UN Treaty

Es wäre ein Meilenstein

Menschenrechte vor Unternehmensrechten: Eine UN-Initiative aus dem globalen Süden will internationale Konzerne haftbar machen.

Von Anne Jung

„Supermarkte klauen. Wir klauen zurück“ – unter diesem Motto ruft das Künstlerkollektiv Peng! mit seiner neuen Aktion zum Diebstahl von Lebensmitteln bei Discountern auf. Der Einkaufswert soll direkt an die Erzeugerinnen und Erzeuger von Kaffee, Tee und Bananen gespendet werden. So soll symbolisch ein Ausgleich für Hungerlöhne geschaffen und gleichzeitig auf Menschenrechtsverletzungen in der Produktionskette aufmerksam gemacht werden. Die Aktion ist ein Akt der Selbstermächtigung gegen das Ohnmachtsgefühl einer ungewollten Mittäterschaft in einer globalisierten Welt, die die Risiken und Gefahren in der Produktionskette auslagert, um in den Industrienationen ein Leben in Wohlstand abzusichern. Die Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels reagierte prompt und sprach von einer „absurden Aufforderung zum Rechtsbruch“. Absurd aber ist nicht die Kunstaktion, sondern die Realität, dass die Rechte von Unternehmen im internationalen Rechtssystem Vorrang haben vor der Wahrung der Menschenrechte.

Tatsächlich sind die Spielräume von Unternehmen, Staaten zu verklagen, gewachsen. Das ermöglichen zum Beispiel Freihandelsverträge, die von der deutschen Regierung im Rahmen der Europäischen Union ausgearbeitet und vorangetrieben werden. Die von der EU mit ausgewählten afrikanischen Ländern verhandelten und u.a. von Kenia nach großem Druck unterzeichneten Economic Partnership Agreements (EPA) verfestigen die Rolle des afrikanischen Kontinents als Rohstofflieferant für Europa. In TTIP, TISA und weiteren Freihandels- und Investitionsschutzabkommen verankerte internationale Schiedsgerichte geben Firmen das Recht, Staaten zu verklagen, wenn diese ihr Recht auf Gewinn gefährdet sehen. Für die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen hingegen gibt es keine vergleichbaren Instrumente.

Ende der Freiwilligkeit

Während die Rechtssicherheit für Unternehmen gestärkt wird, tut die Bundesregierung – und mit ihr die Regierungen der meisten Industrienationen – alles dafür, mit unverbindlichen freiwilligen Selbstverpflichtungsmaßnahmen den öffentlichen Widerstand gegen massive Verstöße gegen die Menschenrechte einzuebnen. Zwei Beispiele zeigen, was das konkret bedeutet.

Kurz vor der Jahrtausendwende deckte die investigative Recherchegruppe global witness auf, dass die blutigen Bürgerkriege in Angola, Sierra Leone und der Demokratischen Republik Kongo mit Zehntausenden Toten aus dem Handel mit Diamanten finanziert wurde. Deutlich wurde, wie sehr internationale Diamantenkonzerne in die Geschäfte verstrickt waren. medico gründete unter anderem mit Partnern aus Sierra Leone eine internationale Kampagne gegen Konfliktdiamanten, die Industrie geriet in Panik, Hollywood lieferte den Blockbuster Blood Diamond. Was aber tat die Politik? Zunächst nichts. Dann verhandelte sie mit der Wirtschaft das Kimberley-Abkommen, einen zahnlosen Tiger, der keine hinreichende rechtliche Handhabe vorsieht. Zivilgesellschaftliche Organisationen protestierten ohne Erfolg. In der öffentlichen Wahrnehmung war das Thema damit abgehakt. Der Handel mit Konfliktdiamanten geht weiter. Besser hatte es für die Industrie nicht laufen können.

Ähnliches ereignete sich in den vergangenen Jahren im Bereich der Textilindustrie. Nachdem das Rana Plaza-Gebäude in Bangladesch eingestürzt und 1.135 Arbeiterinnen und Arbeiter ums Leben gekommen waren, konnte der Zusammenhang von Preis und Produktionsbedingungen nicht mehr langer ignoriert werden. Da bei Rana Plaza auch für deutsche Modemarken genäht wurde, geriet die Bundesregierung in Zugzwang. Sie reagierte, indem sie umgehend Industrie und Nichtregierungsorganisationen in dem Textilbündnis zusammenrief, um die Standards der Produktion zu verbessern – das jedoch nicht verpflichtend, sondern wieder einmal auf freiwilliger Basis. Selbst Konzerne, die sich daran nicht halten, sind im Bündnis weiterhin willkommen. Denn: Je breiter das Bündnis, umso heller der Schein. Ungeachtet der Gefahr, kooptiert und instrumentalisiert zu werden, beteiligten sich NGOs an dem Schauspiel. Die Überlebenden und Angehörigen der Toten sind von freiwilligen Zahlungen der Textilbranche und der Unterstützung durch Hilfsorganisationen abhängig, weil ihnen ein Rechtsanspruch verwehrt bleibt.

Die beiden unterschiedlichen Fälle lassen nur einen Schluss zu: Die freiwillige Selbstverpflichtung ist nichts anderes als ein Angebot an die Unternehmen, so weitermachen zu können wie bisher. 2014 aber geschah auf der Ebene suprastaatlicher Politik etwas Bemerkenswertes: Auf Initiative von Ecuador und Südafrika setzt sich eine Arbeitsgruppe bei der UNO für ein rechtlich bindendes Menschenrechtsabkommen für (transnationale) Unternehmen ein. Die Initiative fordert, die Gleichrangigkeit der bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte endlich durch ein Abkommen zu bestätigen, das den Schutz der Menschenrechte auch vor den Aktivitäten der transnationalen Konzerne und anderer Unternehmen gewährleistet. Die Haftung von Konzernen entlang der kompletten Zulieferkette soll gewährleistet werden und Staaten sollen verpflichtet werden, den von Menschenrechtsverstößen Betroffenen internationalen Rechtsschutz zu gewähren. Die UN-Treaty für eine menschenrechtliche Regulierung der globalen Wirtschaft würde Betroffenen erstmals rechtlichen Schutz garantieren. Opfer von Land- oder Wasserraub, Arbeitsrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzungen könnten gegen die Unternehmen klagen und Entschädigungen erhalten.

Deutschland widersetzt sich

Mehr als 100 Mitgliedsstaaten beteiligen sich an dem Prozess. Der UN Treaty hat das Potenzial, die Achtung der Menschenrechte weltweit deutlich zu verbessern. Allein die Lieferketten transnationaler Konzerne beschäftigen mehr als 450 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter. Doch der Durchsetzung so fundamentaler Veränderungen stehen kolossale Machtinteressen entgegen. Regierungen, Unternehmen, elitäre Netzwerke – sie alle bekämpfen sie aufs Äußerste. Die Bundesregierung hat kürzlich gemeinsam mit der EU und den USA entschieden, sich nicht an den UN-Gesprächen zu beteiligen und stattdessen weiterhin das Recht auf Profit gegen die Wahrung der Menschenrechte abzusichern.

Umso bedeutsamer ist es daher, dass sich eine internationale Koalition von über 1.000 Gruppen, sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen, darunter auch medico international, gebildet hat, um die Regierungen unter Druck zu setzen. Die Forderung geht über einen Vertrag hinaus und nimmt in den Blick, dass die institutionellen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen geschaffen werden müssen, perspektivisch einen Gerichtshof für Menschenrechte durchzusetzen. Der politische Wille dazu wird nicht vom Himmel fallen. Er wird mühsam erstritten werden müssen. Darin hat medico Übung. Denn auch das völkerrechtlich bindende Abkommen zum Verbot von Landminen wurde 1997 nach einer jahrelangen und von medico mitinitiierten internationalen Kampagne politisch gegen alle Widerstände durchgesetzt. Die Menschenrechte scheinen künftig nur dann noch eine Chance zu haben, wenn sie „von unten“ erneuert werden. Es geht hier um mehr als um ein Abkommen. Es geht um das unveräußerliche Recht darauf, Rechte zu haben.

Veröffentlicht am 26. März 2018

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