Südasien

Sterben für die Anderen

Die ökonomische Krise Sri Lankas ist zu einem Überlebenskampf in der Ukraine geworden.

Von Karin Zennig

Während der Krieg in der Ukraine auch nach zwei Jahren kein Ende zu nehmen scheint, stehen sich dort eine zunehmende Zahl südasiatischer Staatsangehöriger vor allem aus Nepal, Indien und Sri Lanka im Frontverlauf gegenüber. Gekämpft wird auf beiden Seiten: Über Hundert ehemalige sri-lankische Militärangehörige sind der ukrainischen Fremdenlegion beigetreten, hunderte stehen ihnen als Kombattanten des russischen Militärs gegenüber. Auch sri-lankische Zivilisten dienen auf beiden Seiten, oft nach einer nur wenige Tage umfassenden „Ausbildung“. Im Gegensatz zu historischen Beispielen wie dem Spanischen Bürgerkrieg, kämpfen sie allerdings auf keiner der beiden Seiten aus Überzeugung, sondern aus Not.

Umgerechnet 3000 US-Dollar pro Monat wird ihnen von Russland geboten. Halten sie es als Soldaten länger als sechs Monate aus, winkt ihnen sogar eine russische Staatsbürgerschaft. Selbst die Gefahr dort zu sterben wird in Kauf genommen. In diesem Fall ist ihren Familien eine finanzielle Entschädigung versprochen, ein dramatischer Anreiz für Diejenigen, die sich gerade nur unzureichend mit dem Nötigsten versorgen können. Die dramatische wirtschaftliche Situation Sri Lankas hat seine Einwohner zu Söldnern gemacht.

Kampf ums Überleben

Im Sommer 2022 erlebt der 22 Millionen Einwohner:innen beherbergende Inselstaat eine seiner schwersten Wirtschaftskrisen, die bis heute andauert. Corona hatte die dominant auf Tourismus basierende Wirtschaft stark getroffen, die Erhöhung der Energiepreise durch den Ukraine-Krieg taten ihr Übriges. Eine Hyperinflation und unbezahlbaren Auslandsschulden führten zu Engpässen bei Treibstoff, Medikamenten und Nahrungsmitteln. Monatelange Straßenproteste gipfelten schließlich in der Absetzung des damaligen Präsidenten Gotabaya Rajapakspa, dessen Regierung der groben Misswirtschaft bezichtigt und im November 2023 vom obersten Gerichtshof des Landes für schuldig befunden wurde.

Kredite des Internationalen Währungsfonds halfen in der Situation zwar, die unmittelbare Zahlungsunfähigkeit zu beheben und damit die angespannte politische und soziale Versorgungssituation zu entschärfen. Der drohende Staatsbankrott wurde damit aber nur von Auszahlung zu Auszahlung weiterer Tranchen verschoben. Seitdem hält der aktuelle Regierungschef Ranil Wickremesinghe das Land in einer Jonglage zwischen den IWF Konditionen und widerstreitenden Interessen Indiens und Chinas notdürftig über Wasser, von denen er sich wahlweise größerer Investitionen oder Umschuldungsoptionen erhofft. Innenpolitisch sorgt er indes mit einer Reihe von neuen Anti-Terrorgesetzen für Ruhe und geht rigide gegen Zivilgesellschaft und aufkeimenden Protesten vor.

Inflation, Energie- und Lebenshaltungskosten sind aktuell trotzdem ungebrochen hoch und stetig steigend. Der Betrieb von Unternehmen kann nicht aufrechterhalten werden, Läden schließen und hinterlassen Tausende ohne Einnahmequellen und Perspektiven, viele Familien können sich den Gang ihrer Kinder zur Schule nicht mehr leisten. Auf der Suche nach Alternativen reduzieren die einen die Anzahl ihrer Mahlzeiten, die die können, versuchen das Land zu verlassen. Seit reichlich einem Jahr lässt sich ein Massenexodus beobachten. Die Schlangen vor den Pass- und Visabehörden sind kilometerlang, während es im Land mittlerweile so dramatisch an Lehrer:innen, Ingenieuren, Krankenpfleger:innen und Ärzten mangelt, dass selbst der ganz normale Betrieb öffentlicher Versorgungseinrichtungen nur noch schwer aufrechtzuerhalten ist.

Die folgenschwere Rekrutierung fürs russische oder ukrainische Militär ist dabei nur die drastischste Artikulation dieser Not und dem Gefühl von Ausweglosigkeit, das die ökonomische Krise, aber auch aktuell abwesende politische Perspektiven in Sri Lanka hinterlassen.

Globale Abhängigkeiten

Laut Internationaler Arbeitsorganisation haben allein zwischen Januar 2022 und September 2023 fast 550.000 Menschen das Land als Arbeitskräfte verlassen. Erst unlängst wurden mit Unterstützung der Regierung 10.000 Sri Lanker:innen als Ersatz arabischer Arbeitskräfte von Israel rekrutiert. Ein großer Teil der Arbeitsmigration erfolgt aber nach Kuwait, Dubai und Oman, zunehmend auch illegal. Ohne Arbeitsvisum und legalen Aufenthaltsstatus arbeiten Hunderttausende Sri Lanker:innen als Putz- und Servicekräfte oder auf Baustellen und sind als Entrechtete dabei Arbeitsunfällen, Betrug und Misshandlungen ausgesetzt.

Natürlich könnte die sri-lankische Regierung sowohl die Rekrutierung für ausländische Militärs wie das Schuften unter ausbeuterischsten Arbeitsbedingungen unterbinden. Jenseits des fehlenden politischen Willens rührt die Zurückhaltung der Regierung aber auch ganz praktisch aus der ökonomischen Abhängigkeit von den Rücküberweisungen der Arbeiter:innen aus dem Ausland. In den letzten zwei Jahrzehnten konnten diese rund 80 Prozent des jährlichen Handelsdefizits decken und werden deswegen dringend benötigt – egal unter welchen Bedingungen. Ein Jahr um Jahr steigender Verteidigungshaushalt zeigt zudem deutlich, die Prioritätensetzung der sri-lankischen Regierung, bei der der Aufrechterhaltung einer massiven Streitmacht Vorrang vor dem Wirtschaftswachstum eingeräumt wird. Was bleibt ist die Not, die den Tod in einem fremden Krieg attraktiver macht, als den Verbleib im eigenen Land.

Genau an diesem Verhältnis setzt die Arbeit des medico Partners MONLAR einer Bewegung von Landarbeiter:innen an. Auf Almende bauen sie Agrar-Kooperativen auf, die gemeinschaftlich durch die jeweils umliegenden Dörfer bewirtschaftet werden. Die angebauten Pflanzen dienen der eigenen Versorgung mit dem Nötigsten. Nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein versuchen sie dennoch ein Mindestmaß an Auskommen trotz Massenarbeitslosigkeit, Inflation und Wirtschaftskrise sicherzustellen. Die Entwicklung und Weitergabe von Formen nachhaltiger Landwirtschaft, Saatgutbanken und der Herstellung natürlicher Düngemittel hilft zudem die Abhängigkeit von treuen Importen und Agro-Business Konzernen zu reduzieren.

Boomerangeffekt

Während die ersten sri-lankischen Soldaten bereits für die russische Armee gestorben sind, firmiert die Insel nach den Einreisebeschränkungen vieler europäischer Länder nicht nur zum attraktiven Reiseziel für tausende von Russ:innen, sondern auch seit zwei Jahren zu einem Aufenthaltsort für diejenigen, die sich nicht selbst im Krieg verheizen lassen wollen. Die Tourismusbranche, zweite zentrale Einnahmequelle des Landes, profitiert davon.

Die Kampferfahrung des singhalesischen Militärs liegt dabei noch nicht lang zurück. Erst vor 15 Jahren endete der jahrzehntelange Bürgerkrieg der Regierung gegen die Liberation Tiger of Tamil Elam [LTTE] im Norden Sri Lankas mit einem blutigen Massaker, in dem laut UN Angaben zwischen 40.000 Tamil:innen unterschiedslos hingerichtet wurden. Menschenrechtsaktivist:innen sprechen von 70.000 Toten. Brutalste Kriegsverbrechen, Folter und Misshandlungen gegen die tamilische Minderheit prägten nicht nur die letzten Jahre bis zum Kriegsende, sondern setzen sich weit über das offiziell auf Mai 2009 deklarierte Kriegsende hinaus fort – zum Teil bis heute.

Die singhalesischen Soldaten, wurde damals wie heute durch westliche Staaten wie Großbritannien und die USA ausgebildet. Während sie für die von ihnen im eigenen Land verübten Verbrechen bisher nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, kämpfen sie nun für und gegen die westlichen Werte gleichzeitig.

Veröffentlicht am 09. April 2024

Autorin Karin Zennig

Karin Zennig ist bei medico in der Öffentlichkeitsabteilung für die Region Südasien und das Thema Klimagerechtigkeit zuständig. 

Twitter: @KarinZennig


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