Gleichheit und Menschenrechte

Dokumentation: Konferenz "global, gerecht, gesund" 2010

22.09.2010   Lesezeit: 8 min

Eingangsstatement: Dr. Armando de Negri, Gesundheitsverwaltung Porto Alegre, Brasilien

Zunächst ist es wichtig, zu spezifizieren, was es bedeutet, Menschenrechte als politisches Konzept und gleichzeitig auch als politisches Werkzeug zu definieren. Denn für die meisten Menschen heißt über Menschenrechte zu sprechen, über eine rein theoretische Angelegenheit zu sprechen. Über etwas, das nicht greifbar ist. Und viele Menschen in Ländern der 3. Welt fragen daher zu Recht: „Was ist der Nutzen von Menschenrechten, die sowieso niemand respektiert.“ Daher ist die Frage nach der Bedeutung von Menschenrechten sehr interessant und ich hebe sie als ersten Aspekt des politischen Nutzens hervor. Um den Einfluss der Menschenrechte zu erhalten, ist es notwendig, dass jeder ihre politische Bedeutung versteht und Zugang zu den Antworten auf eben diese Frage hat. Und zuallererst müssen alle Menschen Zugriff auf diese Rechte haben. Denn wenn wir uns darauf einigen, dass Menschenrechte für alle Menschen gelten, haben wir die erste Grundlage geschaffen. Dann muss als nächstes gefragt werden: "Wie erreiche ich alle Menschen?“

Außerdem ist es wichtig, nicht nur alle zu erreichen, sondern auch für alle Menschen Lösungen entsprechend ihrer Bedürfnisse zu finden. Dies ist der zweite Aspekt des Menschenrechtsansatzes. Wir brauchen ein umfassendes Verständnis, im dem Sinn dass alle menschlichen Grundbedürfnisse die als Rechte anerkannt werden können, erfüllt werden. Dann werden Bedürfnisse zu Rechten. Das ist sehr wichtig. Und wenn wir den universellen mit dem umfassenden Aspekt verbinden, dann kommen wir zum dritten fundamentalen Aspekt der Menschenrechte als Werkzeug: nämlich die Gleichheit als ein Hauptkriterium für Rechte. Das heißt, wenn ich die gleichen Bedürfnisse wie ein anderer Mensch habe, dann haben wir beide auch das Recht auf die gleichen Antworten. Das ist fundamental. Diese drei Aspekte sind ein sehr mächtiges Argument hinsichtlich des moralischen Imperativs.

Was bedeutet das? Moralischer Imperativ bedeutet hier, dass Menschen das Recht auf die gleiche Erfüllung gleicher Bedürfnisse haben. Dieses politische Argument, das das Fundament für Gerechtigkeit ist, ist essentiell um die globale Debatte vorzubereiten. Ich will damit sagen, wenn wir diesen moralischen Imperativ haben, dann werden wir nicht mehr akzeptieren können, dass für Länder dritten Welt lediglich ein "Basispaket" an Gesundheitsversorgung angeboten wird, während die kapitalistischen Länder der "ersten Welt" das komplette Paket bekommen sollen. Dies wäre moralisch nicht mehr vertretbar. Und dieser moralische Imperativ wird einen zweiten Imperativ schaffen, den ethischen Imperativ. Die Frage wird sich stellen, wie wir es schaffen können den moralischen Imperativ zu befolgen.

Ich betone noch einmal, wir können keine unterschiedlichen Lösungen vorschlagen, in dem Bewusstsein, dass auch die Ergebnisse unterschiedlich sein werden. Wenn ich eine unzureichende Lösung vorschlage, eine Lösung, die keine Todesfälle verhindert, die die Krankheiten nicht eindämmt, dann ist das was ich vorschlage eine bewusste Verweigerung von Hilfe. Und diese Verweigerung schafft einen ethischen Konflikt, denn ich habe die Mittel zu helfen, aber ich nutze sie nicht in der Form, in der sie tatsächlich Lösungen brächten. In dieser Hinsicht werden wir gezwungen sein unser Konzept der politischen Ökonomie von Hilfe zu überdenken.

Es geht darum, nicht nur über Länder und "Opferländer" nachzudenken, sondern ein globales Verständnis zu entwickeln. Und gerecht zu sein, im Sinne einer Gerechtigkeit, die tatsächlich Lösungen für die Probleme der Menschen findet. In diesem Sinne ist Gleichheit als Konzept fundamental mit den Menschenrechten verbunden.

Und der dritte und letzte Imperativ ist der politische Imperativ. Dieser fordert von uns den politischen Zeitpunkt der Hilfe zu respektieren. Wir können den Ländern der dritten Welt nicht erklären, dass sie noch ein wenig warten müssen - womöglich 100 oder 200 Jahre - bis sie die gleichen Standards wie die Industrieländer haben. Verstehen Sie, das ist politisch inakzeptabel hinsichtlich eines politischen Imperativs, der verbunden ist mit den vorher definierten moralischen und ethischen Imperativen.

Wenn wir die Menschenrechte radikal anwenden, haben wir eine sehr mächtige Basis um eine politische Debatte anzuschieben. Und in diesem Zusammenhang wird ein erster, sehr wichtiger Ansatz sein, den Staat den wir haben in Frage zu stellen. Denn ein Staat, der die Menschenrechte respektiert, muss ein sozialer Staat sein, der in der Lage ist nationale Antworten für die Probleme seiner Bürger zu finden.

Jedoch muss er gleichzeitig von einem moralischen Standpunkt aus die gleichen Antworten auf die Probleme anderer Länder finden. Und sich den Assymetrien in den Beziehungen zwischen Ländern stellen. So ist das Problem nicht das Hilfsbudget. Das Problem liegt in der Verteilung von Reichtum, innerhalb und zwischen den Staaten.

Worauf ich hinaus will, ist, dass unsere Agenda nicht die Bekämpfung von Armut ist sondern die Umverteilung von Reichtum, wie Reichtum produziert wird und wo er sich konzentriert. Also hören Sie auf von Armut zu sprechen. Wir brauchen keine Politik für die Armen. Was wir brauchen ist eine Politik der Umverteilung von Reichtum, keine Politik der Armutsverwaltung. Das ist etwas völlig anderes und es entspricht auch viel mehr den Menschenrechten. Und es wird uns zwingen an das verbreitete Problem der Ungleichheit zu denken, wie uns Narendra Gupta zeigte. Und zwar aus einer anderen Perspektive, aus einer Perspektive, die bestimmt ist vom Interesse daran wie Reichtum verteilt wird, in den Communities, in den Familien, in den Ländern, mit dem Ziel einer Umorientierung in der Verteilung des Reichtums.

Der Punkt ist nämlich, dass wir niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte soviel Reichtum hatten, aber auch noch nie so eine Konzentration von Reichtum. Die Debatte um Menschenrechte und das Menschenrecht auf Gesundheit schafft eine außergewöhnliche Möglichkeit eine effektive Umverteilung vorzunehmen. Denn das Recht auf Leben verbunden mit dem Recht auf Gesundheit ist ein sehr starkes Argument dafür.

Aber wir müssen eine weitere sehr wichtige Sache beachten. Wir müssen die Existenz von öffentlichen Räumen, im Sinne der politischen Definition von öffentlichen Räumen, bewahren. Denn sie wurden eliminiert und laut Hannah Arendt ist das erste was in einer Diktatur verschwindet der öffentliche Raum. Wir können viel debattieren, aber es wird für die Realität keine Konsequenzen haben. Wir müssen zurückkommen zu einer politischen Debatte über wirklich wichtige Themen wie Gerechtigkeit, globale Gerechtigkeit als etwas, das zu einer Umorientierung in unserer politische Aktion führen kann. Und wir müssen uns klar machen, dass wir reden müssen um zu handeln. Nicht nur debattieren um unseren Intellekt zu befriedigen. Wir müssen darüber nachdenken, was uns für die nachfolgende Aktion nützt. Und in diesem Sinne ist es sehr wichtig zu begreifen, dass wenn man den öffentlichen Raum nicht hat, man auch keinen Zugriff auf die öffentlichen Güter hat. Die Rolle des Staates in diesem Zusammenhang ist fundamental.

Ich komme nun zurück zu dem Aspekt, dass um das Menschenrecht auf Gesundheit zu erreichen, wir zuerst einen Staat brauchen, der die Einhaltung dieser Menschenrechte garantiert. Wir brauchen also einen radikalen Demokratisierungsprozess des Staates. Es darf nicht mehr Staaten geben, die sich nur um die Reichen, um die Privilegien, um das Kapital kümmern. Wir brauchen einen Staat, der in der Lage ist sich um die Menschen zu kümmern.

Das heißt wir brauchen einen nationalen Ansatz, denn um global agieren zu können brauchen wir eine sehr klare Identität des Nationalstaates, der sehr eng mit den sozialen Rechten der Menschen verwoben ist. In diesen sozialen Rechten sind die ökonomischen Rechte enthalten. Denn das ist ein weiterer Punkt, den wir nicht verstehen, die sozialen Rechte beginnen mit den ökonomischen Rechten. Das Recht in der Lage zu sein vom Reichtum zu profitieren. In diesem Zusammenhang muss dieser neue, wünschenswerte Staat sehr präsent sein in unseren Kämpfen. Wir dürfen den Staat nicht als etwas, dass wir nicht mögen beiseite schieben und es lassen wie es ist. Wir müssen die Natur des Staates, die Natur des sozialen Vertrages diskutieren, denn sonst werden wir nicht in der Lage sein zum Beispiel die Beziehung Kapital und Arbeit umzustrukturieren.

Denn, und ich entschuldige mich bei unseren Freunden von der Gewerkschaft, die Gewerkschaften verteidigen formale Arbeitsverhältnisse, vergessen aber dass ein Großteil der Menschen, besonders in der 3. Welt, nicht Teil formaler Arbeitsverhältnisse ist. Daher müssen wir eine andere Perspektive vorschlagen, eine die alle Menschen einschließt und diese Perspektive basiert auf den Menschenrechten. Menschenrechte sind ein System, ich kann nicht ein Menschenrecht auf Gesundheit haben, ohne ein Menschenrecht auf Bildung, ein Recht auf Bildung aber keines auf Arbeit oder angemessene Bezahlung.

Das heißt wenn wir Menschenrechte fordern, fordern wir ein System an Menschenrechten in dem der Staat nicht der Versorger, sagen wir des Gesundheitssystems ist, sondern ein Hüter der Weltrechte. Seine Aufgabe wäre es, Diskussion zu organisieren, an der die Gesellschaft selbst teil hat. Welche Gesellschaft wir wollen und wie unser Recht auf Gesundheit aussieht. Fordern wir nicht das System als ganzes werden wir eine Kirchengemeinde der Gesundheitsaktivisten, und dann sind wir in unserem Kampf zu großer Ineffizienz verdammt.


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