seitenspiegel: medico im Gespräch

Nasir Mansoor, Pakistan

Ein Gespräch über tödliche Textilfabriken und Alternativen zu den lebensgefährlichen freiwilligen Selbstverpflichtungen der Unternehmen.

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Nasir Mansoor ist stellvertrentender Generalsekretär der National Trade Union Federation in Pakistan. Er ist Repräsentant insbesondere der pakistanischen Textilarbeiter.

Thomas Seibert: Wir sind im vierten Jahr nach drei schweren Tragödien: 260 Tote nach dem Brand von Ali Enterprises in Pakistan, 100 Tote nach dem Brand von Tazreen, über 1000 Tote nach dem Zusammensturz von Rana Plaza. Wir in Deutschland haben jetzt um das Bündnis für Textil herum eine große Diskussion um eine Verbesserung der freiwilligen Codes of Conduct der Unternehmen und um eine Verbesserung der Überprüfung durch private Unternehmen, ob die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen wirklich gegeben sind. Glaubst du, dass das der richtige Weg ist?

Nasir Mansoor: Die private Aufsicht hat vollkommen darin versagt, in irgendeinem Bereich Veränderungen zu schaffen, besonders in der Bekleidungs- und Textilbranche. In den letzten vier Jahren gab es eine Vielzahl von Unfällen und großen Unglücken in Ländern wie Pakistan oder Bangladesch. Und es gibt keinerlei Verbesserungen. Aus der Perspektive der Arbeiter, der Gewerkschaften und der Menschenrechte haben die private Aufsicht und die freiwillige Selbstverpflichtung keinerlei Besserung gebracht.

Deshalb lehnen wir die Prozesse grundsätzlich ab. Denn ihr einziger Zweck ist es, Augenwischerei zu betreiben und insbesondere den Konsumenten in den Ländern, wo sie ihre Waren verkaufen, etwas vorzugaukeln. Deshalb verstehen wir nicht, warum jetzt wieder ein System ohne rechtliche Bindungen eingeführt werden soll. Wir lehnen auch Vorschläge zur freiwilligen Selbstverpflichtung ab, denn sie haben nur negative Konsequenzen für die Arbeiter am Arbeitsplatz.
 


Wenn aber nun verbesserte freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen und wenn eine verbesserte Aufsicht über die Arbeits- und Sicherheitsbedingungen nicht ausreicht, was ist denn dann die Alternative?

Das Wichtigste wäre ein rechtlich bindender Mechanismus, der die gesamte Wertschöpfungskette bis hin zu den Absatzmärkten umfasst. Es gibt bereits nationale Gesetze zum Schutz der Arbeiter, die konsequent umgesetzt und weiter entwickelt werden müssen. Dann wird es zu großen Veränderungen kommen. Darin besteht unsere Forderung. Eben weil diese Gesetze rechtlich bindend sind, stellen sie den einzigen Weg dar, um überall die Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitern zu verbessern.

Du sagst, dass erweiterte freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen und ein verbessertes Aufsichtssystem nicht ausreichen, sondern wir eine vollständige rechtliche Regulation der globalen Lieferketten und der globalen Märkte brauchen. Wie sollen wir das erreichen?

Ich glaube wirklich nicht, dass es nur ein Traum ist oder etwas, das in ferner Zukunft liegt. Wir sehen, dass die Grundlagen gelegt sind, international beispielsweise in der ILO, wo im Dreiparteiensystem die Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften miteinander sprechen. Dort wurden diese Fragen bereits auf die Agenda einer Konferenz gesetzt. Und es ist deutlich, dass der gesamte Produktionsprozess nicht nur unter das Arbeitsrecht fallen sollte, sondern dass auch die ökonomischen, sozialen und politischen Rechte der Arbeiter anerkannt werden müssen. Das ist nicht nur eine Frage des Arbeitsrechts, sondern ein viel breiterer Kampf. Genau deshalb versuchen sie, wenn Probleme sichtbar werden, Alternativen wie private Selbstverpflichtungen und Selbstkontrolle einzuführen. Die Probleme bestehen weiter, aber sie suchen nicht nach wirklichen Lösungen.

Für uns ist klar, mit Freiwilligkeit wird es nicht gehen. Das zeigen die furchtbaren Unfälle bei Ali Enterprises oder das Rana Plaza und die vielen kleineren Unfälle. Es braucht eine andere Lösung. Der einzig wirksame Prozess wird sein, rechtliche Verbindlichkeiten herzustellen – und die Grundlagen dafür sind da. Alle diskutieren darüber, aber die Regierungen und die Arbeitgeber versuchen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Dieser Kampf ist unsere Aufgabe, und wir können ihn in naher Zukunft auch gewinnen.

Aber wenn wir das wirklich erreichen wollen, wird es nicht ausreichen, nur in Pakistan zu kämpfen, es wird auch nicht ausreichen, nur hier dafür einzutreten. Wir brauchen dann einen globalen Kampf um die Durchsetzung der Rechte, die wir ja tatsächlich schon haben.

Absolut richtig. Denn alle Produktionsketten sind global, die Probleme sind nicht isoliert. Der Globale Süden und Norden sind durch diese Prozesse miteinander verbunden. Also braucht es, wenn wir es mit einem internationalen Problem zu tun haben, auch globale Lösungsansätze. Und dafür brauchen wir dringend globale Solidarität. Im Falle von Ali Enterprises beispielsweise machen wir auf die Problematik der Arbeitsbedingungen aufmerksam. Denn dort gab es eine freiwillige Selbstverpflichtung. Es gab auch eine private Überwachung der Verpflichtungen. Und beide wurden als unfähig entlarvt. Auf dieses Problem haben wir sowohl lokal als auch national hingewiesen. Und von eurer Seite hat medico international im Globalen Norden Öffentlichkeit geschaffen.

Gemeinsam ist es uns gelungen, dass wir hier sind und dass wir Klage eingereicht haben. Dadurch gelingt es, auf die großen Probleme in der Textilindustrie aufmerksam zu machen, nicht nur auf KiK. Denn es handelt sich um ein Problem im globalisierten Produktionsprozess, auch andere Marken und Hersteller sind verantwortlich für die Bedingungen der Arbeiter an ihren Arbeitsplätzen. Es geht um eine globale Bewegung, die sich nicht nur für Arbeitsrechte, sondern auch für die Menschenrechte stark macht. Das ist eine politische Frage. Deshalb müssen wir mehr Teile der Gesellschaft einbeziehen, global: Gewerkschaften, Arbeiter, Menschenrechtsaktivisten, die Kirchen.

Diese Frage betrifft uns alle. Auch die Politiker und Parteien und die sozialen Bewegungen, in denen wir involviert sind. Nur dann werden wir in diesem Kampf erfolgreich sein. Mit Sicherheit wurde dieser Prozess in Gang gesetzt, Ali Enterprises ist das Beispiel dafür. Denn jetzt sind wir hier und wir erleben diese globale Solidarität und das hat großen Einfluss auf die Hersteller.

Danke, Nasir.
 

seitenspiegel. Gespräche mit medico-Partner_innen aus dem globalen Süden, Einwürfe in die Debatte, Reflexionen über Hilfe und politische Perspektiven.

Alle Folgen gibt es hier.

Veröffentlicht am 29. September 2016

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