(08.09.2025 - Białystok / Frankfurt a.M.) Heute um 11:00Uhr Ortszeit sprach das Bezirksgericht Hajnówka in Białystok, Ost-Polen, fünf Menschenrechtsaktivist:innen vom Vorwurf der „Beihilfe zur illegalen Einreise“ frei. Im März 2022 hatten polnische Grenzbeamte sie im Grenzgebiet zu Belarus festgenommen. Sie hatten einer neunköpfigen irakisch-kurdischen Familie sowie einem ägyptischen Staatsbürger humanitäre Hilfe geleistet. Ihnen drohte bis zu fünf Jahre Haft. Die Frankfurter Hilfsorganisation medico international unterstützt die Angeklagten und hat dem Prozess mehrmals beigewohnt.
Das Grenzgebiet im Białowieża-Urwald, dem letzten Urwald Europas, hat sich in den vergangenen Jahren in eine tödliche Zone für Menschen auf der Flucht verwandelt. Nachweislich sind dort seit 2021 102 Menschen gestorben, die in der Europäischen Union Asyl beantragen wollten. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Lokale Menschenrechtsaktivist:innen berichten von systematischen und enthemmten Gewalttaten der staatlichen Sicherheitskräfte und polnischen Bürgermilizen.
Valeria Hänsel, Referentin für Flucht und Migration bei medico international, sagt: „Das Urteil ist ein Lichtblick, wenn auch ein kleiner: Bewegungsfreiheit ist richtig und humanitäre Hilfe ist rechtens. Dies ist auch ein Erfolg der unermüdlichen Arbeit unserer Partnerorganisationen Helsinki Foundation for Human Rights und Szpila Kollektiv. Dennoch erleben wir eine massive Rechtsverschiebung und Aushöhlung des Rechts innerhalb der Europäischen Union. Polen, Griechenland, Deutschland und weitere Länder untergraben zunehmend das Recht auf Asyl und verabschieden sich schrittweise von einer menschenrechtsgeleiteten Politik auf europäischer Ebene. Dadurch werden rechtsfreie Räume an Europas Außengrenzen ebenso wie das Recht des Stärkeren zur Normalität. Dieser Trend muss ein Ende finden!“
Rechtsanwalt Jarosław Jagura von der Helsinki Foundation for Human Rights, die Menschen rechtlich unterstützt, die wegen ihrer Hilfsleistungen verfolgt werden und auch im Falle der fünf Angeklagten beratend tätig war, erklärt: „Das heutige Urteil ist ein großer Sieg für die Gerechtigkeit. Das Gericht hat eindeutig festgestellt, dass die Handlungen der Angeklagten keine Straftat darstellen. Dies ist sehr wichtig, weil es entgegen der Darstellung von Politikern zeigt, dass humanitäre Hilfe legal ist und bleiben wird. Wir hoffen, dass dieses Urteil rechtskräftig wird und als wichtige Orientierungshilfe für andere Verfahren in Polen und Europa dient, in denen es um die Kriminalisierung humanitärer Hilfe geht.“
Hintergrund
Die Anklage gegen die auch als „Hajnówka Five“ (H5) bekannt gewordenen Aktivist:innen stützte sich auf Artikel 264 des polnischen Strafgesetzbuches und lautete „Beihilfe zum illegalen Einreise in Polen“, obwohl weder ein materieller Gewinn noch eine Schleusungsabsicht vorlag. Die polnische Grenzpolizei und das polnische Militär verüben systematische Pushbacks von Schutzsuchenden nach Belarus. Seit 2021 fanden 11.293 Pushbacks von polnischer auf belarussische Seite statt. Nachdem die deutsche Bundesregierung seit Anfang des Jahres auch Asylsuchende an der deutschen Grenze zurückweist, hat die polnische Tusk-Regierung im März dieses Jahres das Asylrecht an der belarussischen Grenze bis auf wenige Ausnahmen ausgesetzt. Ein Vertragsverletzungsverfahren durch die Europäische Kommission ist bisher ausgeblieben. Humanitäre Helfer:innen an der Polnisch-Belarussischen Grenze geraten seitdem immer mehr unter Druck und ihre Arbeit wird zunehmend kriminalisiert.
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