Moria als Blaupause

EU wendet sich noch weiter von denen ab, die auf Schutz hoffen

Mit ihrem neuen Asyl- und Migrationspakt wendet sich die Europäische Union noch weiter von denen ab, die auf Schutz und Teilhabe in Europa hoffen.

Von Ramona Lenz

Nie wieder Moria! Das hört man nicht nur von der Seebrücke-Bewegung, die unermüdlich für die Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland in Deutschland eintritt, sondern auch aus Brüssel, wo die EU-Kommission die Grundzüge ihres neuen Asyl- und Migrationspaktes verkündete.

Wenn man sich das Werk genauer anschaut, bekommt man allerdings keineswegs den Eindruck, dass so etwas wie im kürzlich abgebrannten und zuvor über Jahre hinweg vollkommen überbelegten Elendslager Moria auf Lesbos nicht mehr passieren kann. Im Gegenteil. Vieles, was der neue Pakt beinhaltet, ist keinesfalls neu, sondern wurde bereits in Moria und den anderen Hotspots auf den griechischen Inseln auf Kosten der Menschenrechte erprobt.

Dazu gehört insbesondere die Ausweitung freiheitsentziehender Maßnahmen in grenznahen Infrastrukturen der Internierung und Abschiebung. Es lohnt sich vor diesem Hintergrund, sich ein paar Abläufe im abgebrannten Lager Moria zu vergegenwärtigen.

Abschiebung im Schnellverfahren – der neue EU-Migrationspakt setzt das Prinzip Moria fort

Menschen mit geringen Aussichten auf Asyl sollen dem neuen Pakt zufolge einem Schnellverfahren unterzogen werden, damit sie bald Gewissheit haben, ob sie in Europa Aufnahme finden oder zurückkehren müssen. Noch bevor sie sich an einem neuen Ort eingelebt haben, soll ihnen so die Möglichkeit gegeben werden, sich für eine „freiwillige“ Rückkehr zu entscheiden.

Was vielleicht harmlos, humanitär und naheliegend klingt, hat auf den griechischen Inseln trotz der jahrelangen Anstrengungen der EU nie funktioniert, sondern massive Rechtsbrüche begünstigt. So gab es in Moria eine Gefängnissektion, in der Menschen teilweise über Monate hinweg ohne rechtliche Grundlage festgesetzt wurden.

Geflüchtete aus Syrien saßen dort nur aufgrund ihrer Einreise durch den sogenannten sicheren Drittstaat Türkei in Abschiebehaft, ohne dass ihre Asylgründe überhaupt angehört wurden. Und wer das Pech hatte, aus einem Land mit niedriger Anerkennungsrate (unter 25 Prozent) zu kommen, wurde unmittelbar nach der Ankunft allein aufgrund seiner Nationalität inhaftiert und einem sogenannten Schnellverfahren unterzogen.

Obwohl statistisch gesehen immerhin jeder vierte Asylantrag erfolgreich gewesen wäre, wurden Asylanträge von Menschen aus den entsprechenden Ländern direkt als wahrscheinlich unbegründet betrachtet. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Asylanträge dann auch tatsächlich abgelehnt wurden und die Anerkennungsrate gering genug blieb, erhöhte sich dadurch, dass es in der Haft meist keinen Zugang zu Rechtsberatung gab.

„Freiwillige“ Rückkehr bringt Geflüchtete für Monate in Haft

In der Gefängnissektion von Moria waren außerdem Menschen in Haft, die einer sogenannten freiwilligen Rückkehr in ihr Herkunftsland oder in die Türkei zugestimmt hatten. Viele waren von den elenden Lebensbedingungen und der langen Wartezeit auf den griechischen Inseln zermürbt und stimmten eher aus Verzweiflung als „freiwillig“ einer Rückkehr zu. Genauso wie Menschen, die abgeschoben werden sollten, kamen sie unmittelbar nach ihrer Entscheidung für eine „freiwillige“ Rückkehr in Haft. Dort blieben sie oft monatelang, teilweise über ein Jahr.

So saßen in Moria Menschen im Gefängnis, die nichts anderes verbrochen hatten, als in Europa Schutz zu suchen, und warteten auf ihre Abschiebung oder Rückführung. Diese selektive Inhaftierung wurde – im Einklang mit den Plänen des deutschen Innenministeriums für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft – in Griechenland immer weiter ausgebaut. Auf der Insel Kos werden seit Januar 2020 ausnahmslos alle ankommenden Flüchtlinge inhaftiert. Im Nachfolgelager Morias auf Lesbos könnte es bald ähnlich aussehen.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 25. September 2020 in der Frankfurter Rundschau.

Veröffentlicht am 29. September 2020

Ramona Lenz

Ramona Lenz ist Sprecherin der Stiftung medico. Über viele Jahre war die Kulturanthropologin in der Öffentlichkeitsarbeit von medico international zuständig für das Thema Flucht und Migration.

Twitter: @LenzRamona


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