Kik bleibt stur

Entschädigungsverhandlungen zwischen KiK und Opfern des Fabrikbrands in der Sackgasse

Erst verschleppte KiK weitere Gespräche mit Vertretern der Betroffenen des Fabrikbrandes in Pakistan. Jetzt erklärt das Unternehmen, dass es bereits alle Verpflichtungen erfüllt habe und begeht damit einen klaren Vertragsbruch.

Die Tage vor der gerade gescheiterten Verhandlungsrunde zwischen dem Textildiscounter KiK und den Vertretern der pakistanischen Opfer glichen einem Krimi. Eigentlich hätten die Gespräche schon im letzten Oktober stattfinden können. Doch KiK verschleppte die Vorverhandlungen, ließ Einladungen über Monate unbeantwortet, forderte dann, dass die Opfer-Unterhändler nach Amsterdam kommen sollten, wo man sich im Büro der Kampagne für Saubere Kleidung treffen könnte. Kurz vor dem Abflug der pakistanischen Delegation verlangte KiK plötzlich, dass die Vertreterin der Kampagne für Saubere Kleidung nicht am Gespräch teilnehmen dürfe. Die Pakistani lehnten ab, ihr Verhandlungsführer Karamat Ali, Geschäftsführer der Arbeitsrechtsorganisation PILER, blieb in Karatschi.

Nach weiterem Hin und Her im Stundentakt kam es am 16. Juli in Berlin zum Treffen zwischen KiK und dem Anwalt der Opfer, Faisal Siddiqi. Dem teilte KiK mit, dass man mit der Zahlung von 1 Million Dollar alle Verpflichtungen erfüllt habe: ein klarer Vertragsbruch. Denn der zwischen KiK und PILER geschlossene Vertrag sieht drei Schritte vor: die Zahlung einer Soforthilfe von 1 Million Dollar, die Zahlung von 250.000 Dollar für Maßnahmen zur Stärkung der Arbeiterrechte, und die Aufnahme von Verhandlungen über eine Langfristentschädigung der Opfer, die den Betrag der Soforthilfe weit übersteigen soll.

Wer sind die Opfer? 255 Menschen verbrannten bei lebendigem Leib, eingeschlossen in einer Fabrik, die für den Betrieb einer Textilproduktion völlig ungeeignet war. Über fünfzig Menschen konnten sich zum Teil schwer verletzt retten. Mehrere Hundert weiterer Menschen verloren das Einkommen, an dem ihre fünf-, sechs- oder siebenköpfige Familie hängt. Die ausgebrannte Fabrik arbeitete fast ausschließlich im Auftrag von KiK. Die gezahlte Soforthilfe reicht hinten und vorne nicht: nicht für den Tod nächster Verwandter, nicht für den Schmerz der Verletzung, nicht für die medizinische Behandlung, nicht für ein Weiterleben in Würde. KiK rührt das alles nicht. Die Verhandlungsführer des Discounters gingen völlig unvorbereitet, um nicht zu sagen: völlig desinteressiert in das Gespräch mit dem Anwalt, der eigens aus Karatschi angereist war. Der Text des Vertrages war ihnen nicht bekannt. Sie wussten auch nicht, dass die 250.000 Dollar für Maßnahmen zur Stärkung der Arbeiterrechte bis Ende 2013 an PILER zu zahlen gewesen wären. So steht es im von KiK selbst unterzeichneten Vertrag. KiK zuckt mit den Achseln, verweist auf die Zuständigkeit anderer, wäre gegebenenfalls bereit zum Austausch in größerer Runde, wäre dann vielleicht bereit, die Zahlung einer weiteren Summe in Erwägung zu ziehen. Wie KiK im Fall Ali Enterprises, so verhalten sich im Prinzip nahezu alle Unternehmen: die Unternehmen, die für den Brand bei Tazreen Fashion in Dhaka/Bangladesch verantwortlich waren, bei dem zwei Monate nach dem Brand bei Ali Enterprises über 100 Menschen starben. Diejenigen, die für den Einsturz bei Rana Plaza Verantwortung tragen, bei dem fünf Monate später über 1.200 Menschen zerquetscht wurden und über 2000 meist schwere Verletzungen erlitten. KiK war bei allen drei Katastrophen mit von der Partie.

Überall dasselbe Spiel. Einige Firmen sagen offen, nicht zahlen und deshalb auch nicht verhandeln zu wollen. Andere wollen verhandeln, sagen aber nicht wann und worüber. Andere sagen Zahlungen zu, wieder andere haben schon gezahlt: bis auf einen einzigen Fall aber allesamt deutlich unterhalb der von den Vertretern der Opfer eingeforderten Summen. Die Gespräche treten auf der Stelle: die zu Ali Enterprises nicht anders als die zu Tazreen Fashion und Rana Plaza. Der Fonds für Rana Plaza ist gerade zu einem Drittel gefüllt.

Die Strategie der Firmen ist klar: sie warten auf den Zeitpunkt, an dem das Interesse der Öffentlichkeit erloschen sein wird. Die Geschäftszahlen geben ihnen Recht. KiK konnte seinen Umsatz 2013, dem Jahr der schlechtesten Presse seit Bestehen, um 6, 8% steigern. Was soll’s also, sagt man sich in Bönen/Westfalen. Sein Geschäft in Pakistan habe man zwischenzeitlich ausgeweitet, ließ der Discounter wissen, man lasse jetzt bei 35 Firmen fertigen.

Für viele Opfer ist es jetzt schon zu spät. Auf den Verlust des Jobs folgt der Verlust der Wohnung. Weitere medizinische Behandlung kann sich kaum jemand leisten. Die Versteifungen verletzter Gliedmaßen sind – wenn nicht jetzt schon – bald irreversibel. Bleibt nichts, als zu resignieren. Zeit, dass die Politik handelt. Die Menschen in Südasien und wir hier brauchen ein anderes deutsches und europäisches Haftungsrecht und ein deutlich verschärftes Zivil- und Strafrecht. Wer sich nachweislich nicht um die Produktions- und Arbeitsbedingungen vor Ort kümmert, wer nicht aktiv Sorge dafür trägt, dass sich Brände wie bei Ali Enterprises und Tazreen Fashion und Einstürze wie bei Rana Plaza nicht wiederholen, muss voll haftbar gemacht werden können für alles, was geschieht. Gilt das, können sich die Unternehmen ihrer Verantwortung zumindest nicht mehr so umstandslos entziehen wie jetzt.

In Begleitung des Opferanwalts Faisal Siddiqi haben wir jetzt erste Gespräche mit Abgeordneten des Bundestages und mit zuständigen Ministerien geführt. Wir werden diese Gespräche fortsetzen. Wir brauchen dazu fortgesetzten öffentlichen Druck. Am 11. September 2013 jährt sich der Brand bei Ali Textiles zum zweiten Mal.

Veröffentlicht am 21. Juli 2014

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