Nachruf

Ein radikaler Demokrat mit Universitätslaufbahn

Zum Tod von Alexander Wittkowsky, Mitglied des medico-Vorstandes von 2004 bis 2015.

Kennengelernt haben wir Alexander Wittkowsky bei einem Aktionstag gegen Landminen, den medico in Frankfurt am Main im Jahr 2002 veranstaltete. Zu diesem Anlass hatten wir afghanische Minenräumer nach Frankfurt eingeladen, die symbolisch auf einem abgesperrten Gelände am Flughafen Minen beseitigten, in dem immer noch Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg geräumt wurden. Später tauchten sie gemeinsam mit einem Offenbacher Rapper, der eigentlich aus Afghanistan kam, in der Frankfurter Innenstadt auf. Dort engagierte sich auch Alexander. Er half beim Aufblasen der Luftballons mit Antiminenlosungen, die an die konsumierende Einkaufsbevölkerung verteilt wurden. Ob diese Aktion ihn von einer Mitgliedschaft im medico-Verein überzeugte, ist nicht verbrieft. Er trat jedenfalls bei und war von 2004 bis 2015 11 Jahre lang Mitglied des ehrenamtlichen Vorstandes. Vorstandsarbeit ist durchaus aufwendig. Nicht nur, dass er alle zwei Wochen tagt. Ehrenamt hin oder her, er trägt als Arbeitgeber und inhaltlicher Ratgeber ein großes Maß an Verantwortung für die Ausrichtung des Vereins. Die Jahre von Alexander Wittkowsky Vorstandstätigkeit waren auch Jahre eines großen personellen und finanziellen Wachstums von medico. Wachstumsschmerzen inklusive.

Alexander war da mit seinem großen Erfahrungsschatz, der sich vor allen Dingen seinen jahrelangen leitenden Tätigkeiten an den Hochschulen in Berlin und Bremen verdankte, sehr hilfreich.

Den politischen und beruflichen Werdegang von Alexander Wittkowsky schilderte seine Lebensgefährtin und Ehefrau Jutta Roitsch auf der Beisetzung sehr anschaulich. In Erinnerung an Alexander veröffentlichen wir ihn hier in Auszügen:

„… Doch die Zeiten waren Mitte der sechziger Jahre in Berlin nicht beschaulich. Alexander hatte früh ein Gespür für politische Unruhe und Ungeduld über die verkrusteten Strukturen in der Politik, in den Hochschulen. Im Akademischen Senat, in den er als Vertreter der Assistentenschaft, dem akademischen Mittelbau, gewählt worden war, sah er sich mit der Vergangenheit seiner Universität konfrontiert, mit den rabiaten Säuberungsaktionen der Hochschullehrer nach der NS-Machtergreifung sowie mit den erbärmlichen Auseinandersetzungen über Entschädigungen oder Rückberufungen verjagter Professoren. Von demokratischen Strukturen und demokratischen Werten fand er in seiner Hochschule wenig. Die Orientierung, die er suchte, fand er in der Bundesassistentenkonferenz (BAK) und dem Berliner Ableger. Die wichtigsten Konzepte für eine durch und durch demokratische Hochschule stammten von der BAK. Sie formulierte demokratische Anforderungen an Forschung und Lehre, an die Verantwortung der Universitäten gegenüber der Gesellschaft und der jungen Generation (...) Da war noch keine Rede davon, welcher dramatische Einschnitt in seinem Leben kurz bevorstand. Nach dem ersten Hochschulgesetz des Landes Berlin standen an Berlins Universitäten 1970 die Präsidentenwahlen an. Und Alexander wurde als Kandidat des Mittelbaus nominiert gegen Professor Dietrich Goldschmidt. An der Freien Universität kandidierte Rolf Kreibich. Sie beide waren zu diesem Zeitpunkt keine ordentlich berufenen Professoren. In der Geschichte der deutschen Universität eine Revolution. Assistenten als Präsidenten bedeutender Universitäten, Hausherren in stürmischen Zeiten von Teach ins, Sit ins, Institutsbesetzungen und nicht immer friedlichen Studentendemonstrationen. Die Wahl Alexanders zum ersten Präsidenten der traditionsreichen TU Berlin sollte sein Leben grundlegend verändern und ihm eine völlig neue Richtung geben. Die Hochschulpolitik ließ ihn nicht mehr los: ein italienischer Freund nannte ihn anerkennend-liebevoll: „il presidente eterna“. Alexander war damals 34 Jahre alt.

Heute kann man es sich nicht mehr vorstellen, dass ein so junger akademischer Oberassistent zum Rektor oder Präsident einer Traditionsuniversität gewählt würde.

Doch die Rolle passte zu ihm, sein die Autonomie und die Freiheit liebender Geist prägte sieben Jahre lang die Atmosphäre in der TU. Er schützte und beförderte Projekte in Forschung und Lehre, stärkte die studentische Mitbestimmung und hielt die Polizei vom Gelände fern. Wie sehr in seinen Jahren ein anderer Geist in der Universität wehte, wurde Jahrzehnte später deutlich, als Alexander im Dezember 2014 zum Ehrenmitglied seiner Universität ernannt wurde: der Laudator, keineswegs ein Hochschullehrer aus Alexanders Fraktion, wies nach, was sich in den sieben Jahren alles verändert hatte und was durch diesen Präsidenten angestoßen worden war. Die Ehrung war für unseren „presidente eterna“ wohl der schönste Moment seines beruflichen Lebens. Sie kam spät, aber doch noch rechtzeitig.

Auf die Präsidentenzeit folgte die fünfjährige Zeit in Bremen als Rektor jener diffamierten „roten Kaderschmiede“. Er glaubte an das demokratische Modell dieser Reformuniversität, auch wenn sie die geballte Kritik konservativer Professorenkreise, des berüchtigten Bundes Freiheit der Wissenschaft, sowie der Politik und der Medien vom Spiegel bis zur Deutschen Presseagentur auf sich gezogen hatte. Doch eigentlich hatte Alexander schon mit seinem Dienstantritt 1977 verloren: das Bundesverfassungsgericht hatte den Professoren in allen entscheidenden Fragen von Forschung und Lehre, vor allem bei Berufungen, die Mehrheit gesichert, damit der gleichberechtigten Teilhabe aller in den Universitäten Tätigen eine klare Absage erteilt. Die Verhältnisse rüttelten sich schnell wieder zurecht. Auch die Wissenschaftsminister der damaligen Zeit suchten danach, verlorene Macht und Einfluss in den Hochschulen zurück zu erobern. In Bremen wurden der Reformuniversität Schritt für Schritt ihre Freiheiten und ihr Anderssein genommen. Lange hat Alexander als Rektor versucht, sich dagegen zu stemmen. 1982 gab er auf, eine bittere Entscheidung für einen Mann, der sich der umfassenden Demokratisierung der Universitäten verschrieben hatte. Danach musste er einen Weg zurück in die Wissenschaft finden und das als Professor in einen Fachbereich mit Kollegen, die ihn misstrauisch beäugten. Er wählte die Nische der Technikentwicklung und Technikgeschichte, mischte sich aber doch immer wieder öffentlich ein, zum Beispiel gegen die Gehirnforschung mit und an Affen.“

Alexander Wittkowsky ist nach längerer Krankheit am 14. Februar 2018 im Alter von 81 Jahren in Frankfurt am Main verstorben.

Veröffentlicht am 06. März 2018

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