Bling! Bling!

Die Neureichen der Welt gieren nach Diamanten. Das hat verheerende Folgen für Afrika. Von Bartholomäus Grill und Ray Ndlovu. DIE ZEIT Nr. 33, 12.08.2010

Zurück nach Marange? »Nein, nie wieder!«, sagt Farai Chikumira. »Ich bin froh, dass ich noch lebe.« Der junge Mann hat das Diamantenfieber überlebt. Es brach im Juni 2006 in Marange aus, nachdem Dorfbewohner die ersten Glitzersteine gefunden hatten. Innerhalb kürzester Zeit strömten 15 000 arme Leute und Glücksritter in die Region. Chikumira war einer von ihnen. Ausgerüstet mit Schaufel, Pickel und einem Sieb zog er ins neue El Dorado. Er wollte schnell reich werden – und beinahe wäre ihm der Traum zum Verhängnis geworden.

Farai Chikumira ist nicht sein richtiger Name, der 26-Jährige verschweigt ihn aus Furcht vor den Spitzeln des Regimes. Beim Treffen in einem Imbissladen in der Provinzstadt Gweru inspiziert er immer wieder mißtrauisch die Nebentische, während er von den mörderischen Rivalitäten zwischen den Schürfern, von kriminellen Syndikaten und vom Terror der Sicherheitskräfte erzählt. »Am schlimmsten waren die Hunde, die sie auf uns hetzten.«

Sein Bericht klingt wie eine abenteuerliche Story von Jack London über den Goldrausch am Klondike River in Alaska. Aber diese Geschichte spielt im Osten Simbabwes, und es geht um Diamanten, um verdammt viele Diamanten. Prospektoren der israelischen Bergbauberatungsfirma Tacy Ltd. schätzen, dass aus der Erde von Marange künftig ein Viertel der weltweiten Diamantenproduktion geholt werden könnte. Der Manager eines einheimischen Minenkonsortiums – auch er will anonym bleiben – spricht von einem Potenzial von drei Milliarden Karat.

Infolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise ist zwar die Nachfrage nach Luxusgütern vorübergehend eingebrochen, doch die Diamantenindustrie hat sich längst erholt und legt wieder kräftig zu. Zu den derzeit besten Kunden gehören die Neureichen der aufsteigenden Wirtschaftsmächte Indien und China, die russische Oberschicht sowie die Eliten Afrikas.

Eigentlich gibt es auch eine verbindliche Abmachung im Diamantenhandel, keine Geschäfte mit sogenannten Konfliktdiamanten zu treiben, also mit Edelsteinen, die von Rebellen und Verbrecherkartellen aus Kriegsgebieten exportiert werden. »Kimberley-Abkommen« heißt diese Selbstverpflichtung der Branche, 75 Staaten haben sie unterzeichnet und die meisten Unternehmen halten sich offenbar daran. Seit 2003 wird angeblich nur noch mit Rohware gehandelt, die als »konfliktfrei« zertifiziert wurde; der Anteil der Blutdiamanten soll zwischenzeitlich auf ein Prozent gesunken sein. Dennoch erreicht eine unbekannte Zahl von Funkelsteinen die Endabnehmer nach wie vor auf dunklen Wegen. Häufig stammen sie aus gewaltgeplagten Ländern wie Angola oder Sierra Leone.

Oder aus neuen, schwer kontrollierbaren Regionen wie Marange in Simbabwe. Farai Chikumiras Schilderungen der brutalen Verteilungsschlacht auf dem rund 68 500 Hektar großen Areal unterfüttern die Anklagen von Menschenrechtsorganisationen wie Global Witness. Sie werfen den Sicherheitskräften Mord, Raub und Vergewaltigung vor; Militärs würden die Schürfer zwingen, für sie zu arbeiten, und sogar Kinder versklaven. Ortswechsel. Vorige Woche wurde das britische Supermodel Naomi Campbell vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag geladen, und die Nachrichten darüber gingen schnell um die ganze Welt. Ein Sondertribunal versucht zur Zeit, die Verstrickungen des liberianischen Ex-Despoten Charles Taylor in grausame Kriegsverbrechen im Nachbarland Sierra Leone aufzuklären; er wird beschuldigt, die Aufständischen im Austausch gegen Diamanten mit Waffen versorgt zu haben. Taylor bestreitet, je im Besitz der begehrten Steine gewesen zu sein, doch bei einem Galadiner in Johannesburg 1997 soll der Kriegsfürst dem Supermodel Rohdiamanten geschenkt haben. Campbell gab vor dem Tribunal die ahnungslose Unschuld, räumte aber ein, damals ein paar »schmutzige Kiesel« von unbekannten Männern erhalten zu haben. Im übrigen habe sie gar nicht gewusst, wer Taylor überhaupt sei.

Was auch immer an jenem Abend geschah: Dieser Fall hat auch neues Licht auf die rasant gestiegene Nachfrage nach Diamanten geworfen – denn ohne die neue Begehrlichkeit gäbe es solche Geschichten wohl kaum. Diamantenkäufe sind während der Bereicherungsorgien in der Ära der New Economy geradezu explodiert. Seither protzen die Investmentbroker der Wallstreet und Internet-Milliardäre genauso mit ihren Klunkern wie Paris Hilton, Maradona oder David Beckham, und neuerdings telefonieren die Superreichen gerne mit diamantenverbrämten iPhones. Die funkelnden Kristalle wurden zum Inbegriff des Bling-Bling. Das Doppelwort stammt aus der afroamerikanischen Hip-Hop-Szene und bezeichnet die entfesselte Lust auf Glamour und Luxus. Gangsta-Rapper wie B.G. oder Tupac Shakur besangen den Reichtum und seine hemmungslose Zurschaustellung. Lil Jon trat mit einer 5,4 Kilogramm schweren Goldkette auf, die mit 73 Karat Diamanten bestückt war. Und 50 Cent empfahl: Get Rich or Die Tryin’ – werde reich oder stirb beim Versuch, es zu werden. Die Rap-Ikonen lieferten Jugendlichen in aller Welt kriminelle Rollenmodelle, vor allem in den Ghettos der Armen. Devise: Gier ist geil.

Der Bling-Wahn in den Slums sollte zum Mainstream der Haute volée in aller Welt werden. Diese Entwicklung hat zu einem Strukturwandel der Diamantenindustrie geführt; sie sei nicht mehr angebotsorientiert, sondern nachfragegetrieben, sagen die Fachleute. Das lässt sich zum Beispiel in Südafrika beobachten, wo sich seit dem Ende der Apartheid eine zahlungskräftige schwarze Geldelite etabliert hat. Black Diamonds werden die Aufsteiger genannt, schwarze Diamanten. Man kann sie im »Darkie Café« in Johannesburg bestaunen. In dieser Glitterbar verkehrt gelegentlich auch Julius Malema, ein demagogischer Nachwuchsfunktionär der Regierungspartei ANC, der die Verstaatlichung des Bergbaus fordert. Denn alle Afrikaner sollen Zugriff auf Diamanten haben, um »eine schöne Farbe zu bekommen und so auszusehen wie die Weißen.« Im »Darkie« blitzen viele Diamanten. Dass manches Exemplar womöglich von afrikanischen Kindern mit bloßen Händen aus der Erde von Marange gebuddelt wurde, wollen ihre stolzen Besitzer lieber nicht wissen. Bling! Bling!

Zurück nach Simbabwe. Am Anfang hatte das Regime von Präsident Robert Mugabe die omakorokoza, die privaten Schürfer, ermutigt, ihr Glück in Marange zu suchen; es war eine billige Maßnahme zur Armutsbekämpfung. Doch schon bald wurden die informellen Diamantensucher zu Illegalen erklärt. Denn die Regierung hatte erkannt, welche Reichtümer in den Gesteinschichten von Marange schlummern. Experten schätzen den potenziellen Jahreserlös auf 1,7 Milliarden Dollar. Weil der staatlichen Aufkaufagentur durch den blühenden Schwarzhandel ein Großteil des Gewinns verloren ging, beschloss die Regierung, das Minengelände zu »säubern« und die Vermarktung neu zu regeln. Zunächst schickte sie Polizeieinheiten, dann, im November 2008, die Armee. »Hakudzokwi« hieß die Operation; das kommt aus der Sprache ChiShona und bedeutet frei übersetzt »Kein zurück«.

Im Zuge dieser Operation wurden nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch 241 Schürfer getötet. Anschließend nahmen korrupte Militärs das Geschäft selber in die Hand. »Sie waren knallhart und pressten uns die Hälfte unserer Einnahmen ab,« erzählt Chikumira. Unterdessen sollen die Sicherheitskräfte 97 Prozent der Diamantenfelder kontrollieren. Viele Nutznießer sind hochrangige Offiziere oder Funktionäre der Regierungspartei Zanu-Pf. Etliche Generäle konnten in diesem Metier bereits im Kongo wertvolle Erfahrungen sammeln, wo sie sich ihre Waffenhilfe im Bürgerkrieg der 1990er Jahre mit hochkarätigen Bergbau-Konzessionen gegenfinanzieren ließen. In Marange halten sie Anteile in einem undurchsichtigen Geflecht von Minengesellschaften, das nach Südafrika, Mauritius und Kanada reicht. Und wie damals fließt vermutlich ein Teil ihrer Profite zurück in die Parteikasse. Robert Mugabe, der Große Vorsitzende, braucht dringend Wahlkampfzuschüsse. Im nächsten Jahr sind gewählt, und der greise Diktator will bis zu seinem Lebensende an der Macht bleiben.

Im Juni 2009 legte eine Kommission des Kimberley-Abkommens einen Report über Marange vor. Die Abgesandten hörten sich die Klagen der Opfer an und sahen ihre Verletzungen, die durch Schläge, Hundebisse oder Schüsse verursacht worden waren. »Manchmal musste ich den Raum verlassen«, bekannte Kpandel Fayia, der Leiter der Mission. Die Augenzeugenberichte haben ihn an die Verbrechen in seiner Heimat erinnert. Fayia ist Vizebergbauminister von Liberia, dem Land des gestürzten Kriegsfürsten Charles Taylor.

St. Petersburg, Russland. Nach den Erkenntnissen der Kimberley- Kommission hätte Marange eigentlich auf der Liste der Herkunftsorte von Blutdiamanten landen müssen. Doch der World Diamond Council gab bei seiner siebten Jahrestagung Mitte Juli grünes Licht: Ab September darf Simbabwe in begrenztem Umfang wieder Rohware aus der umstrittenen Region exportieren. Inoffizielle Begründung: Die Definition von Konfliktdiamanten treffe auf dieses Land nicht zu, es herrsche schließlich kein Bürgerkrieg. Durch diese Entscheidung werde die freiwillige Selbstkontrolle der Branche ad absurdum geführt, kritisieren humanitäre Organisationen wie medico international. Sie sprechen von »militarisiertem Bergbau« und fordern eine Verschärfung der Kimberley-Kriterien.

Erstaunlicherweise hatte sich neben Bergbauminister Obert Mpofu, einem treuen Gefolgsmann von Mugabe, auch Finanzminister Tendai Biti nachdrücklich für die Wiederzulassung eingesetzt. Er gehört zur Oppositionspartei MDC, die seit Februar letzten Jahres in Simbabwe mitregieren darf. Biti hofft auf Deviseneinnahmen, die das bankrotte Land dringend benötigt. Aber wer könnte garantieren, dass sie nicht als »Wirtschaftsförderung« für Mugabe und sein diktatorisches Regime mißbraucht werden?

So dürfen in den Gruben von Marange weiterhin Diamanten unter menschenunwürdigen Bedingungen geschürft werden – mit dem Gütesiegel des Kimberley-Abkommens. Man hat unterdessen sogar eine Landebahn für schwere Transportmaschinen aus dem Busch gestampft. Was nicht auf dem Luftweg zu den Schleifzentralen in Antwerpen oder Tel Aviv exportiert wird, erreicht die Kundschaft auf Schmugglerpfaden über die grüne Grenze nach Mosambik oder Südafrika. Und die Parteibonzen werden sich wie gehabt persönlich bedienen. »Oft kamen die großen Bosse aus Harare in ihren dicken Geländewagen und kauften die Steine direkt von den Syndikaten,« erinnert sich Farai Chikumira. Er selber ist nicht reich geworden, sein Traum ist zerplatzt. Aber er ist froh, dass er das alles nicht mehr erleben muss. Die Gier, die Hundebisse, den Terror der Soldaten – Marange ist nur noch ein ferner Alptraum.

Veröffentlicht am 13. August 2010

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