Das Schweigen brechen – Soldaten sprechen über Gaza

Bericht mit 54 Zeugenaussagen veröffentlicht

Die Mehrheit der Israelis möchte nicht genau wissen, wie sich das Leben in den besetzten Gebieten anfühlt, wie sich die zweijährige Blockade von Gaza oder die militärischen Angriffe auf die in Gaza eingesperrte Zivilbevölkerung auswirken. Sie möchten auch nicht genau hinschauen, was die israelische Armee dort genau gemacht hat.

Letzteres geht „Breaking the Silence“ an. Ihr Name ist Programm: „Breaking the Silence“ ist eine Organisation israelischer Reservisten, die als Soldaten die Realitäten der Besatzung erlebt haben und das Schweigen darüber in der israelischen Gesellschaft brechen möchten.

Und: „Breaking the Silence“ wird in Israel gehört. Ihre Stimme kann nicht abgetan werden als die Stimme einiger weniger „schöngeistiger Araberfreunde“ aus der Tel Aviver Blase. Denn ihre Mitglieder sind ehemalige Kämpfer. Diese genießen in der israelischen Öffentlichkeit hohe Glaubwürdigkeit und Sympathien. Sie stammen aus der Mitte der Gesellschaft, teilweise sogar aus rechtsgerichteten oder Siedler-Haushalten.

Als die israelische Armee begonnen hatte, den Gazastreifen um die Jahreswende 08/09 anzugreifen, haben Mitglieder von „Breaking the Silence“ sehr schnell begriffen, dass das Gerede über die „moralischste Armee der Welt“ (Ehud Barak, Verteidigungsminister und Vorsitzender der Arbeitspartei) kaum mit den Realitäten vor Ort übereinstimmt. Sie fürchteten, dass die israelische Öffentlichkeit diese Angriffe bejahen und jede Diskussion darüber verweigern würde. Sie behielten Recht. Der Angriff gilt in Israel als die Überwindung der „Schande“ des Kriegs im Libanon zwei Jahre zuvor. Eine breite Diskussion über die vielen Toten unter der palästinensischen Zivilbevölkerung hat es nie gegeben.

Deshalb stellte „Breaking the Silence“ – unterstützt von medico - eine Dokumentation mit 54 Zeugenaussagen israelischer Soldaten und Offiziere über das Vorgehen der Armee während des Angriffs zusammen. Darin werden Fälle von exzessiver Gewalt dokumentiert und von der weit verbreiteten Zerstörung von zivilem Privateigentum berichtet. Es sind schwer zu ertragende Berichte über Soldaten, die zum Spaß auf Wassertanks schießen („fun shooting“) und bei Hausdurchsuchungen Computer, Fernseher und andere Haushaltsgegenstände mutwillig zerstören.

AlJazeera English: Inside Story - Breaking the silence

 

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Darüber hinaus wird aus der Summe der Berichte klar, dass der Angriff auf Gaza einen Einschnitt für die israelische Armee darstellt. Obwohl die Angriffe in einem dicht besiedelten Gebiet durchgeführt wurden, nahm die israelische Armee weniger Rücksicht auf die Zivilbevölkerung als je zuvor. So machte die Armee offensichtlich regelmäßig Gebrauch von Phosphorbomben in Wohnvierteln, nahm Wohnhäuser unter Panzerbeschuss und nutzte Zivilisten als menschliche Schutzschilde.

Diese veränderte Vorgehensweise der Armee geht auf die israelische Isolations- und Trennungspolitik zurück: Seitdem der Gazastreifen eingezäunt und komplett isoliert ist, werden die dort lebenden Menschen nicht mehr als Nachbarn und Individuen, sondern nur noch als Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Dies betrifft nicht nur die israelische Armee, sondern wirkt tief in die israelische Gesellschaft hinein.

Die Dokumentation bestätigt andere Menschenrechtsberichte und palästinensische Aussagen über das Vorgehen der israelischen Armee während des Angriffs auf den Gazastreifen. Etwa die der ärztlichen Untersuchungskommission von medico international und seinen Partnern „Ärzte für Menschenrechte - Israel“ und „Palestinian Medical Relief Society“.

„Breaking the Silence“ wurde vor etwa fünf Jahren gegründet. Mithilfe einer starken Freiwilligenbasis sammeln sie Zeugenaussagen von israelischen Soldaten, die in den besetzten Palästinensergebieten gedient haben. Die Soldaten erhalten die Möglichkeit, ihre Geschichte zu erzählen und diese im Gespräch mit Menschen, die ähnliches erlebt haben, zu reflektieren. Die Zeugenaussagen werden aufgenommen, eine Auswahl getroffen, bei Bedarf werden die Berichte anonymisiert. Die Redaktion der Aussagen wird so vorgenommen, dass der Sprachduktus der Soldaten nicht verändert wird. Dadurch entstehen kraftvolle und detaillierte Beschreibungen der Besatzungsmechanismen, die zuweilen schwere Menschenrechtsverletzungen aufdecken.

Die Unterstützung von „Breaking the Silence“ ergänzt die erste und die zweite Hilfe in Gaza. medico und „Breaking the Silence“ hoffen, dass die Veröffentlichung eine öffentliche innerisraelische Diskussion über die Realitäten einer militärischen Aktion entfachen, die in einer dichtgedrängten Enklave stattfand und deren Opfer hauptsächlich Zivilisten waren.

Den vollständigen Bericht von „Breaking the Silence“ in englischer Sprache (112 Seiten) mit allen Zeugenaussagen können Sie hier als PDF downloaden.http://medico.de/media/operation-cast-lead.pdf

Veröffentlicht am 15. Juli 2009

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