Kommentar

Das attac-Urteil tangiert uns alle

Die Räume kritischer Zivilgesellschaft werden enger. Von Christian Weis

Der Trägerverein von Attac muss nach einem Spruch des Bundesfinanzhofs (BFH) mit dem endgültigen Entzug der Gemeinnützigkeit rechnen. Das BFH hat sein Urteil damit begründet, dass „Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung […] keinen gemeinnützigen Zweck erfüllt.“ Dabei beruft es sich auf einen unpolitischen Begriff von „Volksbildung“. Die negativen Signale, die mit dem Spruch des BFH gesendet werden, nach innen wie nach außen, tangieren uns alle, auch medico.

Zunächst ist die Entscheidung der obersten Steuerjuristen kurzsichtig und gefährlich. Denn in einer lebendigen Demokratie muss es Raum geben für eine kritische Zivilgesellschaft, die in der (finanziellen) Lage ist, die Zustände zu kritisieren und Alternativen vorzuschlagen. Die Globalisierung hat in vielen Ländern Ungleichheit, Armut und Ausbeutung zur Folge, im Süden wie im Norden. Umso wichtiger ist es, auf diese systemimmanenten Auswirkungen hinzuweisen und mit Spendengeldern „Inseln der Vernunft“ zu schaffen. Diese Alternativen liegen nicht nur bei medico oft quer zum politischen Mainstream. Als Nichtregierungsorganisation hat medico die gesellschaftliche Aufgabe, Partei für die Rechte der Ausgeschlossenen zu ergreifen und die politischen Entscheider an ihre Verantwortung zu erinnern. Das ist gemeinnützige Arbeit, die in ihrer kritischen Distanz zum politischen Establishment immer unbequem sein muss.

Wenn diese Arbeit durch den Entzug der Gemeinnützigkeit erschwert wird, erinnert das an die Schwierigkeiten unserer Partnerorganisationen in vielen Ländern dieser Welt. In Brasilien, Ägypten oder Bangladesch werden Nichtregierungsorganisationen und politische Aktivistinnen und Aktivisten nicht nur behindert, sondern verfolgt, manchmal bezahlen sie ihre Widerständigkeit mit dem Leben. Die Räume für politische Alternativen werden immer enger, weltweit, aber auch hierzulande. Die enge Interpretation des gemeinnützigen Zwecks „Volksbildung“ gefährdet Tausende Vereine und Stiftungen, die aus einer Haltung heraus Bildungsarbeit machen. Jeder Verein, der etwas auf sich hält, muss sich auch in die Tagespolitik einmischen können. Wenn die Abgabenordnung so ausgelegt werden kann, wie das bei attac der Fall war, dann muss die Legislative das Gesetz ändern, um zivilgesellschaftliche Organisationen in liberalen Demokratien zu stärken. Sonst macht nur noch der Lobby-Arbeit, der das Geld dafür hat.
 

Veröffentlicht am 04. April 2019

Christian Weis

Christian Weis war von 2019 bis Anfang 2021 Geschäftsführer von medico international.


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