Analyse 2010

Hoffnung in Harare?

Hintergrundinformationen zur politischen und ökonomischen Lage in Simbabwe

Die politische und ökonomische Situation im Land hat sich im zweiten Regierungsjahr der neuen Einheitsregierung zwar verändert, für die Mehrheit der Bevölkerung jedoch kaum verbessert. Die 2009 gebildete Koalition basiert auf der Regierungsbeteiligung von Morgan Tsvangirai, führendes Mitglied der ehemals oppositionellen Kraft Movement for Democratic Change (MDC). Tsvangirai trat als Gegenkandidat von Präsident Robert Mugabe in den Wahlen 2008 an, als zeitgleich Präsidentschafts-, Parlaments- und Kommunalwahlen stattfanden. Als Ergebnis eines langwierigen und umstrittenen Wahlprozesses, der gewaltsame Auseinandersetzungen mit sich brachte, wurde schließlich die Koalitionsregierung gebildet, mit dem Auftrag eine neue Verfassung auszuarbeiten.

Die MDC bemüht sich innerhalb der Regierung nun darum, die jahrzehntelang von der ehemals alleinigen Regierungspartei Zimbabwe African National Union-Patriotic Front (ZANU-PF) etablierten intransparenten und undemokratischen Machtstrukturen aufzudecken und Reformen in Gang zu bringen. Durch die Beteiligung der MDC an der Einheitsregierung wurde die grassierende Inflation im Land gestoppt, wodurch sich die wirtschaftliche Situation für einen Teil der Bevölkerung verbessert hat (Hein Mück, Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2009, S. 105). Dennoch wurden weder die vorhandenen Herrschaftsverhältnisse wirkungsvoll geschwächt, noch verbesserten sich die Lebensbedingungen für die Mehrheit der Bevölkerung. Statt etwa, was dringend geboten wäre, dem öffentlichen Gesundheitssystem ausreichend Ressourcen zuzuteilen, kommen zugesagte internationale und nationale Gelder nicht vor Ort an.

In diesem Zusammenhang bedauert Itai Rusike, Geschäftsführer der Community Working Group on Health (CWGH), den Qualitätsverfall des öffentlichen Gesundheitssystems und spricht von einer Demoralisierung der Gesundheitsarbeiter und ihrer Patienten (CWGH, Jahresbericht 2009, S. 10). Die von medico international unterstützte CWGH arbeitet als größtes gesundheitspolitisches Netzwerk in Simbabwe. Sie kämpft auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene für die Verwirklichung des Menschenrechtes auf Gesundheit und fordert dessen verbindliche Verankerung in der neuen Verfassung. Die Aktivistinnen und Aktivisten der CWGH bündeln und unterstützen lokale Bestrebungen in derzeit 25 Distrikten und betreiben ein gesundheitliches Aufklärungsprogramm, das vom MDC-geleiteten Gesundheitsministerium aufgegriffen und weiter ausgeweitet werden soll. Die jüngste Ernennung von Itai Rusike als Berater für das Gesundheitsministerium zeigt die Bereitschaft zum Dialog und zeigt die zumindest formale politische Anerkennung der wichtigen Arbeit der CWGH.

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Lage der Gesundheit

Nachdem es zunächst gelungen war, Choleraherde in mehreren Landesteilen einzudämmen, brach die Epidemie im Oktober 2009 erneut aus. In 55 der 62 Bezirke wurden insgesamt 98.531 Erkrankte und 4.282 Todesfälle registriert. Strukturell fehlt der Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen. Die HIV/Aids-Rate Simbabwes bleibt eine der höchsten in der Welt, ungefähr 1,2 Millionen Menschen leben mit dem Virus, 343.600 Erwachsene und 35.200 Kinder benötigen dringend anti-retrovirale Behandlung.

Trotz einer Besserung der Nahrungsmittelsicherheit kalkulieren die Vereinten Nationen den Bedarf an Hilfe auf ungefähr 1,9 Millionen Menschen, vor allem in der erntearmen Jahreszeit zwischen Januar und März. 33 Prozent der Kinder unter fünf Jahren gelten als dauernd unterernährt (Alle Angaben: Stand November 2009, UN-Nothilfekoordinator, ochaonline.un.org).

Wirtschaftliche Reformen

Der Einheitsregierung wird es hoch angerechnet, die Inflation gestoppt und ein vorsichtiges Wirtschaftswachstum ermöglicht zu haben. Der Simbabwe-Dollar war im Zuge des wirtschaftlichen Niedergangs der letzten Jahre massiv entwertet worden. Unter dem neuen Finanzminister der MDC wurde die Landeswährung abgeschafft und durch US-Dollar und südafrikanischen Rand ersetzt. Zumindest für jene Bevölkerungsteile, die Zugang zu den ausländischen Währungen haben, hat sich die Lage damit schlagartig gebessert, der Mehrheit vor allem in ländlichen Regionen fehlt es hingegen weiter an geregeltem Einkommen und damit an einem Zugang zu den Ressourcen.

Alexander Phiri von der CWGH stellt fest: „Wir sind erfreut darüber, dass die Inflation erkennbar abgenommen hat und ein stabiles und sicheres Finanzsystem freies Unternehmertum ermöglicht. Traurigerweise garantiert das jedoch weder einen ausreichenden Zugang zu Nahrung noch allgemeine Sicherheit, beides essentielle Grundbausteine für eine wirklich funktionierende Ökonomie.“

Mit Hilfe internationaler Gelder werden seit 2008 vormals geschlossene Schulen und Krankenhäuser wieder eröffnet. Staatsangestellte im Gesundheits- und Bildungsbereich, die lange auf ihre Gehaltszahlungen warten mussten, erhalten nun 100 bis 200 US-Dollar im Monat, was nicht viel ist, um das tägliche Überleben zu sichern. Zusätzlich fehlt es an vielen Orten an Arbeitsmitteln und Ressourcen. Nur verhalten kehren daher die Angestellten zurück an ihren Arbeitsplatz.

Internationale Kooperationen und Kritik

Der UN-Koordinator für Nothilfe spricht von einer revitalisierten Zusammenarbeit zwischen internationalen Organisationen und der neuen Regierung und einem verbesserten Zugang zu jenen Teilen der Bevölkerung, die als besonders anfällig gelten. Die Mehrheit der Menschen in Simbabwe verfügen über keine Rücklagen, um kurzfristige und länger währende ökonomische und soziale Krisen zu meistern. Diese besonders schutzbedürftigen Bevölkerungsteile mit hoher Vulnerabilität gelten als primäre Zielgruppe internationaler humanitärer und entwicklungspolitischer Bestrebungen.

Viele westliche Staaten orientieren sich an den geltenden Paradigmen internationaler Zusammenarbeit und richten ihre jeweilige Politik daran aus. Jedoch positionieren sie sich in den Fällen abweichend davon, wenn die eigenen Interessenlagen oder Machtkonstellationen es erforderlich machen.

Nachdem in Simbabwe nach der Unabhängigkeit 1980 zunächst ein Kurs der öffentlichen Umverteilung erfolgreich verfolgt worden war und der Sozialsektor ausgebaut wurde, geriet die Regierung aufgrund vielfältiger Faktoren, u.a. wegen Missernten zunehmend unter finanziellen Druck. Sie ließ sich daraufhin in den 1990er Jahren auf die Strukturanpassungsprogramme ein, die sich an wirtschaftsliberalen Paradigmen orientierten.

Die von IWF und Weltbank umgesetzten Strukturanpassungsprogramme sind Teil jenes internationalen Schuldenmanagements zwischen Entwicklungsländern und Industrieländern, das die Industrieländer nutzen, um ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. WEED- Mitarbeiterin Daniela Setton hält fest: „Heute findet sich weltweit so gut wie kein Schwellen-, Transformations-, oder Entwicklungsland, das nicht ein oder mehrere Strukturanpassungsprogramme unter der Ägide von Internationalem Währungsfond und Weltbank durchgeführt hat und tief greifend umstrukturiert wurde“ (WEED: Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung; Setton, Daniela, u.a. WTO- IWF- Weltbank, AttacBasis Texte 25, 2008, S. 13f.).

Durch Marktöffnung, Wettbewerbsförderung, Finanzliberalisierungen, Arbeitsmarktreformen sowie Kürzungen im öffentlichen Sektor sollte die Wirtschaftslage in Simbabwe verbessert werden. Im Gegenteil trug dies jedoch neben der staatlichen Misswirtschaft und Korruption dazu bei, bis dahin erzielte Erfolge in der Minderung der sozialen Disparitäten durch die öffentliche Umverteilung wieder zu Nichte zu machen und eine soziale Polarisierung zu befördern (People’s Health Movement: Positionspapier Gesundheitssituation in Simbabwe, Juli 2008).

Die Mehrheit der Bevölkerung leidet noch heute unter den sozialen und ökonomischen Folgen der Strukturanpassungsprogramme in Simbabwe und weltweit (http://www.saprin.org/zimbabwe/zimbabwe.htm). Der erdrückende internationale Schuldendienst, den Simbabwe als Folge bis heute bewältigen muss, verbaut gerade aktuell zusätzlich Investitionsmöglichkeiten in den öffentlichen Sektor. Das zivilgesellschaftliche Netzwerk Zimbabwe Coalition on Debt and Development, das sich für soziale und ökonomische Gerechtigkeit einsetzt, berechnet, dass eine Verbesserung der Gesundheits- und Sozialversorgung - heute greifbarer denn je - gewährleistet werden könnte, allein wenn diese Gelder frei würden und tatsächlich für das Wohl der Bevölkerung einsetzbar wären (http://english.aljazeera.net/indepth/features/2010/10/20101019134636576634.html).

Strategien des Machterhaltes

Die in den letzten Jahren neu entdeckten Diamantenfelder in Simbabwe eröffnen der Regierung aufgrund der erwarteten Gewinne einen größeren politischen Handlungsspielraum und erweitern ihre ökonomische Macht (Studie Global Witness: Return of the Blood Diamonds 2010). Anstatt jedoch die Einkommen dazu zu nutzen, den öffentlichen Sektor zu finanzieren, zeichnet sich unter den derzeitigen Machtverhältnissen ab, dass mit dem Geld der polizeiliche, militärische und paramilitärische Unterdrückungsapparat der etablierten Partei ZANU-PF aufrecht erhalten wird. Eigentlich sollte die Regierungskoalition eine Fülle an Reformen durchführen, die die vorhandenen ökonomischen und politischen Machtquellen der alten Eliten grundlegend transformiert hätten. Die Reformpläne werden jedoch nur schleppend umgesetzt; die beiden Regierungsparteien sprechen sich gegenseitig die Regierungsfähigkeit ab. Insbesondere im Sicherheitsbereich fehlt eine Umsetzung der Reformvorhaben.

Im Zuge von Gesprächen zwischen Vertretern der Europäischen Union und der simbabwischen Regierung Anfang Juli 2010 erreichten Menschenrechtsnetzwerke einen Lobbyerfolg. Das Europäische Parlament positionierte sich angesichts der steigenden wirtschaftlichen Bedeutung des Diamantenabbaus in Marange in der Provinz Manicaland kritisch: Simbabwe könne zu einem der größten Diamantproduzenten der Welt werden, wenn der Abbau in Marange voll ausgebaut würde. Dadurch könnten voraussichtlich Einnahmen von mehreren Milliarden Euro generiert werden. Der Direktor des Zentrums für Recherche und Entwicklung in Simbabwe, Farai Maguwu, verweist allerdings auf Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Ausbeutung der Diamantenfelder. In 2008 vertrieb die Regierung illegale Schürfer aus der Region und tötete nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch 241 Schürfer.

Nach seiner Kritik inhaftierte die simbabwische Polizei Farai Maguwu. Das Europäische Parlament verurteilt die Menschenrechtsverletzungen und fordert die sofortige Freilassung Maguwus (http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=MOTION&reference=P7-RC-2010-0415&language=DE). Trotz dieses Lobbyerfolges bleibt eine Veränderung der Situation abzuwarten, sofern keine wirkungsvollen Sanktionierungen damit verbunden sind. Auch das Kimberley-Abkommen, dem sich Simbabwe wie viele andere freiwillig verpflichtet hat, deckt die Menschenrechtsverletzungen, die mit dem Diamantenabbau einher gehen, nicht mit ab und ist weiterhin lückenhaft hinsichtlich seiner Umsetzung und Reichweite (www.medico.de/themen/krieg/rohstoffe/dokumente/konfliktdiamanten-und-kimberley/3842).

Die Einheitsregierung hatte es sich zur Aufgabe gemacht, eine demokratische Verfassung ausarbeiten, auf deren Grundlage innerhalb von 24 Monaten Neuwahlen stattfinden sollten. Im Rahmen der lokalen Konsultationen, die die Verfassungsreform vorsieht, werden jedoch die teilnehmenden Menschen eingeschüchtert und bedroht, sofern sie nicht die Positionen des Staatspräsidenten und der ZANU-PF vertreten, die ihre Macht sichern wollen und eine Beibehaltung der undemokratischen Verhältnisse propagieren (www.zwnews.com/issuefull.cfm?ArticleID=22145). Weil der Verfassungsprozess durchgängig von ausufernder und immer systematischerer Gewalt begleitet war, musste er inzwischen sogar mehr oder weniger ausgesetzt werden, die weitere Entwicklung scheint unklar.

Der etablierte Machtblock um den alten und neuen Staatspräsident Robert Mugabe sichert seine Dominanz insbesondere durch das fortbestehende Kommando über Polizei, Militär, Gemeindienst, die Kriegsveteranen und die paramilitärische Youth Militia ab. Intransparente Loyalitäts- und Abhängigkeitsbeziehungen werden unter anderem durch Landgeschenke aufrecht erhalten, das Land wurde und wird im Zuge fortgesetzter Enteignungen erworben.

Gescheiterte Landreformen

Eigentlich sollten Landreformen koloniale Ungleichheiten korrigieren. Gutes Land war lange Zeit exklusives Eigentum einer weißen Minderheit. Doch die Umsetzung der Reformen nahm zunehmend gewaltvolle Formen an. Seit der Jahrtausendwende fanden im großen Maßstab illegale Landbesetzungen unter Einsatz paramilitärischer Gruppen statt; ihre Gewalt richtet sich dabei gegen weiße Farmbesitzer, wie auch schwarze Farmarbeiter. Gertrude Hambira, Generalsekretärin der Landarbeitergewerkschaft General Agricultural Plantation Workers Union of Zimbabwe dokumentierte stattgefundene Menschenrechtsverletzungen (Film: ‚House of Justice’, www.youtube.com/watch. Nach ihrer Kritik wurde sie von der Polizei gewaltsam verhört. Aus Sorge vor weiterer polizeilicher Repression flüchtete sie aus Simbabwe und bekommt nun Unterstützung von amnesty international (http://www.amnesty-gewerkschaft.de/Main/Simbabwe5). Hambira kritisiert, dass die Mehrheit der Bevölkerung trotz einer Regierungsbeteiligung der MDC außen vor bleibt: „Dinge mögen sich für die Reichen verbessert haben, aber wenn es eine strukturelle Veränderung im System geben soll, erwarten die Leute Brot und Butter auf dem Tisch.“ Bereits in der ersten Woche der neuen Einheitsregierung fanden weitere Landenteignungen statt, Landarbeiter wurden vertrieben, andere Arbeiter werden noch immer unterbezahlt. Die Menschenrechtsverletzungen setzen sich fort, Mitglieder der Gewerkschaft werden verfolgt und verhaftet. Hambira setzt nach: „Der Landbesitz wird der schwarzen politischen Elite gegeben: Minister, Kriegsveteranen, Unterstützer der Partei ZANU-PF, Richter, usw. Die Minister haben in etwa fünf bis zehn Farmen pro Person.“

Suche nach Einkommen und Nahrungsmittelsicherheit

Die vertriebenen Landarbeiter verdingen sich als Tagelöhner am Straßenrand oder in den Diamantenminen. Die formelle Arbeitslosigkeit in Simbabwe für das Jahr 2009 beträgt geschätzt 95 Prozent (https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/zi.html). Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich gegen Niedriglöhne wehren, gegen informelle Beschäftigungsverhältnisse ohne Vertragssicherheit und verbindliche Lohnzahlungen, drohen Repression, Verhaftung und Verfolgung. Für viele Teile der Bevölkerung bleiben Abwanderung oder Flucht in andere Länder weiterhin die einzige Strategie, um ihre Lebensverhältnisse aus eigener Kraft zu verbessern.

Das enteignete Land liegt nun vielerorts brach oder wird unter geringerer Ausnutzung bewirtschaftet als zuvor. FIAN international (FoodFirst Information and Action Network) berichtet zudem über den Einfluss europäischer und internationaler Politik auf die afrikanische Landwirtschaft und über Nahrungsmittelsicherheit; demnach wirkt sich der globale Wettlauf um Land (‚land grabbing’) auch auf Simbabwe aus: Der chinesische Staat hat im Mai 2008 das Recht erworben, über 100.000 Hektar im südlichen Teil des Landes exklusiv zu nutzen. Die Abhängigkeit Simbabwes von Nahrungsmittelimporten und Hilfe besteht daher fort.

Anna Weber in Zusammenarbeit mit Anna Schumacher
Stand Oktober 2010

Veröffentlicht am 20. Oktober 2010

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