EU-Migrationsabwehr

Im Schatten der Zitadelle

Die europäische Politik der Auslagerung von Flucht- und Migrationskontrolle wirkt sich fatal auf Schutzsuchende aus. "Drittstaaten" werden zu gefängnisähnliche Zonen. Eine Studie zu den Folgen der EU-Flüchtlings- und Migrationspolitik von Brot für Welt, medico und Pro Asyl.

Menschenrechte an den Grenzen wahren

Aus dem Vorwort

Wenn Flüchtlinge und Migrant_innen an den äußeren europäischen Grenzen stehen, werden die humanistischen Werte, auf die sich das gemeinsame Europa beruft, schnell zu Makulatur. Obwohl die Menschenrechte in Europa gleichsam unantastbar und universell gültig sind, werden sie an Grenzen jener Staaten, die zur Europäischen Union gehören oder eng mit ihr assoziiert sind, systematisch missachtet und insbesondere Schutzsuchenden vielfach verweigert. Nicht erst seit dem tragischen Tod von 360 Menschen vor der Küste Lampedusas am 3. Oktober 2013 wirkt die europäische Außengrenze wie ein grausamer Sperrwall: Seit 1988 haben über 19.000 Menschen an Europas Außengrenzen ihr Leben verloren, davon allein 14.500 im Atlantik, im Mittelmeer und in den Küstengewässern der französischen Insel Mayotte im Indischen Ozean. Zahllose Menschen verdursten zudem auf dem Weg nach Europa in den vorgelagerten Wüsten, ertrinken in Flüssen oder werden Gewaltopfer von verbrecherischen und korrupten Netzwerken.

Die Regierungen des europäischen Rechtsraums verweigern Schutzsuchenden die Aufnahme und schicken die Unglücklichen zurück. Flüchtlinge werden kriminalisiert und in Haft genommen, der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu garantierten Gesundheitsleistungen wird ihnen versperrt. Auch diejenigen, die Europa nur einen kurzen Besuch abstatten wollen, sind vielfach unerwünscht. Eine rigide Handhabung der Visa-Politik erschwert es vor allem Menschen aus ärmeren Zonen der Welt, zu uns zu kommen. Das alles ist dramatischer Ausdruck der europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik.

Die europäische Kontrolle der Flucht- und Migrationsbewegungen beginnt jedoch nicht erst an den europäischen Außengrenzen, sondern reicht weit darüber hinaus. Indem die Europäische Union die Ein- und Auswanderungspolitik in den Anrainerstaaten zu regeln und zu steuern versucht, hat sie gleichsam eine exterritoriale Zone zur Isolierung und Eindämmung von Flucht und Migration jenseits ihrer Grenzen abgesteckt.

Die hier dokumentierten exemplarischen Studien aus dem Senegal, aus Mauretanien, Tunesien, der Türkei und der Republik Moldau bezeugen, was im Schatten der europäischen Zitadelle vor sich geht. Sie führen vor Augen, wie die Vorgaben und exterritorialen Eingriffe der europäischen Migrationsabwehr bislang offene Räume des Transits und des Verweilens schließen, wie sich diese Räume für Flüchtlinge und Migrant_innen in gefängnisähnliche Orte verwandeln, und wie die betroffenen Gesellschaften sozialen Zusammenhalt und nachhaltige Entwicklungspotentiale verlieren.

Europa muss in der Migrations- und Flüchtlingspolitik beginnen, seine Verpflichtung für die Menschenrechte tatsächlich und effektiv einzulösen. Das Sterben an den europäischen Außengrenzen muss aufhören und das gezielte Zurückdrängen in die sogenannten „Drittstaaten“ beendet werden. Flüchtlinge und Migrant_innen vor unseren Toren sind nicht nur häufig Opfer von Ungerechtigkeiten und Gewaltverhältnissen. Sie sind zugleich auch Akteure weltweiter Forderungen nach Teilhabe. Sie folgen dem Traum, als Fremde überall auf der Welt zuhause sein zu können. Folgen wir ihnen, begleiten wir sie, lernen wir von ihnen.

Im Schatten der Zitadelle

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Veröffentlicht am 17. Dezember 2013

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