Kommentar

Ja zum Krieg

75 Jahre Nato sind kein Grund zum Feiern.

Von Katja Maurer

Erlebt die NATO zu ihrem 75. Bestehen eine Wiedergeburt? Das könnte man meinen, wenn man die unkritische, ja geradezu euphorische Berichterstattung zum Jubiläum in der deutschen Medienlandschaft beobachtet. Last Exit – NATO könnte darüber als Titel stehen. So wenig Kritik am transatlantischen Pakt gab es nie. Die Anti-Nato Mobilisierungen der alten Bundesrepublik, auf die sich die zerstrittene Linke damals immer hat einigen können, erscheinen so weit weg wie die Erinnerung an die Bauernkriege.

Wir seien „Transpolitische“ geworden, schrieb der französische Philosoph Jean Beaudrillard, schon zu Beginn der 1990er Jahre, „politisch indifferente und undifferenzierte, androgyne und hermaphroditische Wesen, die sich die widersprüchlichsten Ideologien reingezogen, sie verdaut und wieder von sich gegeben haben …“ Die Grünen als vorbildliche Transatlantiker, die der Kriegstüchtigkeit so sehr das Wort reden wie der allseits beliebte Verteidigungsminister Pistorius, sind das erstaunliche Ergebnis dieser Transpolitik.

Sie ist gekennzeichnet von der Untreue zur eigenen Geschichte und einer historischen Vergesslichkeit, die mit Verleugnung oder Verdrängung nur unzureichend beschrieben ist. Aufrüstung ist das Gebot der Stunde, diktiert von der Angst vor einem aggressiven Russland. Und sollte Trump im Falle eines Wahlsiegs seine Drohung umsetzen Europa das atomare Schutzschild zu entziehen, dann ist am Ende auch eine Atombewaffnung der Bundeswehr denkbar. Relevanten Widerstand wird es im Zeichen und Zeiten der Angst nicht geben. Nicht nur die NATO ersteht neu, sondern auch eine Politik der Abschreckung, die dieses Mal aber ernsthaft mit Krieg kalkuliert.

Ende einer Weltordnung

Dieser Wahnsinn nennt sich Kriegsregime, das mangels Alternative sein Heil im Freund-Feind-Denken sucht. Dahinter steht nur ein Gedanken: Wie kann man zum Status Quo zurückkehren? Dieser nährte sich von der Illusion, der Westen und auch die NATO habe im Systemkampf des Ost-West-Gegensatzes gesiegt, es gäbe nur noch pragmatische Probleme, die mithilfe von NGOs oder Militäreinsätzen, denen man das Adjektiv „peacekeeping“ voransetzte, gelöst werden könnten. Der liberale und neoliberale Geist unter Führung der USA werde, so dachte man, die Weltgeschicke nun kontrolliert steuern. Das Weltweitwerden des Kapitalismus schien solchen Überlegungen recht zu geben. Dass zeitweise sogar erwogen wurde Putin-Russland, das sich damals schon nicht durch die Gewährleistung menschenrechtlicher Standards auszeichnete, in die NATO aufzunehmen, zeigt, wie sicher man sich war, am Ende der Geschichte angekommen zu sein.

Nicht erst seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist klar, dass diese Meistererzählung, zu der auch die Bekämpfung des radikal Bösen gehört – Hitler und alle, die man opportuner weise mit ihm gleichsetzt – ihre Strahlkraft verloren hat. Sie ist mit dem verheerenden Irak-Krieg der USA und ihren willigen Freunden sowie seinen Folgen für die gesamte Region bis heute ebenso widerlegt worden. Aber auch mit dem Scheitern der als humanitär bezeichnete Mission in Haiti oder beim Abzug aus Afghanistan und dem Überlassen der Regierungsgewalt an die Taliban.

Der unterlassene Versuch, eine politische Lösung in Israel-Palästina zu finden, die auch Rechte für die Palästinenser:innen hätte vorsehen müssen, gehört ebenso auf die Liste des westlichen Abstiegs wie die völlige Rat- und Ideenlosigkeit in Bezug auf die Klimakatastrophe. Sie will man, wenn überhaupt, mit Anreizen für die Privatindustrie bewältigen oder eben mit Sicherheitspolitik. Dass wir am Ende einer Weltordnung stehen, die vom US-geführten Hegemon gesteuert wird, ist unübersehbar. Daran ändert auch die Renaissance der NATO nichts, die reflexartig auf die eingeübten Verhaltensmuster des Kalten Krieges zurückgreift.

Vergessene Realpolitik

Tatsächlich bestand der Kalte Krieg aber nicht nur aus der Logik der Abschreckung und dem Führen von Stellvertreterkriegen in der „Dritten Welt“. Letzteres übrigens eine Bezeichnung, die nicht eine Rangordnung herstellen sollte, sondern diesen Teil der Welt, im Gegensatz zu den beiden Militärpakten NATO und Warschauer Staaten, als das „Dritte“, also das mögliche Andere definierte. Die Logik der Abschreckung verlangte auch Verhandlungen, beinhaltete auch diese Abschreckung niemals realisieren zu müssen. Von Kriegstüchtigkeit hätte nicht einmal der reaktionärste Politiker Deutschlands, Franz Josef Strauß, gesprochen.

Die Ost-Verträge, der Helsinki-Prozess, der in der KSZE-Schlussakte endete, und Dissidentengruppen in Osteuropa eine Handlungsgrundlage bot, waren Maßnahmen zur Kriegsverhinderung – ebenso Teil des Kalten Krieges wie die Militärbündnisse. Davon ist heute weder in der Politik noch bei den meisten Friedensforschungseinrichtungen etwas zu sehen. Einzig der schmale SPD-Politiker Rolf Mützenich spricht die realpolitische Wahrheit aus, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen kann und ist bemüht, Alternativen in die Diskussion zu werfen. Möglicherweise hat er eine verschreckte Stimmungsmehrheit in Deutschland hinter sich, die jedoch weder politisch noch medial repräsentiert wird. Er wurde für diese Position in der Luft zerrissen.

Insofern also ist die NATO-Renaissance heute zum Fürchten. Nicht, weil sie einen Krieg plant, sondern weil sie keine Alternative zum Krieg mehr kennt, den sie nicht führen will. Wie das konkret aussieht, kann man an der vorbehaltlosen Unterstützung der meisten NATO-Länder für den israelischen Krieg in Gaza sehen. Sie deuten den in seiner Anlage genozidal ausgeführten Hamas-Angriff als Angriff auf den Westen, weshalb seine Entkontextualisierung so wichtig ist, und geraten damit in dieselbe Isolation, in der Israel schon feststeckt. Spätestens seit der israelischen Kriegsführung, der die praktische Möglichkeit genozidaler Vernichtung innewohnt, sind die ethischen Legitimationsgrundlagen des Westens verloren. Darüber hilft auch keine NATO und mit ihr die Beschwörung „unserer Werte“ hinweg.

Veröffentlicht am 04. April 2024
Katja Maurer

Katja Maurer

Katja Maurer leitete 18 Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit von medico international und die Rundschreiben-Redaktion. Heute bloggt sie regelmäßig auf der medico-Website.


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