nach der Ankündigung der Verteidigungsminister Polens, Litauens, Estlands und Lettlands im März und April dieses Jahres, dass sie beabsichtigen, sich aus dem Übereinkommen zurückzuziehen, haben nun die Parlamente Litauens, Lettlands und Finnlands diesen Schritt bestätigt. Auch in Estland und Polen sind entsprechende Gesetzgebungsverfahren im Gange. Angesichts dieser Entwicklungen wächst die Sorge vor der Rückkehr einer Waffe, die aus gutem Grund seit fast dreißig Jahren international geächtet ist. Wir bitten Sie dringend, sich gegen diese Entwicklung und für die Ottawa-Konvention stark zu machen!

Gerade im Blick auf das im Juni anstehende Zwischentreffen zur Ottawa-Konvention (Intersessional Meetings) in Genf bitten wir Sie dringend, diese fünf Länder öffentlich und unmissverständlich dazu aufzurufen, im Übereinkommen zu verbleiben. Ebenso fordern wir Sie auf, den Einsatz, die Herstellung und die Weitergabe von Antipersonenminen – durch wen auch immer und unter welchen Umständen auch immer – zu verurteilen. Außerdem sollte Deutschland alle diplomatischen Anstrengungen unternehmen, um seine europäischen Partner und andere Vertragsstaaten zu mobilisieren, damit die Integrität und Wirksamkeit der Ottawa-Konvention gewahrt bleibt.

Anti-Personenminen achten weder Waffenstillstände noch Friedensabkommen. Unabhängig von ihrer Bauart oder Technologie verstümmeln und töten sie bis zu ca. 85% Zivilistinnen und Zivilisten, darunter viele Kinder. Die menschlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen belasten die Zivilbevölkerung langfristig, insbesondere in benachteiligten und geschwächten Regionen, in denen die Menschen oft keine andere Wahl haben, als dort zu leben und ihr Land trotz der Verminung zu bewirtschaften. 

Die Rückkehr zu Anti-Personenminen darf keine Antwort auf die gestiegene Sicherheitsbedrohung in Europa sein, denn diese Waffen aus dem letzten Jahrtausend bieten in Wirklichkeit keinen Schutz für die Bevölkerung – im Gegenteil, sie können das Risiko schwerer Verletzungen sogar erhöhen. Aufgrund ihrer Bauweise treffen sie unterschiedslos und verstoßen somit gegen ein Grundprinzip des humanitären Völkerrechts. Sie verwandeln Grenzen in Todesfallen für die Zivilbevölkerung und gefährden sie über Generationen hinweg. Ihre humanitären Folgen stehen in keinem Verhältnis zu ihrem begrenzten strategischen Nutzen, für den es zudem Alternativen gibt.

Aus all diesen Gründen wurde die Ottawa-Konvention bis heute von 165 Staaten ratifiziert. Vor ihrem Inkrafttreten wurden Anti-Personenminen massenhaft in bewaffneten Konflikten eingesetzt und forderten zahlreiche zivile Opfer. Durch das Verbot von Einsatz, Produktion und Weitergabe dieser Waffen sowie die Verpflichtung zur Zerstörung der Bestände, zur Entminung und zur Unterstützung der Opfer hat der Vertrag die Bedrohung seither deutlich reduziert: Zwischen 1999 und 2013 sank die Zahl der jährlichen Opfer von weit über 20.000 auf unter 5.000. Die Anzahl der Produzenten und die Einsätze von Anti-Personenminen ging drastisch zurück. Weite Flächen Land konnten entmint werden, und über 50 Millionen Minen aus Beständen wurden vernichtet. Ein gewaltiger Fortschritt und eine große Erleichterung für die Opfer und die Zivilgesellschaft, deren Mobilisierung 1997 mit dem Friedensnobelpreis für die Internationale Landminenkampagne ausgezeichnet wurde.

Heute nun wankt das Fundament dieses Konsenses. Die Rückzugsankündigungen der fünf osteuropäischen Staaten erfolgen in einem Kontext, in dem der Einsatz von Anti-Personenminen wieder zunimmt. Nach Jahren des Rückgangs steigt die Zahl der neuen Opfer wieder – insbesondere durch den wiederholten Einsatz in aktuellen Konflikten, etwa durch Russland in der Ukraine, wie aus dem jüngsten Landminen-Monitor der Internationalen Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL) hervorgeht. Im November letzten Jahres sorgte dann die Entscheidung der US-Regierung, Anti-Personenminen an den Ottawa-Vertragsstaat Ukraine zu liefern, für großes Aufsehen.

Die nun drohende Wiederbewaffnung osteuropäischer Staaten mit Anti-Personenminen würde auch eine Wiedereinführung einheimischer Produktion erfordern unter erheblichen Investitionen - für eine Waffe, die bis heute von allen EU- und fast allen NATO-Staaten verboten ist. Mit einem solchen Schritt würden sich die Produzenten in eine Reihe mit jenen Staaten stellen, die laut dem Landminen-Monitor der ICBL weiterhin noch Anti-Personenminen herstellen, darunter vor allem China, Russland, Iran und Nordkorea.

Angesichts der geschilderten Risiken fordern wir Sie, sehr geehrte Herren Minister, dringend dazu auf, alles dafür zu tun, damit die deutsche Regierung ihr Engagement gegen Anti-Personenminen bekräftigt – und ihre engen Verbündeten dazu bewegt, diesem Beispiel zu folgen. Deutschland ist heute einer der aktivsten Vertragsstaaten der Ottawa-Konvention und einer der größten Geldgeber für weltweite Entminung und Opferfürsorge. Dieses Engagement darf gerade jetzt nicht zurückgehen - es kann nicht im deutschen Interesse sein, dass die weltweite Verminung wieder zunimmt und die Zahl der Opfer immer weiter steigt.

Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Inez Kipfer-Didavi, Geschäftsführerin Handicap International Deutschland

Philipp Frisch, Geschäftsführer Human Rights Watch Deutschland

Tamar Gabelnik, Direktorin Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen (ICBL)

Tsafrir Cohen, Geschäftsführer medico international

Florian Westphal, Geschäftsführer Save the Children Deutschland


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