Interview

Beraubt und gedemütigt

Im Windschatten des Krieges in Gaza spitzt sich die Situation für palästinensische Bauern im Westjordanland drastisch zu. Wir haben mit Mo'ayyad Bisharat von der medico-Partnerorganisation UAWC gesprochen.

medico: Während alle Augen auf Gaza gerichtet sind, kommen auch aus dem Westjordanland alarmierende Nachrichten. Wie würdest Du die aktuelle Situation beschreiben?

Mo'ayyad Bisharat: Als Union of Agricultural Work Committees (UAWC) sind wir nach wie vor im gesamten Westjordanland tätig, im Jordantal, in Nablus im Norden, in den Gouvernements Ramallah und Bethlehem sowie in Hebron im Süden. Seit dem 7. Oktober beobachten wir täglich Angriffe der israelischen Armee und von Siedlern auf palästinensische Communities. Sie haben massiv zugenommen. Erst kürzlich war ich wieder in Burin und Madama, nahe Nablus, um mit Landwirten, insbesondere Olivenbauern, zu sprechen. Was sie zu erdulden haben ist nicht auf die Geschehnisse des 7. Oktober zurückzuführen. Schon lange leiden die Menschen in dieser Region unter organisierten Angriffen von Siedlern. Sie töteten seither alleine mindestens zehn Palästinenser im Westjordanland, und 2023 war mit 509 Toten, v. a. durch die Gewalt der israelischen Armee, für sie insgesamt besonders bedrohlich. Außerdem erreichten 60 bis 80 Prozent der Olivenhaine nicht ihren normalen Ertrag, weil die palästinensischen Bauern die Bäume wegen der Bedrohung durch Armee oder Siedler nicht so pflegen konnten, wie sie es sonst getan hätten. Die wirtschaftlichen Auswirkungen können existenziell sein. 

Seit mehreren Jahren unterstützt medico eure Arbeit im Jordantal und in der Gegend zwischen Nablus und Ramallah. Wie kommen die Menschen dort zurecht?

Am 10. Oktober drangen Siedler in das Dorf Qusra ein und erschossen vier Palästinenser, darunter einen 17-jährigen Jungen. Gleich am nächsten Tag töteten sie während der Beerdigung zwei weitere Menschen: Den Anfang 60-jährigen Ibrahim Wadi und seinen 25 Jahre alten Sohn Ahmed. Die Siedler hatten sie früher schon bedroht, weil sie sich gegen den Raub ihres Landes wehrten. Die Wadis bauen dort seit Generationen Oliven und andere Feldfrüchte an.

Wie gehen die Menschen mit dem Gefühl der permanenten Unsicherheit um?

Sie wagen sich aus Angst, von Siedlern getötet oder verletzt zu werden oder ein Familienmitglied zu verlieren, nicht mehr auf ihre Felder. Sie fühlen sich wie Waisen, völlig alleingelassen. Niemand beschützt sie, weder die Palästinensische Autonomiebehörde noch die israelische Polizei. Während die israelische Armee und Polizei in der Vergangenheit nur dabeistanden, wenn die Siedler Dörfer attackierten, beteiligen sie sich seit dem 7. Oktober aktiv daran. Nachdem die israelische Regierung den Notstand erklärt und massive Reserven einberufen hat, sind jetzt auch viele Siedler Teil der Armee. Seither dringen sie uniformiert in die Dörfer ein. Für die Opfer ist so kaum erkennbar, ob der Täter auf Befehl der Armee handelt oder nur als Siedler in Uniform.

Ändert die Unklarheit der Täterschaft, also ob ein Übergriff durch Siedler oder durch die Armee begangen worden ist, aus palästinensischer Perspektive etwas an den Konsequenzen für die Angegriffenen?

Es mag gleich aussehen, aber die aktuelle Situation bedeutet eine weitere Verschlechterung, denn auch die letzten Rechtsmittel sind verschwunden. In der Vergangenheit hat die Armee zumindest irgendeine Art von Vorwarnung gegeben, wenn sie einen Baustopp, einen Evakuierungsbefehl oder anderes anordnete, bevor sie es durchsetzte. Dagegen konnte man teilweise noch Rechtsmittel einlegen, wenn auch mit extrem geringer Aussicht auf Erfolg. Jetzt kommen sie und machen, was sie wollen, ohne jeden Papierkram.

In der Hauptstraße von Huwara hat zum Beispiel eine Gruppe von Siedlern in Armeeuniformen ein Geschäft mit einem Bulldozer zerstört. In dem angestrengten Verfahren lehnt das Gericht aber ab, überhaupt die Existenz eines entsprechenden Befehls der sogenannten israelischen Zivilverwaltung als Besatzungsbehörde im Westjordanland oder der israelischen Armee anzuerkennen. Das Gericht stellt damit in Frage, ob die Armee überhaupt für den Abriss verantwortlich war, jede staatliche Verantwortung wird zurückgewiesen. Für die Betroffenen ist es so sehr schwierig, überhaupt Verantwortliche zu identifizieren.

In vielen Fällen erkennen Palästinenser:innen aber auch Siedler in der Armee wieder, wie in Burin. Yaakov, der Wachmann der benachbarten Siedlung, war plötzlich Teil der nächtlichen Invasionstruppe, die kam, um Menschen zu demütigen. Schikaniert werden besonders diejenigen, die versuchen gewaltlosen Widerstand zu organisieren und Rechtsbrüche dokumentieren.

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Ist das eine Besonderheit für Burin?

Nein. In Madama zum Beispiel erzählte uns der Vorsitzende des Dorfrats, dass die Armee mitten am Tag aus verschiedenen Richtungen mit 16-, 17-jährigen Jungs in Uniform kam, dass sie am helllichten Tag in ein Haus nach dem anderen eindrangen, dass sie Madama offenbar als Übungsplatz für Hausdurchsuchungen nutzten und die Jungen sogar im Umgang mit scharfer Munition schulten. Einige von ihnen gehören zur radikalen sogenannten Hügeljugend.

Ein Aktivist aus Qariyut, der die Gewalt seit langem für die israelische Organisation Yesh Din dokumentiert, hat die Fotos und Namen der meisten israelischen Siedler, die Angriffe gegen seine Community und in der Gegend verüben. Doch obwohl Yesh Din regelmäßig Anzeige gegen die gewalttätigen Siedler bei der israelischen Polizei stellt, schreibt die Polizei die Taten weiterhin Unbekannten zu, stellt Ermittlungen ein oder nimmt sie erst gar nicht auf.

Die Situation im Westjordanland war schon immer geprägt von Landraub und Straffreiheit für die Gewalt der Armee und der Siedler, aber sie war seit fast 20 Jahren nicht so tödlich wie heutzutage. Gleichzeitig handelt es sich nicht nur um ein Problem, das von Politikern wie Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir ausgeht, bei denen sich alle einig sind, dass sie Extremisten sind. Wie schätzt du das ein? Welche Trends siehst du mit Blick auf den Rest der West Bank?

Als jemand, der seit langem im Jordantal aktiv ist, würde ich sagen, dass die Zuspitzung begann, als Benjamin Netanjahu im September 2019 seinen Annexionsplan ankündigte. Das hat die Siedler ermutigt. Sie haben das Gefühl, dass es nicht nur akzeptabel ist, sich immer mehr Land anzueignen, sondern dass sie von der israelischen Regierung dabei geschützt und unterstützt werden. Das hat sich in einer beschleunigten Landnahme niedergeschlagen. Selbst während der Corona-Pandemie, als Palästinenser:innen aufgrund von Vorschriften im Kampf gegen das Virus in ihren Städten und Dörfern festsaßen, nutzten Siedler ihre Abwesenheit von den Feldern aus. Von 2020 bis 2022 gelang es den Siedlern, noch mehr Land unter ihre Kontrolle zu bringen. Umgehungsstraßen wurden gebaut, die das Land zerteilen.

Diese Tendenzen verstärkten sich mit dem Eintritt von Personen wie Ben-Gvir und Smotrich in die Regierung. Letzterer ist einer der Gründer der Siedlerorganisation Regavim. In Ayn al Hilweh gibt es eine Quelle, die u. a. einer Beduinencommunity zur Wasserversorgung dient. Siedler aus Maskiot haben sie gewaltsam übernommen, um die Palästinenser:innen daran zu hindern, das Wasser zu nutzen. Diese Siedler tragen T-Shirts mit einem Regavim-Logo auf dem Rücken. Regavim ist nicht irgendeine kleine Organisation. Sie verfügen über umfangreiche Finanzmittel, auch von privaten Stiftungen in den Vereinigten Staaten, die sie dabei unterstützen, ihre Gewalt aufrecht zu erhalten und noch mehr Land zu erobern. Mittlerweile wird der Großteil des Budgets des israelischen Finanzministeriums für zwei Dinge ausgegeben: für den Krieg gegen Gaza und für die Siedlungen, denn Smotrich ist ein Befürworter der Siedlungen und eines israelischen Kolonialprojekts in den C-Gebieten.

Das wirkt sich auch massiv auf die Mobilität der Palästinener:innen aus. Du bist mit deiner Arbeit selbst viel im Westjordanland unterwegs. Welche Erfahrungen machst du? Was sagt deine Familie dazu?

Nach dem 7. Oktober blieb ich 50 Tage lang zu Hause, weil es keine Möglichkeit gab, Jericho zu verlassen. Die Stadt war durch vier Checkpoints in alle Richtungen isoliert. Ich habe es einmal versucht und musste vier Stunden an einem Kontrollpunkt stehen und warten. Dort gibt es dann alle Arten von Demütigungen durch israelische Soldaten. Sie überprüfen nicht nur deinen Ausweis, sondern dein Telefon, deine sozialen Medien, deinen Laptop, einfach alles. Sie zwingen dich, dich auszuziehen. Nach drei oder vier Stunden beschlossen wir, umzukehren und in Jericho zu bleiben. Die Einschränkungen betrafen übrigens auch die Landwirte, also die Viehzucht, die Produktion von Fleisch, Käse und Milchprodukten, den Anbau von Gemüse und den Handel damit.

Ich lebe in Jericho, stamme aber aus Tubas im nördlichen Jordantal. Meine Eltern konnte ich zwei Monate lang nur per Telefon sprechen, aber nicht sehen. Meine Mutter flehte mich an, nicht nach Tubas zu fahren, weil sie und meine Familie um meine Sicherheit fürchteten. Auch meine Frau und meine Töchter sagen mir: „Du kannst nicht nach Ramallah ins Hauptbüro gehen. Wir hören, dass Soldaten und Siedler jeden Tag Palästinenser angreifen.“ Auch wenn es riskant ist, fahre ich noch immer nach Ramallah.

Unterwegs checken die Leute ständig Telegram, um sich in entsprechenden Gruppen gegenseitig über die Sicherheitslage zu informieren, über Angriffe von Siedlern, temporär errichtete, sogenannte „fliegende Kontrollpunkte“. Die Checkpoints erschweren die Bewegung zwischen Ortschaften sehr. Normalerweise dauert die Fahrt von Jericho nach Ramallah etwa 40 Minuten, jetzt sind es mindestens zwei Stunden, weil wir die Hauptstraße meiden. Wenn du an andere Orte willst, ist das um Längen aufwendiger und gefährlicher. Da die Siedler immer wieder Autos angreifen, fahren die meisten Palästinenser heutzutage aus Sicherheitsgründen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, auch wenn das weniger bequem ist. In einer Gruppe zu reisen bietet noch am meisten Schutz. Bei UAWC ist es deswegen Teil eines neuen Sicherheitsprotokolls, sich nur noch im Team außerhalb palästinensischer Städte zu bewegen. Natürlich prüfen wir alle verfügbaren Quellen, um die Lage entlang der Strecke und während der Reise einzuschätzen. Die Situation ist sehr wechselhaft und gefährlich.

Gleichzeitig wurden mittlerweile mehrere kleine palästinensische Gemeinschaften mit Gewalt vertrieben.

Es gibt zahlreiche solcher Beispiele. Das sind schwere Rechtsbrüche. Nehmen wir den Fall der Hirtengemeinschaft von Wadi al-Siq im Osten des Gouvernements Ramallah. Es handelt sich um eine kleine Gemeinde mit nur 18 Familien. Sie hatten bereits vor dem 7. Oktober unter wiederholten Angriffen der Siedler zu leiden. Die Gemeinschaft hielt diesem Druck jedoch stand, weil die Siedler damals nicht stark genug waren, um sie in die Flucht zu schlagen. Aber nach dem 7. Oktober, genauer gesagt am 22. Oktober, griffen die Siedler, geschützt von der israelischen Armee, nachts die Gemeinde an und vertrieben sie vollständig. Bis auf die Schafe durften die Menschen nichts von ihrem Besitz mitnehmen. Sie waren gezwungen, alles andere zurückzulassen, ihre Zelte, die Teppiche für den Boden, persönliche Gegenstände, ihre ganze Existenz.

Dann haben die Siedler alles mit einem Bulldozer zerstört. Sie zerstörten sogar das Viehfutter, so dass die Hirten nicht mehr zurückkommen konnten, um es für die Tiere zu holen, die sie retten konnten. Eine Woche später kehrten Beamte der palästinensischen Anti-Wall Commission und einige Aktivisten an den ehemaligen Standort der vertriebenen Gemeinschaft zurück, um über ihre Vertreibung zu berichten. Zunächst überwachten die Siedler, was sie dort taten, dann griffen sie sie an, hielten sie stundenlang fest und misshandelten sie schwer. Sie zwangen sie, sich auszuziehen, urinierten auf ihre Opfer und machten Fotos von ihnen. Die Bilder erinnern an Vorfälle in Abu Ghraib.

Das Leiden der Gemeinschaft war damit aber noch nicht zu Ende. Die Menschen sind nach ihrer Vertreibung in ein Gebiet namens Deir Dibwan, weiter westlich, gezogen. Dort besitzen sie aber kein Land, auf dem sie sich niederlassen oder Zelte aufschlagen könnten – wenn sie denn welche hätten. Die dortige Landbevölkerung war nicht bereit, ihr Land aufzugeben, um die neuen Familien aus Wadi al-Siq dauerhaft aufzunehmen, um Weideflächen für ihre Tiere und alles andere zur Verfügung zu stellen. Der Dorfrat hat den Familien jetzt mitgeteilt, dass sie bis März bleiben können, danach aber woanders hinziehen müssen. Als wir miteinander sprachen, wusste einer der Hirten aus Wadi al-Siq, Ibrahim Al-Mlehat, schlicht nicht, wohin er gehen sollte. Er sagte, wenn die Situation so weitergeht und es keine Lösung gibt, werden alle Mitglieder der Gemeinschaft gezwungen sein, ihre Tiere zu verkaufen und ihre Existenz als Hirten und ihre traditionelle Lebensweise als Gruppe, die von der Viehzucht und der Milch- und Fleischproduktion lebt, aufzugeben. Ihren Kindern geht es auch schlecht: Abgesehen vom Trauma der Zwangsumsiedlung haben sie dort, wo sie jetzt sind, viel größere Probleme, zur Schule zu gehen. Es gibt auch keinen Kindergarten für sie. Jetzt haben sie Mühe, die Schule zu erreichen, wofür sie einen Bus oder ein Sammeltaxi brauchen. Sie werden daran gehindert, ihre Ausbildung zu beenden. Die Gefahr einer erneuten Vertreibung und eines sozialen Abstiegs ist groß. 

Wie steht es um euch als UAWC? Die israelische Regierung hatte schwere Anschuldigungen gegen eure Organisation erhoben und euch als terroristisch eingestuft. Während das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) nicht einmal genug Beweise fand, um auch nur eine Untersuchung wegen des Verdachts auf Zweckentfremdung von Mitteln und gegebenenfalls Terrorismusfinanzierung einzuleiten, haben einige Geberländer wie die Niederlande oder Deutschland die Förderung dennoch eingestellt. Und das in einer Situation, in der sowohl die Siedler als auch die israelische Regierung ihren Druck auf die Gemeinden in den C-Gebieten massiv erhöhen. Genau da, wo ihr so viele Jahre gearbeitet habt.

Die Schilderungen betroffener Bauern und Hirten bestätigen, dass sie gerade angesichts der Anstrengungen der Siedler und der israelischen Armee, sie von ihrem Land zu verdrängen, mehr Unterstützung bräuchten: lokales Saatgut, Futterpflanzen, Rehabilitierung von Weideland und landwirtschaftlichen Wegen, in einigen Fällen Zelte. Aber es gibt niemanden mehr, der sie unterstützt. Viele Organisationen wollen nicht mehr in den C-Gebieten arbeiten, weil es sehr riskant geworden ist. Sie wollen sich nicht in einer Situation wiederfinden, in der sie mit israelischen Siedlerangriffen konfrontiert sind. UAWC arbeitet weiter dort, es ist uns wichtig, die Menschen dabei zu unterstützen, den Zugang zu ihrem Land nicht zu verlieren. Offen gesagt fließt derzeit selbst ein Großteil der Gelder, die wir eigentlich für die Arbeit in den C-Gebieten zur Verfügung haben, leider „nur“ in Nothilfemaßnahmen, Lebensmittelpakete, Zelte und so weiter. Das ist auch bei der medico-Unterstützung für die Beduinengemeinschaften nach dem 7. Oktober der Fall. Leider ist es uns nicht gelungen, die Mittelkürzungen der deutschen Bundesregierung für das strategische Programm in den C-Gebieten zu ersetzen.

Mehr als zwei Jahre hat medico im Verbund mit anderen deutschen Organisationen versucht, das Auswärtige Amt davon zu überzeugen, die Finanzierung nicht einzustellen – ohne Erfolg. Wir haben uns in diesem Gespräch auf das Westjordanland konzentriert, aber zum Abschluss möchte ich dich trotzdem nach den UAWC-Kolleg:innen in Gaza fragen. medico hat sie in ihrem Engagement für Fischer- und Hirtenfamilien in der Enklave ebenfalls unterstützt. Eure 31-jährige Kollegin Islam Ali wurde relativ zu Beginn des Krieges getötet, als sie versuchte, den Anweisungen des israelischen Militärs Folge zu leisten und in den Süden des Gazastreifens zu fliehen. Haltet ihr Kontakt zu euren Kolleg:innen? Wie unterstützt ihr sie?

Es ist uns nur gelungen, den Kontakt zu fünf unserer 25 Kolleg:innen in Gaza aufrechtzuerhalten. Sie alle sind nach Rafah geflohen und harren dort aus. Mitte Oktober konnten wir die Kampagne "Stoppt das Aushungern Gazas" starten, die immer noch läuft und mehr als 80.000 Menschen in Rafah mit Lebensmittelpaketen und etwa 150.000 mit sauberem Trinkwasser erreicht hat. Außerdem haben wir von Freund:innen, Unterstützer:Innen und Spender:innen die Erlaubnis erhalten, einen Teil der ursprünglich für das Westjordanland vorgesehenen Mittel nach Gaza umzuleiten, um den Bedarf des täglichen Überlebens einiger unserer Kolleg:innen zu decken. Die Preise für Lebensmittel sind in die Höhe geschossen. Vor dem Krieg kostete ein 50-kg-Sack Mehl 60 bis 70 Schekel, heute liegt der Preis zwanzigmal so hoch, bei etwa 1.400. Ein Kilogramm Salz kostet 17 Schekel, wenn man es überhaupt noch finden kann. Das macht das tägliche Leben oder besser gesagt das Überleben wirklich schwierig – zusätzlich zu der sehr realen Gefahr, von der israelischen Armee getötet zu werden. Man braucht nicht nur Geld, sondern auch viel Glück.

Mo'ayyad Bisharat ist Tierarzt und Direktor für Lobbying & Advocacy bei der palästinensischen medico-Partnerorganisation Union of Agricultural Work Committees (UAWC). Seit 2010 hat er bfür UAWC zahlreiche Projekte mit Bauern- und Hirtengemeinschaften in den vollständig unter israelischer Kontrolle stehenden C-Gebieten der besetzten Westbank umgesetzt.

Das Interview führte Riad Othman.

Soweit es unter den Bedingungen von Blockade und der anhaltenden israelischen Offensive möglich ist: Unter großen Gefahren für das Leben ihrer Freiwilligen beschafft die medico-Partnerorganisation UAWC in Gaza Lebensmittelpakete für Binnenvertriebene und andere Familien in Not. Im Westjordanland unterstützten medico und UAWC Familien mit Zelten und Nahrungsmittelpaketen, die nach dem 7. Oktober gewaltsam von der israelischen Armee und Siedlern vertrieben worden waren.

Veröffentlicht am 13. Februar 2024

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