Flüchtlingshilfe in Marokko

Orte der Zuflucht

Die Abschottungspolitik der EU lässt zahlreiche Migrant*innen in Marokko stranden. Dort sind sie schutz- und rechtlos. Die ARCOM-Aktivistin Christie Niamien unterstützt besonders gefährdete Frauen und Kinder.

26 Frauen und 20 Kinder, viele davon Neugeborene, leben derzeit in den vier von der medico-Partnerorganisation ARCOM angemieteten Wohnungen in der marokkanischen Hauptstadt Rabat. Sie sind aus Ländern wie Elfenbeinküste, Guinea, Kamerun, Mali und Liberia geflohen. Fast alle haben Unbeschreibliches auf sich genommen, um sich und ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Sie berichten von Genitalverstümmelung, Zwangsehe oder Morddrohungen. Viele von ihnen, darunter auch Minderjährige, kommen schwanger in Marokko an, weil sie unterwegs vergewaltigt wurden.
Eine der ersten Anlaufstellen für die Frauen ist Christie Niamien. Sie arbeitet seit 2016 für ARCOM und steht den Frauen nach ihrer Ankunft in Marokko bei. So gut sie kann, hilft sie bei allen Fragen, die das Leben in Marokko betreffen, und unterstützt die Frauen bei ihrer weiteren Lebensplanung. Christie kommt von der Elfenbeinküste und ist selbst vor einigen Jahren bei dem Versuch gescheitert, das Mittelmeer auf einem Schlauchboot nach Europa zu überqueren. Nur zu gut versteht sie daher die Not der Frauen, die bei ARCOM Zuflucht suchen.

ARCOM ist eine Organisation kongolesischer Migranten und Migrantinnen in Marokko, die sich seit ihrer Gründung 2005 für die Rechte von Migrant*innen einsetzt. Die Gründung von ARCOM war eine Reaktion auf die Aufrüstung der Grenzzäune um die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, in deren Folge der geplante Transit durch Marokko für viele Menschen aus Subsahara-Afrika und anderen Ländern zum unfreiwilligen Daueraufenthalt wurde. In den Zufluchtswohnungen von ARCOM in Rabat können geflüchtete Frauen und Kinder bis zu drei Monate unterkommen, eine kostenlose Mahlzeit pro Tag erhalten sowie Unterstützung bei Arztbesuchen, bei der Jobsuche und in Form von Alphabetisierungs- und Sprachkursen.

Christie hatte nach ihrer gescheiterten Flucht Glück, denn ihr wurde im Zuge einer Regularisierungskampagne ein gültiger Aufenthaltstitel zugesprochen. Die Lage vieler anderer Geflüchteter, die in Marokko festhängen, ist dagegen eher düster. ARCOM hilft den Frauen so gut es geht, in Marokko Fuß zu fassen – wenn sie wollen. Häufig müssen Christie und ihre Kolleg*innen aber mit ansehen, wie die Frauen zur Überfahrt über das Mittelmeer aufbrechen: wohl wissend um die Gefahren. „Wir respektieren ihre Entscheidung“, sagt Christie. „Wie viele tatsächlich in Europa ankommen, wissen wir nicht. Von denen, die es nicht schaffen, hören wir natürlich nie wieder.“

Ramona Lenz und Philipp Wehner

Veröffentlicht am 12. Mai 2020

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