Editorial

»Der Feind, das ist die eigene Frage als Gestalt«
Carl Schmitt

Liebe Leserinnen und Leser,

Die Produktion des neuen Rundschreibens geschah unter dem Motto »Lösungen«. Hilfe für Afghanistan – aber nur in Kooperation mit demokratischen Akteuren. Befreiung aus dem angolanischen Elend – in enger Verbindung mit den Menschen. Landrechte für die Leute von El Tanque (Nicaragua) – die dafür gekämpft haben. Auswege aus der Verzweiflung in Israel/Palästina – als Perspektive ausnahmslos für alle. Als heftige Gegenwehr gegen jedwede Demütigung und alle armutserzwingenden Verhältnisse.

Im Februar 2002 ereignete sich die 1. Sitzung des deutschen Dialogforums, das sich als Initiative für eine PR-Kampagne verstand, die sich für die Erreichung des UN-Zieles »Halbierung der Armut bis 2015« aussprechen wollte. Obwohl das Bundeskabinett 2001 bereits dieses Projekt beschlossen hatte, erschien die Bundesregierung mehr als nur halbiert: Der als Hauptredner vorgesehene Bundeskanzler hatte einen wichtigeren Termin. Also trafen sich Sabine Christiansen, Fritz Pleitgen & Richard von Weizsäcker, um der Rede der Ministerin Wiezcorek-Zeul zu lauschen, die sich für eine öffentliche Lobby zur Armutsbekämpfung erklärte. Praktisch umgesetzt werden soll die Aufhebung der Armut der Welt durch die Begegnung der Weltführung beim »Globalen Gipfel für Entwicklungsfinanzierung« vom 18.-22. März in Monterrey (Mexiko). Dabei ist schon heute sicher, daß der »Monterrey-Konsens« keinerlei bindende Auflagen zur weltweiten Armutsbekämpfung enthalten wird. Die präparierten Beschlußvorlagen sehen konsequent davon ab, die strukturellen Ursachen des Elends auch nur beim Namen zu nennen. Stattdessen betonen die Papiere einzig die falsche Verheißung, daß nur weitere Handels- und Finanzliberalisierungen den privaten Sektor des Kapitals dazu bewegen möchten, sich um die Armen zu kümmern. Nicht einmal die konkrete Forderung von UN-Generalsekretär Kofi Annan, die jährliche Entwicklungshilfe um 50 Millionen US-Dollar zu erhöhen, ist mit einem Wort erwähnt. Also wird Frau Christianen sich zusammen mit anderen Medienstars sehr anstrengen müssen, um ihre paar EURO in die Waagschale werfen zu können. Die Halbierung der Armut der Welt jedoch wird auf diese Art bis 2015 nicht erreicht. Achtzehn Monate nach dem Milleniumsgipfel der Vereinten Nationen schwinden alle Hoffnungen, die Welt sicherer, demokratischer und sozial fairer zu gestalten. Wegen des Terrors waren die Mächte mühelos imstande, eine internationale Koalition in »uneingeschränkter Solidarität« (BK Schröder) zu gründen, hinsichtlich der wesentlichen Terrorismus-Ursache Armut nicht. Die Septembermorde haben nur sicherheitspolitisch eine neue Situation geschaffen. Die politische Demütigung zum Angriffsziel hat dem Welthegemon eine aggressive carte blanche verliehen, die des andauernden »Ausnahmezustandes«. Sie haben die Illusion der Sekurität zerstört: die der Milde von Religionen und des Friedens in der Welt durch Dialog. Aber sie haben auch ideell die Lage wieder geklärt: uralte schwelende Fragen sind neu gestellt - und sie haben damit der Aufklärung wieder scharfe Konturen verschafft. Die Versprechen der Gipfel des Wirtschaftsliberalismus erweisen sich als bloße Manöver zur Aufrechterhaltung der Not. Die Armen müssen wohl selber realpolitische Akteure des Geschehens werden. Nirgend sonst ist Hoffnung. Auf dem Weg von Seattle über Genua und Porto Allegre müssen sie nun offen ihren Kampf ansagen. Was ist der Feind anderes denn die eigene Frage als Gestalt?

Herzlichst
Ihr
Hans Branscheidt

Veröffentlicht am 01. April 2002

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