Nicht nur eine Frage des Geldes

Weltgesundheitstreffen: Die dritte People’s Health Assembly in Kapstadt

Der Südwinter verleiht dem Campus der University of Western Cape (UWC), auf dem die dritte weltweite People’s Health Assembly (PHA) in diesem Juli stattfand (nach 2000 in Savar, Bangladesch und 2005 in Cuenca, Ecuador), eine eher untypisch mediterrane Gestalt, frische Nächte, kühle Regenschauer und beständiger Wind lassen die ca. 800 Delegierten nur selten ihre dicken Wintermäntel und Wollmützen ablegen. Denn auch das zentrale Studierendenhaus, das den Kern der Anlage bildet und uns als Mensa und gemeinsamer Aufenthaltsort dient, ist für heiße Sommertage gebaut und entsprechend ausgekühlt.

Der Stimmung tut das keinen Abbruch, im Verlauf der Tage wird es auch immer schwieriger die kleinen Gesprächsgruppen, die sich spontan während und nach den Mahlzeiten dort bilden, wieder zu den Plena, Subplena und Workshops zu bewegen. Auch der Konferenzcharakter, der in den ersten Tagen vorherrschte, wird mehr und mehr von der Asamblea, der Versammlung der Gesundheitsaktivisten aus über 90 Ländern abgelöst, in der Vernetzungen, Verabredungen, und Planungen für die Zeit nach Kapstadt die Oberhand gewinnen. Genau darin unterscheidet sich dieses „Weltsozialforum der Gesundheit” von den vielen globalen Gesundheitskonferenzen, auf denen Aktivisten allenfalls als exotische Garnierung für die wichtigen Redner aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft auftreten können - oder als moralisch kritische Stimme dienen, als Feigenblatt für die minimalen Bemühungen um echte Partizipation im Sinne einer Überwindung von gesundheitlicher Ungleichheit und der Ressourcenverteilung für eine solidarische Gesundheitsfinanzierung.

Brennpunkt soziale Gesundheit

Gerade die Beschäftigung mit den strukturellen Ursachen von Krankheit und vorzeitigem Tod, mit Weltwirtschaftsregeln, intellektuellem Eigentum, Profitinteressen und sozialer Ausgrenzung bildete die Grundlage für die Debatten um mögliche Gesundheitskampagnen, Lobbythemen und Austausch über die Durchsetzung von funktionierenden Gesundheitssystemen. Ausführlich wurden diese vor allem während des 10-tägigen Kurses der International People’s Health University (IPHU) mit über 50 jungen Gesundheitsaktivisten analysiert, der der PHA vorgeschaltet war. Für viele der zumeist nicht aus akademischen Zirkeln, sondern aus Basisgesundheitsprojekten kommenden Studenten waren diese Einblicke in die globalen Zusammenhänge von Armut und Reichtum, Gesundheit und Krankheit ein echter Augenöffner, der sich in deutlichem Enthusiasmus für die Mobilisierung in den eigenen Ländern ausdrückte - das People’s Health Movement (PHM) hat seit der letzten großen Assembly über 1.000 solche „Alumni” der IPHU nicht nur fortgebildet, sondern auch im wahrsten Sinne mobilisiert - und viele sind inzwischen selbst in PHM-Gruppen und Zirkeln aktiv. Die Verbreitung des PHM gerade in den afrikanischen Ländern war das erklärte Ziel dieser großen Versammlung, an der nicht nur die Netzwerker des PHM Global Office in Kapstadt in den letzten Jahren mit Erfolg gearbeitet hatten, wie an der starken Präsenz vieler afrikanischer Länder (besonders auch aus dem frankophonen Zentral- und Westafrika) auf der Asamblea zu sehen war.

Die Schwierigkeit des Erfolges

Die ständige Herausforderung lautet, ein solches Engagement zu verstetigen, in die lokale Alltagsarbeit der Gruppen, Länder und Aktivistenzirkel einzubringen. Dies wurde in den letzten Jahren bei ambitionierten Projekten der Gesundheitsbewegung sichtbar: dem Global Health Watch, der Right-to-Health-Campaign oder der Beobachtung des Geschehens in der Weltgesundheitsorganisation (WHO-Watcher). Die richtige Kritik und Analyse sowie das Aufdecken von Defiziten der Gesundheitsversorgung und -politik gelingt dank der hohen Fachkompetenz der im PHM zusammengeschlossenen Aktivisten gut - sie umzusetzen in starke öffentliche Kampagnen, die dann auch Veränderungen von Politik und Zuständen erreichen, sind jene sprichwörtlich „dicken Bretter“, die so mühsam zu bohren sind.

Und teilweise birgt gerade der Moment des Erfolges auch Schwierigkeiten für die Bewegung. So berichteten indische PHM-Aktivisten, dass sie zwar mit ihrer beeindruckenden Kampagne Right to Health Mitte der 2000er Jahre tatsächlich erfolgreich neue staatliche Gesundheitsprogramme angestoßen haben – wenn auch nicht in dem Umfang, der erforderlich wäre. Und dass viele der damaligen Aktivisten andererseits nun in staatlichen Pilotprojekten der kommunalen Gesundheitsberatung arbeiten - mit denen die Gemeinden die Möglichkeit erhalten, direkt die Qualität ihrer Gesundheitszentren zu verfolgen und einzufordern - und einige sogar in verantwortliche Positionen in Ministerien und Verwaltungen der indischen Bundesstaaten sowie der Zentralregierung aufgestiegen sind.

Innerhalb des indischen PHM entbrannte eine heftige Debatte um „Pragmatisches Mitmachen” und „Kritische Distanz“, die ganz konkret auch die Kapazitäten der Bewegung schmälert. Ähnliche Erfahrungen haben die Gesundheitsaktivisten der Apartheidzeit in Südafrika in den 1990er Jahren und die brasilianischen Aktivisten nach dem Ende der Militärdiktatur in den 1980er Jahren gesammelt.

Auch für einen solchen Erfahrungsaustausch bot die PHA einen einzigartigen Raum: Erfahrungen aus Jahrzehnten engagierten Streitens für „Gesundheit für alle” kamen hier zusammen. Für das Organisationsteam, das sich viele Monate in der Vorbereitung aufgerieben hatte, und leider wie so oft bei Großevents erst ganz zum Schluss noch einmal gemeinsam auf die Bühne gebeten wurde, bleibt das neben dem verdienten Applaus die wichtigste Motivation, auch weiterhin für diese „Gesundheitsbewegung der Menschen” zu arbeiten.

medico im Geschehen

Insgesamt ermöglichte medico die direkte Teilnahme von 11 medico-Partnern an der dritten PHA und unterstützte darüber hinaus die lateinamerikanische Delegation. Die Gelegenheit, so viele medico-Partner an einem Ort gemeinsam zu treffen, hat unsere neue Koordinatorin der Öffentlichkeitsarbeit zu Gesundheit, Kirsten Schubert, beeindruckt. Die PHA war die ideale Möglichkeit der Begegnung verschiedener Organisationen, die sich hier oft das erste Mal als gemeinsame medico-Partner trafen: Ein wichtiger Impuls für unser eigenes „medico-Partner-Netzwerk“.

medico wird weiter über die Partner und die von uns geförderten PHM-Projekte, als Mitglied im PHM Europa und im Medicus-Mundi-Netzwerk, dass jetzt offiziell dem Partnernetzwerk des PHM angehört, an den Entwicklungen der globalen Basisgesundheitsbewegung mitwirken.

Andreas Wulf

Projektstichwort

Ein Fokuspunkt - medico und die globale Gesundheitsbewegung

Seit vielen Jahren beteiligt sich medico international am People´s Health Movement, der weltweiten Basisbewegung für Gesundheit. medico unterstützt aus Spendenmitteln die Arbeit in vielen Bereichen: den alternativen Weltgesundheitsbericht, die regelmäßig stattfindenden Alternativ-Universitäten, solche Treffen der Basisinitiativen wie die Versammlung des People´s Health Movements in Kapstadt.

medico tut dies, weil ein menschenrechtliches Verständnis von Gesundheit nur global durchgesetzt werden kann. Die vielfältigen Fragestellungen, auf die Aktivistinnen und Aktivisten dabei treffen, zeigen sich in den Texten, die medico-Kollegen und Kolleginnen von dem Weltgesundheitstreffen des People´s Health Movement mitgebracht haben. Es geht darum, wie eine globale, durchsetzungsfähige Öffentlichkeit für Gesundheit entstehen kann, wie gesundheitszerstörende Sklavenarbeit zu bekämpfen ist oder wie die aufstrebenden Länder ihre Gesundheit menschenrechtlich organisieren können.

Das People´s Health Movement ist bei diesen Fragen ein wichtiger Kristallisationspunkt. Diese Initiativen zu unterstützen und die weltweite Vernetzung der Gesundheitsalternativen zu fördern, hat sich medico zum Ziel gesetzt. Auch deshalb, weil wir unsere eigene Gesundheit damit verteidigen. Dafür brauchen wir Ihre Hilfe. Das Spendenstichwort lautet: Gesundheit.

Veröffentlicht am 13. September 2012

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