seitenspiegel: medico im Gespräch

Ousmane Diarra, Mali

Europa fördert die Abschottung in Afrika. Aber solange die Ausbeutung Afrikas weitergeht, werden die Menschen nach Norden fliehen.

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Europa fördert die Abschottung in Afrika - um MigrantInnen schon vor dem Mittelmeer aufzuhalten. Aber solange die Ausbeutung Afrikas weitergeht, werden die Menschen Richtung Norden fliehen. Ousmane Diarra von medico-Partner Association Malienne des Expulsés​ (AME) aus Mali im Gespräch mit medico. Über den Einfluss der EU in Afrika, Freizügigkeit und die Hoffnung auf ein anderes Afrika.

Ramona Lenz: Ich begrüße Ousmane Diarra, den Präsidenten der Abgeschobenen-Selbstorganisation AME in Mali. Guten Tag, Ousmane.

Ousmane Diarra: Ja, Guten Tag, Ramona.

Die Europäische Union beeinflusst schon seit vielen Jahren die Grenzen in Afrika, speziell auch in Westafrika. Kannst du uns erklären, wie das funktioniert und welche Konsequenzen das für die Leute dort hat?

Also, man muss wissen, dass dies alles sehr ernste Folgen hat. In diesen Regionen sollten alle Menschen Bewegungsfreiheit haben. Aber durch den Einfluss, den die Europäische Union mit bereits existierenden Fonds ausübt, die sich auf Integration und den Kampf gegen Fluchtursachen beziehen, verschärft sich die Situation. Aus all diesen Fonds möchten sich die afrikanischen Staatschefs bedienen, um die Migrationspolitik besser zu meistern. Für die Afrikaner hat das sehr ernste Folgen. Wenn einmal Vereinbarungen und Projekte da sind, die durch die Europäische Union finanziert werden, werden die Hindernisse für junge Migranten, die weiterkommen wollen, groß. Das führt zu dramatischen Missständen.
 


Freizügigkeit, also Mobilität über Ländergrenzen hinweg, hat in Afrika, vor allem in Westafrika Tradition und ist aber auch eine Notwendigkeit für viele Menschen. Kannst du uns das erklären?

Ja, wie Du gut gesagt hast, gab es auf dem afrikanischen Kontinent traditionell Bewegungsfreiheit, vor allem in Westafrika. Sogar vor der Kolonisierung gab es einen einfachen Föderalstaat in Westafrika, den man Mandé nennt. Zu der Zeit kannte man weder Mali noch Senegal, es gab Mandé. 1236 wurde in Kouroukan Fouga die Bewegungsfreiheit proklamiert. Und das setzte sich in allen afrikanischen oder westafrikanischen Verfassungen fort, bis zur Erklärung der ECOWAS. Diese Bewegungsfreiheit wird heute unterdrückt, wird auf Druck der Vereinbarungen und der Projekte mit Europa unterdrückt. Am Ende wird die Einführung der nationalen Migrationspolitiken die Schließung der Grenzen zwischen diesen Ländern bedeuten.

Niger ist im Moment stark im Fokus der europäischen Außenpolitik. Der deutsche Außenminister war kürzlich dort zusammen mit dem französischen Außenminister und man hat dort verhandelt über die Rückübernahme von Migrantinnen und Migranten und wie auch Entwicklungszusammenarbeit dabei unterstützen kann. Kannst du uns was erzählen über das Lager in Agadez und über die Situation in Niger?

Ich denke, in Bezug auf Niger handelt es sich um eine Politik der Entrechtung. Heute finanziert die Europäische Union im Niger, in Agadez, ein Zentrum, das vom UNHCR und von der IOM betrieben wird. Dieses Zentrum ist ein Abschiebepunkt und ein Blockadepunkt. 

Selbst wenn du aus einem der 15 ECOWAS-Staaten bist, zwischen deren Mitgliedsstaaten eigentlich Freizügigkeit herrscht, erlaubt Niger dir nicht, die Grenze zu überschreiten. Die Bewegungsfreiheit wird gebremst. Außer Niger ziehen Länder wie Mali und Senegal zurzeit in Betracht, an den Grenzen biometrische Maschinen zur Identifikation der Migranten einzusetzen. Diese nigrischen Zentren in Agadez sind sehr, sehr gefährlich. Schon durch das Valletta-Abkommen gibt es einen EU-Passierschein, ein Dokument, das die Abschiebung von Migranten erleichtern wird. In Europa wurde am 30. Mai dafür gestimmt, dass eine nicht-identifizierte afrikanische Person, deren Nationalität unbekannt ist, in das Zentrum in Agadez abgeschoben werden kann. Dies ist ein sehr gefährliches Zentrum für den Kontinent, sehr gefährlich für Niger, da es traditionelle Vereinbarungen zwischen den Mitgliedsländern der ECOWAS aushebelt.

Im Moment sprechen alle davon, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen, aber was sie tatsächlich bekämpfen häufig sind die Flüchtenden und die Migrantinnen und Migranten selbst. Wie müsste ein wirklicher Kampf gegen Fluchtursachen aussehen?

Man kann den Kampf gegen die Migration führen, wenn die westlichen Länder, die Länder Europas aufhören, die Bodenschätze in Afrika auszubeuten. Dann müssten die Afrikaner nicht mehr nach Europa kommen. Solange die Ausbeutung fortgeführt wird, solange immer wieder Krieg zwischen afrikanischen Ländern hergestellt wird, möchten die Leute an einen stabilen Ort, einen sicheren Ort kommen.

Aus diesem Grund brechen aktuell tausende junge Afrikaner auf. Um diese Migration aus dem Süden, aus Afrika nach Europa zu bremsen, darf Europa uns nicht das Diktat ihrer Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen auferlegen. Die Kandidaten sind schon seit Jahren an der Macht, es gibt also eine schlechte Regierungsführung in Afrika; es gibt bestimmte Regierungen, die keinen Wechsel wollen. Und zwar, weil es die Partnerschaft mit Europa gibt. Dies alles wird die Leute weiter dazu bringen, zu kommen. Wenn der Westen nicht mehr die Bodenschätze ausbeuten würde, wie Öl, Diamanten - auch Gold und Uran werden in Afrika täglich gestohlen – wenn das aufhören würde, könnten die Afrikaner sich ihrer Güter bemächtigen, um den Kontinent besser zu entwickeln.

Man kann sagen, dass wir gegen die illegale Migration kämpfen würden. Wenn man uns jedoch alles wegnimmt und nach Europa bringt, werden die Leute weiter gehen. Es gibt keine Lösung gegen die illegale Migration, wenn es nicht auch Entwicklung und gute Governance s.o. gibt.

Was sind eure Forderungen gegenüber der Europäischen Union einerseits und gegenüber den afrikanischen Regierungen andererseits?

Also, die Forderung unserer Vereinigung, die sich Malische Vereinigung der Abgeschobenen nennt, die ihren Sitz in Mali hat, ist natürlich, den europäischen Staaten zu sagen, dass sie aufhören soll, den Einfluss auf die afrikanischen Staaten, die Finanzierung auf Basis der negativen Kooperation, fortzuführen, die dabei ist, so viele Leute zu töten. Im Mittelmeer gab es vor wenigen Tagen wieder viele Tote, 700 an drei Tagen.

Aber ich weiß, dass die Veränderung eines Tages kommen wird, vor dem Weltuntergang.

Auf der afrikanischen Seite bedauern wir, die afrikanische Bevölkerung, dass die afrikanischen Regierenden nicht für uns da sind, aber wir werden dennoch versuchen, uns wieder ein bisschen zu fangen. Wenn ich von Patrice Lumumba spreche, von Jomo Kenyatta, von Thomas Sankara, von den großen Akteuren Afrikas, die Afrika aufbauen wollten, kann man also nicht sagen, wir seien feige. Wir müssen versuchen, Änderungen herbeizuführen unter den strategischen und politischen Bedingungen, damit diese Welt in Afrika etwas stabiler wird.

Vielen Dank, Ousmane.

Vielen Dank.

Übersetzung: Regina Schleicher
 

seitenspiegel. Gespräche mit medico-Partner_innen aus dem globalen Süden, Einwürfe in die Debatte, Reflexionen über Hilfe und politische Perspektiven.

Alle Folgen gibt es hier.

Veröffentlicht am 14. Juli 2016

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