Sri Lanka

Lobbyarbeit für die Opfer von Kriegsverbrechen

Netzwerk der Namenlosen

"So etwas hat es hier noch nie gegeben!“ Der Sicherheitsbeamte im Genfer Palast der Nationen ist sichtlich erschüttert. Mit uniformierten Kollegen hat er in einem Sitzungssaal Posten bezogen, in dem ein internationales NGO-Netzwerk einen „side event“ durchführt, eine kleine Konferenz am Rande einer Tagung des UNMenschenrechtsrates. Diskutiert wird die Situation in Sri Lanka, und das Geschehen im Saal gibt eine Ahnung von dem, was sich auf der Insel zuträgt.

Unter den etwa 100 Anwesenden sind 17 Mitglieder der sri-lankischen Regierungsdelegation. Lärmend versuchen sie, die Versammlung zu sprengen. Abgepasst haben sie dazu den Vortrag von Sandya Ekneligoda, deren Mann Prageeth im Januar 2010 von Unbekannten entführt wurde. Das „Verschwindenlassen“ ist ein politisches Verbrechen, dem auf Sri Lanka schon Tausende zum Opfer gefallen sind, allein im Februar und März 2012 waren es 29 Menschen. Sandya nahm das Schicksal ihres Mannes, eines linken Journalisten und bekannten Zeichners, zum Anlass, um ausdrücklich auch für die namenlosen Ehefrauen und Mütter zu sprechen, deren Männer, Söhne oder Töchter ebenfalls „verschwunden“ sind, vermutlich ermordet wurden. Die Regierungsdelegierten unterbrachen sie lauthals: „Du beschmutzt dein Vaterland, nur weil dein Mann dich verlassen hat, um es sich mit einer Jüngeren im Ausland gut gehen zu lassen!“

UN-Resolution 19/2: Erster Erfolg jahrelanger Bemühung

Dass das Rederecht Sandya Ekneligodas und der Fortgang der Konferenz von uniformierten Sicherheitsbeamten der UNO durchgesetzt werden musste, hatte auch mit der Resolution 19/2 zu tun. Im UN-Menschenrechtsrat zwei Tage später mit deutlicher Mehrheit angenommen, verpflichtet sie die Regierung in Colombo zur Aufklärung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in den letzten zwei Jahren des 2009 zu Ende gegangenen Bürgerkrieges. Für eine solche Resolution hatte sich Sri Lanka Advocacy, ein Netzwerk von Menschenrechtsorganisationen, das von medico international koordiniert wird, seit langem eingesetzt.

medico ist seit dem Tsunami von 2004 in Sri Lanka aktiv. Die Flüchtlingslager der Flutopfer, die der erste sri-lankische medico-Partner gleich nach dem Tsunami errichtete, lagen nur einen Steinwurf entfernt von einem völlig verwahrlosten Lager von Kriegsvertriebenen. Unsere Partner fragten uns damals, ob sie die Flut- und die Kriegs-Überlebenden in einem Lager zusammenführen könnten. medico stimmte sofort zu, obwohl das formell nicht erlaubt war. Zusammen gingen wir an die Öffentlichkeit und verwiesen auf den Skandal, dass wir „unseren“ Kriegsvertriebenen zwar helfen konnten, Tausende andere aber weiter in Lagern ausharren mussten, an denen die internationale Tsunami- Hilfe achtlos vorbeizog.

Sri Lanka Advocacy

Auf Sri Lanka herrschte damals ein brüchiger Waffenstillstand. Zwei Jahre später brach der Krieg zwischen den Rebellen der tamilischen Minderheit und der Armee der singhalesischen Mehrheit wieder aus. Noch einmal zwei Jahre später war er zu Ende, die Rebellen ausgelöscht. Allein in der Schlussphase 2008/2009 wurden nach UNO-Angaben 40.000 Menschen getötet, die meisten von ihnen Zivilistinnen und Zivilisten. Ihrem noch immer namenlosen Schicksal gilt die Resolution 19/2, für deren Durchsetzung medico mit seinen Partnern jetzt streiten wird.

Dass diese Partner ungenannt bleiben, hat mit der Lage vor Ort zu tun. Das Ende des Krieges ist nicht das Ende des Konflikts, im Gegenteil. Die gewaltsame Willkürherrschaft von Regierung und Armee trifft nicht mehr nur die Menschen des tamilisch besiedelten Nordens und Ostens, sondern alle, die sich ihr widersetzen. Zu ihnen gehört, neben vielen anderen, der singhalesische Journalist Prageeth Ekneligoda, von dessen „Verschwinden“ und von dessen mutiger Ehefrau Sandya eben die Rede war. Zu ihnen gehören alle Partnerinnen und Partner medicos, die tamilischer und die singhalesischer Herkunft. Der Arm Colombos reicht sogar bis nach Deutschland und Europa, zwingt hier NGOs zur Vorsicht, weil sie fürchten müssen, dass ein offenes Wort das Leben ihrer Partner in Sri Lanka gefährdet. Deshalb haben sie das Netzwerk Sri Lanka Advocacy gegründet, unter dessen Namen seither eine gemeinsame Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit betrieben wird: im politischen Berlin, bei der EU in Brüssel, bei der UNO in Genf und auf der Website www.lanka-advocacy.org, die in Deutschland, in Europa und auf Sri Lanka gelesen wird. Mittlerweile ist sie ein führendes Medium in Sachen Menschenrechte und Demokratie in Sri Lanka.

Der Fall Jagath Dias und der Bremer Friedenspreis

Die Resolution 19/2 ist der zweite Erfolg, an dem das Netzwerk beteiligt war. Den ersten errang Sri Lanka Advocacy 2011, als der unrühmliche Abgang des sri-lankischen Vizebotschafters in Deutschland nicht so geräuschlos vonstatten ging, wie das in Colombo und Berlin geplant war. Vizebotschafter Dias war akkreditiert worden, obwohl bekannt war, dass dem Generalmajor der singhalesischen Armee schwerste Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Sri Lanka Advocacy protestierte, informierte Abgeordnete des Bundestags, sprach mit Menschenrechtsverteidigern aus Sri Lanka bei Ministern vor, ging an die Presse.

Das dem Netzwerk verbundene European Center for Constitutional und Human Rights (ECCHR) legte eine umfassende Dokumentation der Vorwürfe gegen Dias vor. Als der Generalmajor daraufhin stillschweigend aus dem Land komplimentiert wurde, alarmierte das Netzwerk die Medien: soll ausgeschlossen werden, dass Kriegsverbrecher zu Diplomaten werden, muss Öffentlichkeit geschaffen werden. Die erreichte das Netzwerk auch im November 2011, als der Bremer Friedenspreis an Shreen Saroor ging, eine muslimische Aktivistin aus Sri Lanka, die wie Sandya Ekneligoda das lebensgefährliche Risiko auf sich nimmt, im eigenen Namen das Wort zu ergreifen und so auch für all die zu sprechen, denen das verwehrt wird.

Veröffentlicht am 04. Juni 2012

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