Staatsstreich auf Sri Lanka

Zivilgesellschaft ruft zum Widerstand auf

medico-Partnerin Shreen Saroor: "Es geht nicht um die gestürzte Regierung, es geht um die Demokratie!" Von Thomas Seibert.

In einem Staatsstreich von oben hat Sri Lankas Präsident Maithripala Sirisena den bisherigen Premierminister Ranil Wickremesinghe entlassen und durch den Ex-Präsidenten Mahinda Rajapaksa ersetzt, der vielfacher Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen beschuldigt wird. Das Vorgehen Sirisenas ist verfassungswidrig, weil der Premierminister nur durch das Parlament bestimmt werden darf. Sirisena aber hat die vom Parlament sofort eingeforderte Zusammenkunft der Abgeordneten auf den 16. November vertagt. Der bisherige Premier Wickremesinghe widersetzt sich der Entlassung und hält sich nach wie vor im Amtssitz Temple Trees auf, um den sich viele seiner Anhänger versammelt haben. Auf Anordnung Sirisenas wurde die Stromversorgung von Temple Trees unterbrochen. Mehrere Ministerien und zwei Fernsehsender wurden von Polizeieinheiten überfallen, mindestens eine Person wurde erschossen.

Die sri-lankische Zivilgesellschaft hat sich zu einem „Citizens Movement“ zusammengeschlossen und einen gemeinsamen Aufruf veröffentlicht, der binnen weniger Stunden von über 10.000 Menschen unterzeichnet wurde. Die Zahl der Zustimmungen wächst von Minute zu Minute. In der Überschrift des Aufrufs heißt es: „Die Bürgerinnen und Bürger Sri Lankas verurteilen das Vorgehen des Präsidenten und fordern die Einberufung des Parlaments!“

medico-Partnerin Shreen Saroor, die zu den Erstunterzeichnerinnen gehört, verdeutlicht: „Es geht uns nicht um den Premierminister Wickremesinghe, sondern allein um die Demokratie und die Rechte des Parlaments. Präsident Sirisena und Premierminister Wickremesinghe wurden 2015 gewählt, um die autoritäre Herrschaft des früheren Präsidenten zu beenden und die Demokratie wiederherzustellen. Sirisena verrät sein Mandat. Seine Weigerung das Parlament einzuberufen beweist, dass er keine Mehrheit hat.“

Der Appell ruft die Bürgerinnen und Bürger auf die Straßen und fordert insbesondere alle staatlichen Bediensteten einschließlich der Angehörigen der Streit- und Sicherheitskräfte auf, sich verfassungswidrigen und deshalb illegalen Anordnungen zu widersetzen. Gleichzeitig werden die Anhänger von Sirisena und Rajapaksa wie von Wickremesinghe aufgefordert, sich jeder Gewalt zu enthalten: „Als Menschen, die einen langwierigen Krieg und seine Folgen erlebt haben, verdienen und fordern wir eine bessere Regierung als die, die wir seit dem 26. Oktober 2018 in den Handlungen des Präsidenten Sirisena erleben. Die Rechtswidrigkeit und der undemokratische Charakter seiner jüngsten Entscheidungen stehen außer Frage und haben zu einer Krise unserer Verfassung geführt. Sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene herrscht jetzt große Unsicherheit, wer die legitime Regierung von Sri Lanka bildet. Diese Unsicherheit stellt eine erhebliche Gefahr für das Leben und die Lebensgrundlagen der sri-lankischen Bürgerinnen und Bürger dar, die um Gerechtigkeit und um ihre Rechte kämpfen. Das gilt insbesondere für die Menschen im (tamilisch und muslimisch besiedelten) Norden und Osten unseres Landes und für alle, die gegen die ökonomische Lage protestieren. Es ist die Pflicht des Staates, alle Personen, einschließlich der am stärksten gefährdeten Personen, vor Angriffen zu schützen.“ medico-Partnerin Shreen Saroor bittet auch und besonders in Deutschland und Europa lebende Menschen mit sri-lankischen Pass um Unterstützung des Aufrufs:

Zum Aufruf: Sri Lankan Citizens condemn the President's actions and call for Parliament to be convened!

 

Zum Hintergrund

Der gemeinsame Staatsstreich des Präsidenten Sirisena und seines Vorgängers Rajapaksa bildet den Höhepunkt der bereits seit Monaten eskalierenden Krise der amtierenden Regierung. Sirisena und Rajapaksa kommen aus derselben politischen Partei (Sri Lanka Freedom Party, SFLP), Sirisena gehörte der im Januar 2015 abgewählten Regierung Rajapaksas als Gesundheitsminister an. Im Herbst 2014, wenige Monate vor den damaligen Präsidentschaftswahlen, wechselte Sirisena ins Lager der Opposition, zu der die Partei des jetzt gestürzten Premierministers (United National Party, UNP), aber auch die politische Partei der tamilischen Minderheit (Tamil National Alliance, TNA) gehören. Die Opposition stellte Sirisena als ihren gemeinsamen Kandidaten auf.

Gemeinsames Programm waren die Abschaffung der Präsidialdemokratie, die dem Präsidenten quasi diktatorische Vollmachten gab, und eine demokratische Lösung des jahrzehntealten Konflikts zwischen der singhalesisch-buddhistischen Mehrheitsgesellschaft und den tamilisch-hinduistischen, muslimischen und christlichen Minderheiten. Die Opposition konnte die Wahlen für sich entscheiden, Sirisena wurde Präsident, Wickremesinghe Premierminister. Ihre von Anfang an prekäre Koalitionsregierung setzte die erste gemeinsame Forderung gleich nach Amtsantritt um: Sri Lanka wurde wieder zur parlamentarischen Demokratie, die jahrzehntelang grob verletzten Menschen- und Bürgerrechte wurden weitgehend wiederhergestellt. Seither liegt die politische Entscheidungsgewalt beim Parlament und dem allein von ihm einzusetzenden Premierminister (Wickremesinghe), der Präsident (Sirisena) ist eher repräsentatives Staatsoberhaupt. Nur zu einem geringen Teil aber wurden die politischen Forderungen der ethnisch-religiösen Minderheiten erfüllt: die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen, die Aufhebung der militärischen Besetzung des mehrheitlich tamilisch besiedelten Nordens und Ostens und eine Reform der Verfassung zur Stärkung der Macht der Provinzparlamente und -regierungen. Zugleich geriet das Land in eine immer heftigere ökonomische Krise.

Der Streit in der Koalition eskalierte, als die neugegründete Partei des Ex-Präsidenten Rajapaksa (Sri Lanka People’s Front, SLPP) bei den Lokalwahlen große Stimmengewinne erzielte – ohne allerdings die Mehrheit der Koalition brechen zu können. Mit der Entlassung Wickremesinghes und der Wiederberufung Rajapaksa kehrt Präsident Sirisena zu seiner politischen Herkunft und zu der von ihr getragenen autoritären Politik zurück – kann das aber nur im Staatsstreich gegen die von ihm selbst mit auf den Weg gebrachte Verfassungsreform. Aus dieser Lage erklärt sich die politisch eigenständige Position, die das zivilgesellschaftliche „Citizens Movement“ ergreift, indem es zur Verteidigung der Verfassung und damit der Demokratie und nicht bloß zur Verteidigung des verfassungswidrig gestürzten Premiers Wickremesinghe aufruft. Politisch entscheidend ist dabei, dass die Zivilgesellschaft in der Verteidigung der Demokratie die politischen Anliegen der ethnisch-religiösen Minderheiten und der seit Monaten zunehmenden Proteste gegen die ökonomische Situation ausdrücklich zu ihrem Thema macht. Sollte die verfassungsmäßige Ordnung wiederhergestellt werden und Wickremesinghe Premierminister bleiben, wird die Zivilgesellschaft weiter die Partei sein, die auf der Einlösung der Versprechen des Januar 2015 beharrt – auch gegen einen Premier Wickremesinghe.

Veröffentlicht am 29. Oktober 2018
Thomas Rudhof-Seibert

Thomas Rudhof-Seibert

Thomas Rudhof-Seibert war bis September 2023 in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international zuständig für Südasien und Referent für Menschenrechte. Der Philosoph und Autor ist außerdem Vorstandssprecher des Instituts Solidarische Moderne; weitere Texte zugänglich auch unter www.thomasseibert.de


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