Info_Dienst: Die Millenniumserklärung der Vereinten Nationen wurde vor zehn Jahren unterzeichnet. In wieweit sind die dort definierten Ziele bezüglich Gesundheit verwirklicht?
Thomas Gebauer: Auch wenn es hier und da Erfolge gibt und beispielsweise in einzelnen Regionen die Kindersterblichkeitsrate gesenkt werden konnte, deutet doch vieles daraufhin, dass die „Millennium Development Goals“ (MDGs) als solche nicht erreicht werden können. Es sind strukturelle Umstände, die für die globale Gesundheitskatastrophe verantwortlich sind. Umstände, die nicht alleine mit mehr Entwicklungshilfe verändert werden können, sondern auf nationaler wie auf internationaler Ebene nach neuen Formen von „health governance“ verlangen. Solange es die nicht gibt, werden auch Anstrengungen, wie sie im Kontext der MDGs unternommen werden, nicht nachhaltig fruchten. Notwendig ist es, die MDGs sozusagen „vom Kopf auf die Füße“ zu stellen und für die institutionelle Verankerung beispielsweise im Kontext eines solidarisch finanzierten „Globalen Fonds für Gesundheit“ zu sorgen.
Info_Dienst: Die Idee einer solidarisch finanzierten Gesundheitsfürsorge ist international nicht selbstverständlich, hierzulande wird sie oft in Frage gestellt. Welche Bedeutung hat Gesundheit als öffentliches Gut gerade für benachteiligte Menschen?
Thomas Gebauer: Die Vorstellung, der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen könne allein über den Markt geregelt werden, mag gut für das Geschäft sein, gesundheitspolitisch aber führt sie in die Irre. Wie Bibliotheken, Schulen oder Universitäten stellen Gesundheitsdienste, kommunale Wasserwerke oder Krankenhäuser schützenswerte öffentliche Güter dar. Ohne eine solche Sphäre von Gemeingütern, die aufgrund ihrer Bedeutung für das menschliche Zusammenleben prinzipiell vor marktförmigen Bereicherungsprozessen geschützt werden muss, werden Arme und weniger Vermögende dauerhaft sozial ausgeschlossen. So gesehen ist ein solidarisch verfasstes Gesundheitswesen eben nicht einfach nur ein Kostenfaktor, sondern zuallererst Ausdruck gesellschaftlichen Fortschritts. Wer seine Aushöhlung in Kauf nimmt, fördert die Ausbreitung von Existenzsorgen und setzt damit jenen Freiheitsgewinn auf Spiel, der mit der Befreiung aus sozialer Unsicherheit und Not einhergeht.
Info_Dienst: Gesundheit ist ein Menschenrecht. Wie wäre eine solidarische Gesundheitsversorgung zu verwirklichen, welche alternativen Modelle werden bereits praktiziert, die als Vorbild dienen könnten?
Thomas Gebauer: Statt Gesundheitsversorgung weiter zu privatisieren, bedarf es einer Rückbesinnung auf die öffentliche Verantwortung für Gesundheit. Gesundheitsfürsorge sollte Teil einer sozialen Infrastruktur sein, die allen kostenfrei zur Verfügung steht. Es liegt auf der Hand, dass solche Veränderungen ohne eine starke Öffentlichkeit nicht gelingen. Nicht ohne Grund haben Gesundheitsinitiativen in aller Welt damit begonnen, sich international, etwa im People Heath Movement, zu vernetzen. Sie leisten Widerstand gegen die Privatisierungswelle, gründen Gesundheitskooperativen und solidarische Versicherungsvereine. So unterschiedlich die jeweiligen Ausgangsbedingungen auch sein mögen, geht es doch um dasselbe Ziel: die Verteidigung und Wiederaneignung von Gesundheit als ein öffentliches Gut.
Info_Dienst: Wie kann das Recht auf Gesundheit für alle in globalem Maßstab verwirklicht werden? Was können oder müssen reichere Länder tun, um ärmere Länder zu unterstützen, eine gute Gesundheitsvorsorge aufzubauen?
Thomas Gebauer: Es ist höchste Zeit, das Menschenrecht auf Zugang zu bestmöglicher Gesundheitsversorgung auch institutionell und materiell zu fundieren. Grundlage dafür könnte der bereits erwähnte „globale Gesundheitsfonds“ sein. Im Prinzip geht es dabei um die Schaffung eines zwischenstaatlichen Finanzierungsinstrumentes, mit dem sich reichere Länder völkerrechtlich bindend verpflichten, solange auch für die Gesundheitsbedürfnisse der ärmeren Länder aufzukommen, wie diese dazu nicht aus eigener Kraft imstande sind. So utopisch ein solcher Fonds auch klingt, er scheitert nicht am Mangel an Geld oder technischen Voraussetzungen, sondern alleine am mangelnden Willen der politisch Verantwortlichen. Wer aber meint, dass ein solcher Fonds ein Luxus sei, den wir uns nicht leisten können, sollte wissen, dass auch die sozialen Errungenschaften, die in Europa durchgesetzt wurden, nur zu verteidigen sein werden, wenn sie sozusagen ins Globale ausgeweitet werden. Angesichts des erreichten Globalisierungsgrades gibt es zur Globalisierung des Solidarprinzips keine Alternative.
Info_Dienst: Die Abschlussveranstaltung der Konferenz steht unter dem Titel „Globale Gesundheit – Grundlagen eines alternativen Aktionsplans“. Welche Schritte müsste ein solcher Aktionsplan aus Ihrer Sicht beinhalten?
Thomas Gebauer: Von „globaler Gesundheit“ ist heute oft und gerne die Rede, doch steckt die Vorstellung, was damit eigentlich gemeint sein könnte, noch in den Kinderschuhen. Notwendig erscheint mir deshalb vor allem die Arbeit am Konzept „globale Gesundheit“. Es geht darum, das Verständnis von Gesundheit im Kontext einer global geteilten Verantwortung neu zu konstituieren. Dazu bedarf es des Nachdenkens über geeignete Formen der institutionellen Absicherung, der Stärkung der WHO gegenüber dem unterdessen entstandenen Dschungel an privaten und philanthropischen Akteuren sowie nicht zuletzt der Schaffung einer starken internationalen Öffentlichkeit, ohne die weder Veränderungen durchgesetzt, noch mögliche Veränderungen demokratisch kontrolliert werden können. Über solche Fragen werden wir auf der Konferenz nachdenken. Das Ziel ist die Schaffung eines Forums, das sich Gedanken macht, wie – bezogen auf Gesundheit – eine andere, eine menschenwürdige Globalisierung gelingen kann.
Das Interview führten Isabel Merchan und Katharina Zeiher für den Info-Dienst von „Gesundheit Berlin-Brandenburg" (Ausgabe 3_2010)
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